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Schreibwerkstättler
Schreibwerkstatt-Autor
Hallo!
Ich habe bisher nur RPGs auf dieser Seite geschrieben, jetzt aber die Schreibwerkstadt entdenkt und dachte, warum diese nicht mal nutzen.
Ich habe bereits einige Romane geschrieben, dies hier ist mein neuster. Bisher habe ich ausschließlich aus der 1. Person geschrieben, und meist war das Ich der Geschichte meinem realen ähnlich bzw ein bestimmer Typ, eine Seite von mir hoch gerechnet auf eine volle Person. Dieser hatte das Ziel, davon völlig wegzukommen und aus einer Person zu schreiben, die mir völlig fremd ist. (Ob das gelungen ist, ist natürlich für eine fremde Person erstmal nicht einschätzbar ;) (Wobei einer der anderen Jugendliche mir sehr ähnlich ist ;)
Ich schreibe schon sehr lange, ohne wirklich kontinuierlich Rückmeldung verlangt und bekommen zu haben, tat es mehr für mich, bin aber gleichzeitig auch sehr überzeugt von meinen Werken, da sie mir einfach gut gefallen. Vielleicht habe ich mich auch deshalb bisher selten getraut, um Rückmeldung zu bitten. Das ist durchaus relevant, da ich einen sehr eigenen Schreibstil habe, sagen zumindest die wenigen Leser. In diesem Roman allerdings ist er gemäßigter, denn:
1) Schreibt man aus der Ich-Perspektive, ist der Schreibstil sehr entscheinend, denn er ist subjektiv und im Prinzip sind es die Gedanken des Ichs, und niemand denkt wie ein anderer, jeder ist dort verschieden. Somit ist eine Story aus dem Ich immer eine individuelle Art des Erzählens der Geschichte. Ob das hier zusammen passt, würde ich vom Kritiker gerne eingeschätzt bekommen.
2) Ist das spannend, oder erwartet man noch ein spannendes Buch? Zu Beginn passiert nicht so viel und evtl zu lange oder so. Auch, ist das Tempo der chronologischen Erzählung am Anfang zu hoch oder zu tief, vielleicht genau richtig. Zusammengefasst, wie ist dei Dramaturgie?
3) Ich studiere Nebenfach Soziologie. Daher ist ein entscheidener Punkt der soziale Umgang der 7 Jugendlichen. Ich habe versucht, so gut es geht Charaktäre zu zeichnen, die authentisch sind. Da es aber aus der Ich-Perspektive ist, ist natürlich die Sicht sehr eingeschränkt und nicht neutral. Das ist ua das spannende. Also sind die Charaktäre schlüssig, echt und wirken sie zu konstruiert/klischeehaft, oder machen sie einen menschlichen Eindruck? (Das lässt sich natürlich/womöglich erst mit fortgeschrittenem Lesen (mehr Kapitel) ausreichend beurteilen.)
Und sonst alles schreiben, was dazu einfällt, ich bin schon sehr gespannt und freue mich!
CYN
(Vorab noch: Es gibt 2 "Pre" (=Prolog), einen davon habe ich mit reingestellt. Dieser wird erst dann wirklich relevant, wenn man alles gelesen hat/lesen wird. Er kann somit mit bewertet werden, muss aber nicht, wenn er zu verwirrend ist;) Wenn ich zu viel Text rein gestellt habe, einfach am Ende was weglassen und nur der Anfang betrachten)
Ich habe bisher nur RPGs auf dieser Seite geschrieben, jetzt aber die Schreibwerkstadt entdenkt und dachte, warum diese nicht mal nutzen.
Ich habe bereits einige Romane geschrieben, dies hier ist mein neuster. Bisher habe ich ausschließlich aus der 1. Person geschrieben, und meist war das Ich der Geschichte meinem realen ähnlich bzw ein bestimmer Typ, eine Seite von mir hoch gerechnet auf eine volle Person. Dieser hatte das Ziel, davon völlig wegzukommen und aus einer Person zu schreiben, die mir völlig fremd ist. (Ob das gelungen ist, ist natürlich für eine fremde Person erstmal nicht einschätzbar ;) (Wobei einer der anderen Jugendliche mir sehr ähnlich ist ;)
Ich schreibe schon sehr lange, ohne wirklich kontinuierlich Rückmeldung verlangt und bekommen zu haben, tat es mehr für mich, bin aber gleichzeitig auch sehr überzeugt von meinen Werken, da sie mir einfach gut gefallen. Vielleicht habe ich mich auch deshalb bisher selten getraut, um Rückmeldung zu bitten. Das ist durchaus relevant, da ich einen sehr eigenen Schreibstil habe, sagen zumindest die wenigen Leser. In diesem Roman allerdings ist er gemäßigter, denn:
1) Schreibt man aus der Ich-Perspektive, ist der Schreibstil sehr entscheinend, denn er ist subjektiv und im Prinzip sind es die Gedanken des Ichs, und niemand denkt wie ein anderer, jeder ist dort verschieden. Somit ist eine Story aus dem Ich immer eine individuelle Art des Erzählens der Geschichte. Ob das hier zusammen passt, würde ich vom Kritiker gerne eingeschätzt bekommen.
2) Ist das spannend, oder erwartet man noch ein spannendes Buch? Zu Beginn passiert nicht so viel und evtl zu lange oder so. Auch, ist das Tempo der chronologischen Erzählung am Anfang zu hoch oder zu tief, vielleicht genau richtig. Zusammengefasst, wie ist dei Dramaturgie?
3) Ich studiere Nebenfach Soziologie. Daher ist ein entscheidener Punkt der soziale Umgang der 7 Jugendlichen. Ich habe versucht, so gut es geht Charaktäre zu zeichnen, die authentisch sind. Da es aber aus der Ich-Perspektive ist, ist natürlich die Sicht sehr eingeschränkt und nicht neutral. Das ist ua das spannende. Also sind die Charaktäre schlüssig, echt und wirken sie zu konstruiert/klischeehaft, oder machen sie einen menschlichen Eindruck? (Das lässt sich natürlich/womöglich erst mit fortgeschrittenem Lesen (mehr Kapitel) ausreichend beurteilen.)
Und sonst alles schreiben, was dazu einfällt, ich bin schon sehr gespannt und freue mich!
CYN
(Vorab noch: Es gibt 2 "Pre" (=Prolog), einen davon habe ich mit reingestellt. Dieser wird erst dann wirklich relevant, wenn man alles gelesen hat/lesen wird. Er kann somit mit bewertet werden, muss aber nicht, wenn er zu verwirrend ist;) Wenn ich zu viel Text rein gestellt habe, einfach am Ende was weglassen und nur der Anfang betrachten)
"Die Tanzenden wurden von denen für verrückt gehalten, die die Musik nicht hörten"
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Rang: Datentypist
Schreibwerkstättler
Schreibwerkstatt-Autor
Beitrag #2, verfasst am 28.12.2018 | 23:40 Uhr
PRE
Ich lebe. Tatsächlich, ich lebe. Noch kann ich es nicht begreifen. Es ist mir bewusst geworden. Und die Frage, warum ich? Dieser kleine schwache Welpe.
Überlebt. Nicht alle schaffen es. Nie schaffen es alle. Das ist das Tragische. Eine Mutter hat drei Kinder, jedoch nur zwei Zitzen. Nicht alle werden es schaffen.
Schon Darwin wusste das. Er fand es heraus. Jedoch ist seine Theorie falsch. Würde sie stimmen, könnte ich mir darüber in diesem Moment keine Gedanken machen. Ego sum, ego existo. Denn würden nur die stärksten gewinnen, wäre ich jetzt tot.
Ich bin nicht stark. Das weiß jeder, mein Vater, meine Klassenkameraden, das weiß das Schicksal. Kaum jemandem täte es weh, mich zu opfern. Kaum jemand würde jemals auf mich angewiesen sein. Wen könnte ich verteidigen, wenn ich nicht mal mich selbst gegen meinen kleinen Bruder wehren kann.
Keinesfalls bin ich ein Versager. Auch ich habe Stärken, verborgen. Aber haben sie je etwas gezählt? Womöglich, schließlich habe ich überlebt, was ich noch immer nicht fassen kann.
Doch ich bin hier, atme, lebe, denke. So viele andere nicht. Die Stärksten sterben zuerst, denn sie trauen sich zu kämpfen. Das wusste schon Darwin. Und -
“Soll ich die Frage wiederholen?”
“Das können Sie nicht!” Der Polizist sieht mich irritiert an. “Nichts lässt sich wiederholen, weder das Leben, noch der Tod … “
Ich bin Du
Tag 1
Der Wecker klingelt. Ich schlage die Augen auf und bin sofort wach. 6:00 Uhr. Ob ich mehr als drei Stunden geschlafen habe? Oh wie lange ich nicht einschlafen konnte. Immer wieder sah ich auf die Uhr, das letzte Mal war es nach zwei.
Eigentlich bin ich gar nicht aufgeregt. Eigentlich freue ich mich. Doch das weiß mein Körper ja nicht. Der spürt es aber heimlich, die kleine Aufregung tief drin. Und dann ist es wie vor einer Klassenarbeit.
Ich springe aus dem Bett, renne ins Bad, zum Klo. Ich stecke den Kopf hinein und warte, doch es kommt nichts. Klar, mein Magen ist leer, dennoch ist mir übel.
Warum nur? Warum ist mir immer übel, vor Arbeiten, Referaten, wenn ein Mädchen auf mich zukommt? Dabei bin ich schon 17 Jahre alt, ein Alter in welchem man seinen Körper im Griff haben sollte. Eigentlich.
Zurück im Zimmer ziehe ich mich an. Die Kleider habe ich schon gestern rausgelegt, neben meine Reisetasche und meinen Rucksack. Der Anblick schickt mir Adrenalin in den Kopf. Ich stelle mir vor, wie ich ihn aufsetze, loslaufe.
Ja! Ich freue mich total. Und trotzdem, da ist dieses eine Gefühl, diese eine Angst. Es nicht zu schaffen. Wie sonst immer. Es läuft etwas schief, meine Flasche läuft aus, oder meinem Schuh reißt der Schnürsenkel.
Unten in der Küche steht meine Mutter bereits und zerlegt ein Ei für meinen Vater in die Pfanne. Ich drücke sie von hinten.
“Na?”, fragt sie, “bereit?” Ich sage nichts. Was spielt es eine Rolle, mein Gemütszustand hat keine Auswirkung auf nichts. Das habe ich gelernt. Weniger auf sich zu hören, denn es irritiert, verstört die objektive Wahrnehmung der Tatsachen.
“Hast du an alles gedacht?”
“Mama, du hast doch bereits gestern alles kontrolliert. Und du kennst mich doch”, grinse ich. Sie ebenfalls.
“Stimmt, bei deinem kleinen Bruder wäre diese Frage angemessener gewesen.”
Ich setze mich, nehme mir Müsli. Man hört die Treppen knautschen. Mein Vater kommt herein, lässt sich auf seinen Platz fallen. Schaut zu meiner Mutter, dann zu mir:
“Na mein Jung‘, alles fit?” Ich nicke.
“Das heißt ‘Jawoll’ du Pappnase. Heute ist der Tag deiner Rekrutierung zum Mann. Da will ich mal ein bisschen Energie spüren!”
“Dein Ei, Schatz.” Meine Mutter stellt ihm seinen Frühstücksteller hin, welchen er sofort fokussiert und beginnt zu essen. Auch ich esse. Morgens ist er immer rau. Solange er nichts im Magen hat, sollte man ihm nicht zu viel zumuten.
Erneut geht die Tür auf und mein Bruder Silas kommt herein. Auch er lässt sich erstmal wortlos auf einen Stuhl fallen. Er stinkt. Aber ich sage nichts. Das habe schon mal und das gab mächtig Stress. Mein Vater hat sich aufgeregt, das gehöre sich so und ich sei vielleicht eine Schwuchtel, da ich ständig bedacht wäre, gut zu riechen, fremd, wie er sagt.
Sowieso ist das eine seiner großen Ängste. Ich könnte falsch sein. Nicht wie mein Bruder, der schon jetzt mit 15 so offensichtlich hetero ist, dass ich mich manchmal frage, wie wir verwandt sein können.
“Das ist so unfair!”, sind seine ersten Worte an diesem Morgen.
“Was?”, schmatzt mein Vater.
“Na das der so was machen darf, und ich zur scheiß Schule muss!”
“Silas!”, ermahnt meine Mutter, “gönn es deinem Bruder mal, du darfst so etwas dann auch mal machen in ein paar Jahren.”
“Ja danke, aber ich hocke gleich in der Schule und … “ Er hört auf. Mein Vater sieht ihn an.
“Kein Sorge, Sohn. Du bekommst auch noch deine Männlichkeitsprüfung, auch wenn du sie jetzt bereits mit links schaffen würdest, im Gegenteil zu deinem kleinen großen Bruder, nich?” Er lacht kurz. Mein Bruder grinst hämisch. Ich reagiere nicht, schaue in mein Müsli. Wie immer, dann hören sie meistens auf, würde ich reagieren, mich wehren, würde es nur noch schlimmer werden mit diesen Kindern. Wenigstens war meine Mutter normal und meist auf meiner Seite.
Wieder oben im Zimmer packe ich die letzten Dinge für die Fahrt, gehe dann ins Bad und mache mich frisch für den Tag. Mit vollem Magen ist das maue Gefühl verschwunden. Dennoch schaue ich die Kloschüssel an, in die ich schon so oft gespuckt habe. Ich sehe sie an, habe lustiger Weise ein wehmütiges Gefühl.
Dann gehe ich hinunter, wo bereits meine Eltern stehen und auf mich warten. Mein Vater nimmt den kleinen Koffer und wir gehen hinaus zu unserem Wagen, legen die Sachen in den Kofferraum. Dann gehe ich zu meiner Mutter, drücke sie fest.
“Alles Gute mein Schatz. Du schaffst das alles, ich weiß das. Beweise uns allen, dass auch in dir jemand ganz ganz starkes steckt. In einer Woche sehen wir uns wieder!”
“Tschüss Mama, natürlich schaffe ich das. Will sich Silas nicht verabschieden?”
“Du kennst ihn doch, Pubertät. Ich wünsch dir alles gute, lerne ein nettes Mädchen kennen. Genieße es! Ich habe dich lieb!”
“Ich dich auch Mama!”
Dann steige ich ins Auto, mein Vater fährt los, zum Bahnhof. Wir reden nicht während der Fahrt. Das tun wir nie. Erstens weil er sich konzentrieren muss, sein linkes Auge ist zu 40% blind - ein Betrunkener stach ihm im Streit um einen Rest Bier mit einer Gabel mitten hinein, da war ich noch gar nicht geboren - und zweitens weil das schwer ist mit ihm. Er muss sowieso Recht haben, jedoch genauso fehlt mir oft das Verständnis und die Akzeptanz seiner Meinung.
Angekommen packen wir aus, er stellt sich noch einmal vor mich:
“So. Du glaubst es kaum, aber auch ich bin jetzt etwas aufgeregt. Verständlich, wenn der Kleine so etwas macht. Du weißt, ich will dich nicht ärgern, sondern dir helfen, mal deine Grenzen kennen zu lernen, raus zu kommen aus deiner dünnen Haut.”
“Ich weiß Papa, ich freue mich doch total.”
“Na dann zeig mir das mal!” Er lacht. “Also dann habe Spaß, komm wieder als Mann. Ah und”, er greift in die Tasche, “hier, nehme ein Feuerzeug noch mit, kannst du in der Wildnis immer gebrauchen. Das Taschenmesser hast du?”
“Ja, ist eingepackt.” Ich stecke das Feuerzeug in die innere Tasche meiner viel zu warmen Regenjacke. “Ich verpasse meinen Zug.”
“Dann aber los jetzt mein Sohn.” Er drückt mich noch einmal fest. Dann gehe ich los. Los in den Bahnhof, los in den Urlaub, los ins Abenteuer.
§§§
Norwegen. Obwohl ich in Holstein wohne, war ich noch nie dort. Norwegen, ein schönes kaltes wildes Land. Das erwarte ich zumindest. Eine ganze Woche werde ich das Land spüren, zusammen mit sieben anderen Jugendlichen.
Ich, oder eigentlich mein Vater, habe mich angemeldet für eine Woche Survival. Das heißt acht junge Erwachsene werden zusammen mit einem Profi in die Wildnis gehen. Wir werden unter freiem Himmel schlafen, hauptsächlich Dinge aus der Natur essen und den ganzen Tag draußen verbringen. Wir werden Abenteuer erleben. Das soll total spannend werden.
Und dann auch noch in Norwegen. Einem fremden wilden Land, in dem man ohne Probleme mal eine Woche keine Menschenseele trifft. Dafür vielleicht Bären oder, wie ich so sehr hoffe, Elche.
In den Unterlagen ist gestanden, wir würden nur einmal nach drei von sechs Nächten das Dorf aufsuchen und die Kleider wechseln, Not-Proviant auffüllen.
Besonders bin ich auf die anderen Teilnehmer gespannt. Schließlich hängt es auch sehr von den Kamerade ab, wie viel Spaß es macht. Wenn sie nett sind, normal und nicht fies. In der Schule habe ich so viele Idioten. So sollten diese hier, zu so einer tollen Aktion angemeldet, doch eigentlich ganz in Ordnung und gebildet sein.
So viel schlechte Erfahrung schon habe ich gemacht. Auch außerhalb der Schule. Grüppchen-Bildung. Manche grenzen sich dann ab, weil sie sich für etwas Besseres halten. Manchmal schweißt das die anderen Vergessenen dann zusammen, manchmal erzeugt das viele arme Verlorene.
Jedoch glaube ich, würde das nicht passieren hier. Schließlich werden wir einen Coach haben, der uns gut leiten und strukturieren wird. Laut den Unterlagen hat er viel Erfahrung, macht das schon seit Jahren.
In der letzten E-Mail stand, dass sich im letzten Moment ein Mädchen wieder abgemeldet hatte, sodass wir nun vier Jungs und drei Mädchen sein werden. Das ist mir egal, ob sieben oder acht. Wichtig sollte auf jeden Fall sein, dass es etwa ausgeglichen ist zwischen Jungs und Mädchen, dann ist es meist am entspanntesten. Denn sobald es ungleich ist, gibt es ein starkes Geschlecht, welches intern konkurrenter ist, als die in der Minderheit liegenden. Gerade wenn es viele Jungs sind, wird viel gekämpft, intrigiert und im schlimmsten Fall gemobbt. All das habe ich erlebt, teils auch stark an mir. Denn es war noch nie meine Stärke, bei so etwas mitzumachen, womöglich um die Gunst von Damen zu kämpfen.
Sowieso bin ich eigentlich gerade deshalb, wegen meiner Schüchternheit gegenüber Mädchen, sicher, nicht wie meine Familie ständig befürchtet, hetero zu sein. Weshalb sonst sollte mir immer heiß werden, wenn sich eine, womöglich gut aussehend, in meiner Nähe befindet?
Gut, bei Jungs bin ich auch schüchtern, aber da ist dieses Herzrasen nicht, die Angst etwas falsch zu machen. Eher die Angst, anzuecken und so geärgert zu werden. Aber das versteht mein Vater so nicht, der immer darauf pocht, meine Männlichkeit fordern zu wollen.
Es gibt auch ruhige Jungs! Die nicht Testosteron-getränkt sich ständig am Sack kratzen müssen! Und diese sind keine Memmen, dieses Urteil akzeptiere ich nicht. Und ich würde es auch verteidigen. Doch sobald ich das tun will, wird mir heiß, ich bringe keinen Ton raus. Warum?
§§§
Die Zugfahrt geht eine Weile. Ich schaue viel nach draußen, höre Musik. Ich hätte auch lesen können, doch ich wollte kein dickes schweres Buch mitschleppen. Sonst lese ich viel. Alles eigentlich, von Thriller bis Liebesroman.
Irgendwann wird mir bewusst, dass es höchst wahrscheinlich sein sollte, dass auch die Anderen im selben Zug sitzen wie ich. Schließlich sind wir alle Deutsche und dies hier ist die einzige Verbindung, die zeitlich passend infrage kam. Also schaue ich umher. Weit sehen kann ich nicht, die Lehnen sind hoch.
Dann entdecke ich bald zwei junge Personen, die je offensichtlich allein reisen. Ich schaue sie mir an. Beides Mädchen. Die eine Türkin, lesend, etwas dicker. Also eher nicht passend? Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Wie anstrengend es werden könnte, ob man sportlich sein muss, wie ich es einigermaßen bin und diese Türkin offensichtlich nicht.
Das zweite Mädchen ist brünett. Über ihren Ohren ein dicker Kopfhörer. Mir fällt es schwer, sie zu charakterisieren, das war auch generell noch nie meine Stärke. Sie könnte eine Bitch sein, oder sogar total nett. Sie könnte cool sein, schlau oder ungebildet. Sie trägt Pants, was beim Laufen sicher ein Hingucker ist. Sie gefällt mir.
Dabei ertappe ich mich. Bei dem Wunsch, später, wenn wir erstmals unsere Gruppe sehen werden, sie in unseren Reihen zu haben. Wobei ich sie eh nicht ansprechen würde. Traurig.
Ich fantasiere weiter, habe ja sonst nichts zu tun. Baue mir Konstrukte, was ihre Hobbys sein könnten, ob sie Geschwister hat, noch zur Schule geht. Es macht Spaß, wie ich eine Art Traummädchen erstelle. Auch könnte es eine Tücke sein, sollte dann dieses Konstrukt später nicht der Realität entsprechen. Aber es macht Spaß, um nichts anderes geht es.
Irgendwann öffnet sie die Augen, packt ihre Kopfhörer weg, schaut hinaus. Ich beende meine Studie, schau noch einmal zur wohl endlos lesenden dicken Türkin. Dann schalte ich meine Musik wieder ein, schaue hinaus. Wir sind bereits in Norwegen, nicht mehr lange würde die Fahrt gehen. Inzwischen durch wilde fremde Natur.
Das Wetter sieht gut aus. Intensiv hatte ich es studiert im Internet, mehrere Wetterdienste verglichen. Jetzt war es wie erwartet angenehm warm und trocken, Mai. Jedoch wird es nicht so bleiben, da waren sich alle Dienste einig. Es würde sich abkühlen, regnen. Aber gemäßigt, kein Sturm, was echt dumm wäre.
Noch aber ist es ja warm, angenehme 24°C steht an der Anzeige am Waggonende, für diese Breiten sicher nicht schlecht. Die Sonne scheint, wolkenloser Himmel, wenig Wind. Ich habe Urlaubsgefühle!
Wir kommen in Oslo an, von wo aus ich in die Regionalbahn umsteigen muss, welche alle halbe Stunde fährt. So entscheide ich kurz nach dem Aussteigen die erste auszulassen um noch etwas zu essen.
Nach wenigen Metern finde ich einen ‘Nordsee’. Ich gehe hin, es sieht genauso aus wie bei uns. Nur ist alles auf norwegisch, nicht wie man in so einem internationalen Bahnhof meinen könnte auch auf englisch. Jedoch versteht die Bedienung, als ich auf englisch “This please” sage und gibt mir ein belegtes Brötchen.
Nach einem entspannten Verzehren schlender ich noch weiter durch den schicken Bahnhof und schaue am Eingang hinaus. Norwegen. An dieser Stelle überhaupt nicht wild. Sehr sauber, gut gepflegt. Hier und da interessant geschnittene Hecken und Bäume, lichtdurchflutet einer warmen feinen Sonne.
Schließlich gehe ich zurück, suche mein Gleis und steige in meine Bahn, die nun noch etwas über eine Stunde in die Pampa hinausfahren muss, wo uns dann unser Guide erwarten wird …
Ich lebe. Tatsächlich, ich lebe. Noch kann ich es nicht begreifen. Es ist mir bewusst geworden. Und die Frage, warum ich? Dieser kleine schwache Welpe.
Überlebt. Nicht alle schaffen es. Nie schaffen es alle. Das ist das Tragische. Eine Mutter hat drei Kinder, jedoch nur zwei Zitzen. Nicht alle werden es schaffen.
Schon Darwin wusste das. Er fand es heraus. Jedoch ist seine Theorie falsch. Würde sie stimmen, könnte ich mir darüber in diesem Moment keine Gedanken machen. Ego sum, ego existo. Denn würden nur die stärksten gewinnen, wäre ich jetzt tot.
Ich bin nicht stark. Das weiß jeder, mein Vater, meine Klassenkameraden, das weiß das Schicksal. Kaum jemandem täte es weh, mich zu opfern. Kaum jemand würde jemals auf mich angewiesen sein. Wen könnte ich verteidigen, wenn ich nicht mal mich selbst gegen meinen kleinen Bruder wehren kann.
Keinesfalls bin ich ein Versager. Auch ich habe Stärken, verborgen. Aber haben sie je etwas gezählt? Womöglich, schließlich habe ich überlebt, was ich noch immer nicht fassen kann.
Doch ich bin hier, atme, lebe, denke. So viele andere nicht. Die Stärksten sterben zuerst, denn sie trauen sich zu kämpfen. Das wusste schon Darwin. Und -
“Soll ich die Frage wiederholen?”
“Das können Sie nicht!” Der Polizist sieht mich irritiert an. “Nichts lässt sich wiederholen, weder das Leben, noch der Tod … “
Ich bin Du
Tag 1
Der Wecker klingelt. Ich schlage die Augen auf und bin sofort wach. 6:00 Uhr. Ob ich mehr als drei Stunden geschlafen habe? Oh wie lange ich nicht einschlafen konnte. Immer wieder sah ich auf die Uhr, das letzte Mal war es nach zwei.
Eigentlich bin ich gar nicht aufgeregt. Eigentlich freue ich mich. Doch das weiß mein Körper ja nicht. Der spürt es aber heimlich, die kleine Aufregung tief drin. Und dann ist es wie vor einer Klassenarbeit.
Ich springe aus dem Bett, renne ins Bad, zum Klo. Ich stecke den Kopf hinein und warte, doch es kommt nichts. Klar, mein Magen ist leer, dennoch ist mir übel.
Warum nur? Warum ist mir immer übel, vor Arbeiten, Referaten, wenn ein Mädchen auf mich zukommt? Dabei bin ich schon 17 Jahre alt, ein Alter in welchem man seinen Körper im Griff haben sollte. Eigentlich.
Zurück im Zimmer ziehe ich mich an. Die Kleider habe ich schon gestern rausgelegt, neben meine Reisetasche und meinen Rucksack. Der Anblick schickt mir Adrenalin in den Kopf. Ich stelle mir vor, wie ich ihn aufsetze, loslaufe.
Ja! Ich freue mich total. Und trotzdem, da ist dieses eine Gefühl, diese eine Angst. Es nicht zu schaffen. Wie sonst immer. Es läuft etwas schief, meine Flasche läuft aus, oder meinem Schuh reißt der Schnürsenkel.
Unten in der Küche steht meine Mutter bereits und zerlegt ein Ei für meinen Vater in die Pfanne. Ich drücke sie von hinten.
“Na?”, fragt sie, “bereit?” Ich sage nichts. Was spielt es eine Rolle, mein Gemütszustand hat keine Auswirkung auf nichts. Das habe ich gelernt. Weniger auf sich zu hören, denn es irritiert, verstört die objektive Wahrnehmung der Tatsachen.
“Hast du an alles gedacht?”
“Mama, du hast doch bereits gestern alles kontrolliert. Und du kennst mich doch”, grinse ich. Sie ebenfalls.
“Stimmt, bei deinem kleinen Bruder wäre diese Frage angemessener gewesen.”
Ich setze mich, nehme mir Müsli. Man hört die Treppen knautschen. Mein Vater kommt herein, lässt sich auf seinen Platz fallen. Schaut zu meiner Mutter, dann zu mir:
“Na mein Jung‘, alles fit?” Ich nicke.
“Das heißt ‘Jawoll’ du Pappnase. Heute ist der Tag deiner Rekrutierung zum Mann. Da will ich mal ein bisschen Energie spüren!”
“Dein Ei, Schatz.” Meine Mutter stellt ihm seinen Frühstücksteller hin, welchen er sofort fokussiert und beginnt zu essen. Auch ich esse. Morgens ist er immer rau. Solange er nichts im Magen hat, sollte man ihm nicht zu viel zumuten.
Erneut geht die Tür auf und mein Bruder Silas kommt herein. Auch er lässt sich erstmal wortlos auf einen Stuhl fallen. Er stinkt. Aber ich sage nichts. Das habe schon mal und das gab mächtig Stress. Mein Vater hat sich aufgeregt, das gehöre sich so und ich sei vielleicht eine Schwuchtel, da ich ständig bedacht wäre, gut zu riechen, fremd, wie er sagt.
Sowieso ist das eine seiner großen Ängste. Ich könnte falsch sein. Nicht wie mein Bruder, der schon jetzt mit 15 so offensichtlich hetero ist, dass ich mich manchmal frage, wie wir verwandt sein können.
“Das ist so unfair!”, sind seine ersten Worte an diesem Morgen.
“Was?”, schmatzt mein Vater.
“Na das der so was machen darf, und ich zur scheiß Schule muss!”
“Silas!”, ermahnt meine Mutter, “gönn es deinem Bruder mal, du darfst so etwas dann auch mal machen in ein paar Jahren.”
“Ja danke, aber ich hocke gleich in der Schule und … “ Er hört auf. Mein Vater sieht ihn an.
“Kein Sorge, Sohn. Du bekommst auch noch deine Männlichkeitsprüfung, auch wenn du sie jetzt bereits mit links schaffen würdest, im Gegenteil zu deinem kleinen großen Bruder, nich?” Er lacht kurz. Mein Bruder grinst hämisch. Ich reagiere nicht, schaue in mein Müsli. Wie immer, dann hören sie meistens auf, würde ich reagieren, mich wehren, würde es nur noch schlimmer werden mit diesen Kindern. Wenigstens war meine Mutter normal und meist auf meiner Seite.
Wieder oben im Zimmer packe ich die letzten Dinge für die Fahrt, gehe dann ins Bad und mache mich frisch für den Tag. Mit vollem Magen ist das maue Gefühl verschwunden. Dennoch schaue ich die Kloschüssel an, in die ich schon so oft gespuckt habe. Ich sehe sie an, habe lustiger Weise ein wehmütiges Gefühl.
Dann gehe ich hinunter, wo bereits meine Eltern stehen und auf mich warten. Mein Vater nimmt den kleinen Koffer und wir gehen hinaus zu unserem Wagen, legen die Sachen in den Kofferraum. Dann gehe ich zu meiner Mutter, drücke sie fest.
“Alles Gute mein Schatz. Du schaffst das alles, ich weiß das. Beweise uns allen, dass auch in dir jemand ganz ganz starkes steckt. In einer Woche sehen wir uns wieder!”
“Tschüss Mama, natürlich schaffe ich das. Will sich Silas nicht verabschieden?”
“Du kennst ihn doch, Pubertät. Ich wünsch dir alles gute, lerne ein nettes Mädchen kennen. Genieße es! Ich habe dich lieb!”
“Ich dich auch Mama!”
Dann steige ich ins Auto, mein Vater fährt los, zum Bahnhof. Wir reden nicht während der Fahrt. Das tun wir nie. Erstens weil er sich konzentrieren muss, sein linkes Auge ist zu 40% blind - ein Betrunkener stach ihm im Streit um einen Rest Bier mit einer Gabel mitten hinein, da war ich noch gar nicht geboren - und zweitens weil das schwer ist mit ihm. Er muss sowieso Recht haben, jedoch genauso fehlt mir oft das Verständnis und die Akzeptanz seiner Meinung.
Angekommen packen wir aus, er stellt sich noch einmal vor mich:
“So. Du glaubst es kaum, aber auch ich bin jetzt etwas aufgeregt. Verständlich, wenn der Kleine so etwas macht. Du weißt, ich will dich nicht ärgern, sondern dir helfen, mal deine Grenzen kennen zu lernen, raus zu kommen aus deiner dünnen Haut.”
“Ich weiß Papa, ich freue mich doch total.”
“Na dann zeig mir das mal!” Er lacht. “Also dann habe Spaß, komm wieder als Mann. Ah und”, er greift in die Tasche, “hier, nehme ein Feuerzeug noch mit, kannst du in der Wildnis immer gebrauchen. Das Taschenmesser hast du?”
“Ja, ist eingepackt.” Ich stecke das Feuerzeug in die innere Tasche meiner viel zu warmen Regenjacke. “Ich verpasse meinen Zug.”
“Dann aber los jetzt mein Sohn.” Er drückt mich noch einmal fest. Dann gehe ich los. Los in den Bahnhof, los in den Urlaub, los ins Abenteuer.
§§§
Norwegen. Obwohl ich in Holstein wohne, war ich noch nie dort. Norwegen, ein schönes kaltes wildes Land. Das erwarte ich zumindest. Eine ganze Woche werde ich das Land spüren, zusammen mit sieben anderen Jugendlichen.
Ich, oder eigentlich mein Vater, habe mich angemeldet für eine Woche Survival. Das heißt acht junge Erwachsene werden zusammen mit einem Profi in die Wildnis gehen. Wir werden unter freiem Himmel schlafen, hauptsächlich Dinge aus der Natur essen und den ganzen Tag draußen verbringen. Wir werden Abenteuer erleben. Das soll total spannend werden.
Und dann auch noch in Norwegen. Einem fremden wilden Land, in dem man ohne Probleme mal eine Woche keine Menschenseele trifft. Dafür vielleicht Bären oder, wie ich so sehr hoffe, Elche.
In den Unterlagen ist gestanden, wir würden nur einmal nach drei von sechs Nächten das Dorf aufsuchen und die Kleider wechseln, Not-Proviant auffüllen.
Besonders bin ich auf die anderen Teilnehmer gespannt. Schließlich hängt es auch sehr von den Kamerade ab, wie viel Spaß es macht. Wenn sie nett sind, normal und nicht fies. In der Schule habe ich so viele Idioten. So sollten diese hier, zu so einer tollen Aktion angemeldet, doch eigentlich ganz in Ordnung und gebildet sein.
So viel schlechte Erfahrung schon habe ich gemacht. Auch außerhalb der Schule. Grüppchen-Bildung. Manche grenzen sich dann ab, weil sie sich für etwas Besseres halten. Manchmal schweißt das die anderen Vergessenen dann zusammen, manchmal erzeugt das viele arme Verlorene.
Jedoch glaube ich, würde das nicht passieren hier. Schließlich werden wir einen Coach haben, der uns gut leiten und strukturieren wird. Laut den Unterlagen hat er viel Erfahrung, macht das schon seit Jahren.
In der letzten E-Mail stand, dass sich im letzten Moment ein Mädchen wieder abgemeldet hatte, sodass wir nun vier Jungs und drei Mädchen sein werden. Das ist mir egal, ob sieben oder acht. Wichtig sollte auf jeden Fall sein, dass es etwa ausgeglichen ist zwischen Jungs und Mädchen, dann ist es meist am entspanntesten. Denn sobald es ungleich ist, gibt es ein starkes Geschlecht, welches intern konkurrenter ist, als die in der Minderheit liegenden. Gerade wenn es viele Jungs sind, wird viel gekämpft, intrigiert und im schlimmsten Fall gemobbt. All das habe ich erlebt, teils auch stark an mir. Denn es war noch nie meine Stärke, bei so etwas mitzumachen, womöglich um die Gunst von Damen zu kämpfen.
Sowieso bin ich eigentlich gerade deshalb, wegen meiner Schüchternheit gegenüber Mädchen, sicher, nicht wie meine Familie ständig befürchtet, hetero zu sein. Weshalb sonst sollte mir immer heiß werden, wenn sich eine, womöglich gut aussehend, in meiner Nähe befindet?
Gut, bei Jungs bin ich auch schüchtern, aber da ist dieses Herzrasen nicht, die Angst etwas falsch zu machen. Eher die Angst, anzuecken und so geärgert zu werden. Aber das versteht mein Vater so nicht, der immer darauf pocht, meine Männlichkeit fordern zu wollen.
Es gibt auch ruhige Jungs! Die nicht Testosteron-getränkt sich ständig am Sack kratzen müssen! Und diese sind keine Memmen, dieses Urteil akzeptiere ich nicht. Und ich würde es auch verteidigen. Doch sobald ich das tun will, wird mir heiß, ich bringe keinen Ton raus. Warum?
§§§
Die Zugfahrt geht eine Weile. Ich schaue viel nach draußen, höre Musik. Ich hätte auch lesen können, doch ich wollte kein dickes schweres Buch mitschleppen. Sonst lese ich viel. Alles eigentlich, von Thriller bis Liebesroman.
Irgendwann wird mir bewusst, dass es höchst wahrscheinlich sein sollte, dass auch die Anderen im selben Zug sitzen wie ich. Schließlich sind wir alle Deutsche und dies hier ist die einzige Verbindung, die zeitlich passend infrage kam. Also schaue ich umher. Weit sehen kann ich nicht, die Lehnen sind hoch.
Dann entdecke ich bald zwei junge Personen, die je offensichtlich allein reisen. Ich schaue sie mir an. Beides Mädchen. Die eine Türkin, lesend, etwas dicker. Also eher nicht passend? Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Wie anstrengend es werden könnte, ob man sportlich sein muss, wie ich es einigermaßen bin und diese Türkin offensichtlich nicht.
Das zweite Mädchen ist brünett. Über ihren Ohren ein dicker Kopfhörer. Mir fällt es schwer, sie zu charakterisieren, das war auch generell noch nie meine Stärke. Sie könnte eine Bitch sein, oder sogar total nett. Sie könnte cool sein, schlau oder ungebildet. Sie trägt Pants, was beim Laufen sicher ein Hingucker ist. Sie gefällt mir.
Dabei ertappe ich mich. Bei dem Wunsch, später, wenn wir erstmals unsere Gruppe sehen werden, sie in unseren Reihen zu haben. Wobei ich sie eh nicht ansprechen würde. Traurig.
Ich fantasiere weiter, habe ja sonst nichts zu tun. Baue mir Konstrukte, was ihre Hobbys sein könnten, ob sie Geschwister hat, noch zur Schule geht. Es macht Spaß, wie ich eine Art Traummädchen erstelle. Auch könnte es eine Tücke sein, sollte dann dieses Konstrukt später nicht der Realität entsprechen. Aber es macht Spaß, um nichts anderes geht es.
Irgendwann öffnet sie die Augen, packt ihre Kopfhörer weg, schaut hinaus. Ich beende meine Studie, schau noch einmal zur wohl endlos lesenden dicken Türkin. Dann schalte ich meine Musik wieder ein, schaue hinaus. Wir sind bereits in Norwegen, nicht mehr lange würde die Fahrt gehen. Inzwischen durch wilde fremde Natur.
Das Wetter sieht gut aus. Intensiv hatte ich es studiert im Internet, mehrere Wetterdienste verglichen. Jetzt war es wie erwartet angenehm warm und trocken, Mai. Jedoch wird es nicht so bleiben, da waren sich alle Dienste einig. Es würde sich abkühlen, regnen. Aber gemäßigt, kein Sturm, was echt dumm wäre.
Noch aber ist es ja warm, angenehme 24°C steht an der Anzeige am Waggonende, für diese Breiten sicher nicht schlecht. Die Sonne scheint, wolkenloser Himmel, wenig Wind. Ich habe Urlaubsgefühle!
Wir kommen in Oslo an, von wo aus ich in die Regionalbahn umsteigen muss, welche alle halbe Stunde fährt. So entscheide ich kurz nach dem Aussteigen die erste auszulassen um noch etwas zu essen.
Nach wenigen Metern finde ich einen ‘Nordsee’. Ich gehe hin, es sieht genauso aus wie bei uns. Nur ist alles auf norwegisch, nicht wie man in so einem internationalen Bahnhof meinen könnte auch auf englisch. Jedoch versteht die Bedienung, als ich auf englisch “This please” sage und gibt mir ein belegtes Brötchen.
Nach einem entspannten Verzehren schlender ich noch weiter durch den schicken Bahnhof und schaue am Eingang hinaus. Norwegen. An dieser Stelle überhaupt nicht wild. Sehr sauber, gut gepflegt. Hier und da interessant geschnittene Hecken und Bäume, lichtdurchflutet einer warmen feinen Sonne.
Schließlich gehe ich zurück, suche mein Gleis und steige in meine Bahn, die nun noch etwas über eine Stunde in die Pampa hinausfahren muss, wo uns dann unser Guide erwarten wird …
"Die Tanzenden wurden von denen für verrückt gehalten, die die Musik nicht hörten"
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Beitrag #3, verfasst am 28.12.2018 | 23:41 Uhr
Erst jetzt fällt mir ein, dass es quatsch war, eine Regionalbahn auszulassen. Denn meine Theorie bestätigt sich. Alle sieben Teilnehmer sind mit der selben Bahn gekommen und fünf auch noch direkt danach mit dem Anschlusszug.
So ziehe ich meinen Koffer, den Rucksack auf den Schultern, einer Gruppe von Leuten entgegen, die ein Schild bei sich tragen: “Survival-Team”. Von weitem starren mich alle an. Ein blödes Gefühl nun für mich, in eine bestehende Gruppe einzutreten, die sich wohl schon kennt.
Doch als ich da bin, sehen die meisten sehr nett zu mir. Am nettesten der Coach, jung, sportlich, cool. Bevor er mich begrüßen kann entdecke ich jedoch die dickliche Türkin, die nun so stehend gar nicht so unsportlich wirkt, viel mehr einfach wohl geformt ist.
“Hi. Bist du Simon oder Lucian?”, fragt der Coach zur Begrüßung.
“Äh, Simon. Hallo.”
“Cool, ich bin Michael, aber nenn mich Mic. Willkommen in Norwegen. Ich vermute, du hast deine Bahn verpasst? Nicht schlimm, bist wohl nicht der einzige, es fehlt noch jemand.”
“Ich hatte Hunger und dachte nicht - “ Ich unterbreche, überlege, wie ich es ausdrücken soll. Doch dazu komme ich nicht, denn offensichtlich ist nun auch der letzte unserer Gruppe aufgetaucht. Er kommt auf uns zu. Lucian, dunkelblond, durchschnittliche Erscheinung, unauffällig.
Auch er wird kurz begrüßt. Dann meint Mic, wir würden erstmal losgehen zum Van und auf der Fahrt die erste Vorstellrunde machen. Später im Camp sollte dieser erste Tag zum Kennenlernen da sein.
Nach wenigen Meter erreichen wir den auf dem Parkplatz stehenden ‘Van’, wenn man es so nennen möchte. Eher gleicht es einer großen alten zerdellten Blechbüchse. Hellblau, die Automarke kann ich nicht erraten. Auch zwei der anderen Jungs sehen skeptisch aus. Einer fragt:
“Das Ding kann sich von alleine bewegen?” Mic lacht:
“Oja! Alle unterschätzen den guten alten Willi. Aber der hat ein junges Herz unter der Haube, 135 PS. Der hat gelebt, deshalb sieht er so aus und einer alten Frau bügelst du ja auch nicht die Gesichtsfalten aus!”
Ich grinse. Mic scheint ein wirklich cooler Typ zu sein und so freue ich mich in diesem Moment trotz so großer Aufregung tierisch hier zu sein. Wirklich bin ich überrascht. Über meinen Körper. Mir ist zwar etwas warm, aber keineswegs übel oder unwohl. Pures Adrenalin.
Wir stopfen das Gepäck hinein und Mic öffnet die Tür. Es ist genug Platz, sodass wir zu siebt es gemütlich haben. Unser Coach setzt sich ans Steuer, startet den Motor und beginnt gleich zu labern. Erzählt, was wir alles Tolles machen werden. Wie wir es tun und wie sehr er sich freut. Dass er schon oft so etwas gemacht hat und daher tolle Ideen hat.
Alle hören bis dahin gespannt zu. Noch kennen wir uns nicht, weshalb einige Augenkontakt meiden. Doch dann startet Mic endlich mit der Vorstellrunde, die Mädchen zuerst:
“Hi. Ich bin Sophia. Ähm ich komme aus Niedersachsen, bin 17 Jahre und freue mich total!”
“Erzählt ruhig noch ein wenig mehr”, meint Mic, “was ihr so macht, Hobbys, damit die anderen wissen, wer ihr seid.” Ich sehe das blonde Mädchen an. Sie trägt eine Brille.
“Okay. Also ich reite, also habe ein Pferd bei meiner Oma, die hat einen eigenen Hof, dort habe ich als Kind immer gespielt. Ja und sonst treffe ich mich gerne mit Freunden, spiele auch Cello in der Musikschule.”
Unser Coach bedankt sich. Ich denke nach. Sie sieht wirklich genauso aus, wie eines von diesen Pferde-Verrückten Mädchen, die einen solch schlechten Ruf haben. Dabei sind es eben auch nur spezielle Typen. Ich persönlich hatte damit noch nie ein Problem.
“Äh ich bin Layla”, sagt nun die Türkin. Sie wirkt nicht so selbstbewusst wie eben noch Sophia. Erst nach einer kurzen Pause ergänzt sie:
“Ja und ich lese gerne. Bin jetzt mit Realschule fertig und will Pädagogin werden.” Ich überlege, ob sie mich auch im Zug gesehen hat, was ich nicht glaube. Sie wirkt auf mich nicht sehr spannend, jedoch hat sie ähnliche Probleme mit Aufregung wie ich, scheinbar.
“Hey, ich bin die Jessica!”, hebt nun ein weiteres Mädchen mit langen blonden Haaren die Stimmung. Zum ersten Mal nehme ich sie bewusst war und denke nur eines: Wow. Sie beginnt mit viel Selbstbewusstsein an zu erzählen:
“Ich bin schon 18 und gehe bald in die 12. Klasse, G8. Meine Hobbys sind Volleyball, shoppen und Party machen”, dabei schaut sie uns alle kurz an, uns Jungs.
“Ich bin hier, weil ich mal einen Urlaub ohne meine nervenden Eltern machen wollte. Und weil ich Norwegen spannend finde. Und Abenteuer. Das junge Leben ist zu kurz, um es alleine ohne Action zu verbringen! Ich hoffe ihr helft mir dabei Spaß zu haben!” Einige grinsen, besonders zwei der Jungs, welche sich nun vorstellen sollen.
“So also ich bin der Patrick. Jo, komme aus Hamburg, mache eine Ausbildung zum Energietechniker. Freue mich sehr auf das Survival, also auf die Woche. Bin immer schon der Action-Typ gewesen, Klettern, Fußball, Wildwasser, jo.”
Er wirkt auf mich zunächst etwas schlicht, doch dieses Urteil möchte ich jetzt noch nicht endgültig fällen. Schon einmal ging das schief. Hätte ich den Neuen in der Klasse damals sofort bei uns integriert, hätte er sicher sich mit mir angefreundet. Doch ich hielt ihn - zurecht - nur für einen Unterschichtler. Später mobbte er mich.
“Meine Name ist Lucian, Gymnasiast. Ich mache viel Sport, spiele Klavier und Schlagzeug. Komme aus Kiel. Ich erwarte mir von dieser Tour viel Abenteuer und die Grenzerfahrung. Wie viel schafft mein Körper, welche seelische Belastung halte ich aus, kann ich als Mensch in der wilden Natur meinen Platz finden.”
Er scheint ein interessanter Typ zu sein, klug, überlegt, ruhig. Es wurde nicht geklärt, weshalb er zu spät kam vorhin, ob er auch den ersten Zug ausgelassen hat?
“Ich bin Fabio. Ich bin aus Holstein, gebürtig aber Halb-Italiener. Ich mache zwar auch Sport, will aber mit diesem Ausflug in die Natur richtig körperlich, wie schon Lucian sagte meine Grenzen spüren. Ansonsten tanze ich, spiele Gitarre.”
Auch er macht einen netten Eindruck. Er sieht gut aus, soweit ich das beurteilen darf als Junge, Italiener eben. Für den ersten Moment bin ich beruhigt, scheine ordentliche Kollegen zu haben.
Dann stelle ich mich vor, was ganz gut klappt, zwar ähnelt meine kurze Rede eher der von Layla, als z.B. der von Jessica, jedoch bekomme ich überhaupt etwas raus und meine, einen vernünftigen Eindruck hinterlassen zu haben. Denn am Ende sehen mich alle freundlich an. Mein Puls senkt sich also wieder. Der Minibus fährt. Mic lenkt. Wir sitzen.
Sophia, Layla, Jessica, Patrick, Lucian, Fabio - Simon.
§§§
Die Fahrt dauert. So langsam beginnt mir mein Hintern weh zu tun, schließlich liegen schon einige Stunden Zug hinter mir. Mehrmals schon kam die Frage, wie lange es noch ginge.
Wir sind weit draußen, nur noch selten kommt uns ein Auto entgegen, die Straße aber ist in bester Qualität. Alles andere hätte mich beunruhigt. Nicht dass ich Mic nicht vertraue, aber es wäre schon … gruselig.
Irgendwann aber taucht ein Ortsschild auf, jedoch zu schnell, zu plötzlich, um den seltsamen Namen zu entziffern. Einige schlafen bzw. dösen. Jetzt aber schauen alle auf. Der Van wird langsamer. Vor uns liegt ein wohl winziger Ort.
Mic fährt den Wagen vor ein großes Haus und erklärt uns den Plan. Ich bin aufgeregt, jetzt geht es wohl wirklich los!
...
(Der Roman ist fertig geschrieben, falls noch mehr Kapitel gelesen werden wollen. Insgesamt erstreckt sich alles über etwa 5-6 Tage. Bisher sind etwa 6 % Geschichte rum.)
So ziehe ich meinen Koffer, den Rucksack auf den Schultern, einer Gruppe von Leuten entgegen, die ein Schild bei sich tragen: “Survival-Team”. Von weitem starren mich alle an. Ein blödes Gefühl nun für mich, in eine bestehende Gruppe einzutreten, die sich wohl schon kennt.
Doch als ich da bin, sehen die meisten sehr nett zu mir. Am nettesten der Coach, jung, sportlich, cool. Bevor er mich begrüßen kann entdecke ich jedoch die dickliche Türkin, die nun so stehend gar nicht so unsportlich wirkt, viel mehr einfach wohl geformt ist.
“Hi. Bist du Simon oder Lucian?”, fragt der Coach zur Begrüßung.
“Äh, Simon. Hallo.”
“Cool, ich bin Michael, aber nenn mich Mic. Willkommen in Norwegen. Ich vermute, du hast deine Bahn verpasst? Nicht schlimm, bist wohl nicht der einzige, es fehlt noch jemand.”
“Ich hatte Hunger und dachte nicht - “ Ich unterbreche, überlege, wie ich es ausdrücken soll. Doch dazu komme ich nicht, denn offensichtlich ist nun auch der letzte unserer Gruppe aufgetaucht. Er kommt auf uns zu. Lucian, dunkelblond, durchschnittliche Erscheinung, unauffällig.
Auch er wird kurz begrüßt. Dann meint Mic, wir würden erstmal losgehen zum Van und auf der Fahrt die erste Vorstellrunde machen. Später im Camp sollte dieser erste Tag zum Kennenlernen da sein.
Nach wenigen Meter erreichen wir den auf dem Parkplatz stehenden ‘Van’, wenn man es so nennen möchte. Eher gleicht es einer großen alten zerdellten Blechbüchse. Hellblau, die Automarke kann ich nicht erraten. Auch zwei der anderen Jungs sehen skeptisch aus. Einer fragt:
“Das Ding kann sich von alleine bewegen?” Mic lacht:
“Oja! Alle unterschätzen den guten alten Willi. Aber der hat ein junges Herz unter der Haube, 135 PS. Der hat gelebt, deshalb sieht er so aus und einer alten Frau bügelst du ja auch nicht die Gesichtsfalten aus!”
Ich grinse. Mic scheint ein wirklich cooler Typ zu sein und so freue ich mich in diesem Moment trotz so großer Aufregung tierisch hier zu sein. Wirklich bin ich überrascht. Über meinen Körper. Mir ist zwar etwas warm, aber keineswegs übel oder unwohl. Pures Adrenalin.
Wir stopfen das Gepäck hinein und Mic öffnet die Tür. Es ist genug Platz, sodass wir zu siebt es gemütlich haben. Unser Coach setzt sich ans Steuer, startet den Motor und beginnt gleich zu labern. Erzählt, was wir alles Tolles machen werden. Wie wir es tun und wie sehr er sich freut. Dass er schon oft so etwas gemacht hat und daher tolle Ideen hat.
Alle hören bis dahin gespannt zu. Noch kennen wir uns nicht, weshalb einige Augenkontakt meiden. Doch dann startet Mic endlich mit der Vorstellrunde, die Mädchen zuerst:
“Hi. Ich bin Sophia. Ähm ich komme aus Niedersachsen, bin 17 Jahre und freue mich total!”
“Erzählt ruhig noch ein wenig mehr”, meint Mic, “was ihr so macht, Hobbys, damit die anderen wissen, wer ihr seid.” Ich sehe das blonde Mädchen an. Sie trägt eine Brille.
“Okay. Also ich reite, also habe ein Pferd bei meiner Oma, die hat einen eigenen Hof, dort habe ich als Kind immer gespielt. Ja und sonst treffe ich mich gerne mit Freunden, spiele auch Cello in der Musikschule.”
Unser Coach bedankt sich. Ich denke nach. Sie sieht wirklich genauso aus, wie eines von diesen Pferde-Verrückten Mädchen, die einen solch schlechten Ruf haben. Dabei sind es eben auch nur spezielle Typen. Ich persönlich hatte damit noch nie ein Problem.
“Äh ich bin Layla”, sagt nun die Türkin. Sie wirkt nicht so selbstbewusst wie eben noch Sophia. Erst nach einer kurzen Pause ergänzt sie:
“Ja und ich lese gerne. Bin jetzt mit Realschule fertig und will Pädagogin werden.” Ich überlege, ob sie mich auch im Zug gesehen hat, was ich nicht glaube. Sie wirkt auf mich nicht sehr spannend, jedoch hat sie ähnliche Probleme mit Aufregung wie ich, scheinbar.
“Hey, ich bin die Jessica!”, hebt nun ein weiteres Mädchen mit langen blonden Haaren die Stimmung. Zum ersten Mal nehme ich sie bewusst war und denke nur eines: Wow. Sie beginnt mit viel Selbstbewusstsein an zu erzählen:
“Ich bin schon 18 und gehe bald in die 12. Klasse, G8. Meine Hobbys sind Volleyball, shoppen und Party machen”, dabei schaut sie uns alle kurz an, uns Jungs.
“Ich bin hier, weil ich mal einen Urlaub ohne meine nervenden Eltern machen wollte. Und weil ich Norwegen spannend finde. Und Abenteuer. Das junge Leben ist zu kurz, um es alleine ohne Action zu verbringen! Ich hoffe ihr helft mir dabei Spaß zu haben!” Einige grinsen, besonders zwei der Jungs, welche sich nun vorstellen sollen.
“So also ich bin der Patrick. Jo, komme aus Hamburg, mache eine Ausbildung zum Energietechniker. Freue mich sehr auf das Survival, also auf die Woche. Bin immer schon der Action-Typ gewesen, Klettern, Fußball, Wildwasser, jo.”
Er wirkt auf mich zunächst etwas schlicht, doch dieses Urteil möchte ich jetzt noch nicht endgültig fällen. Schon einmal ging das schief. Hätte ich den Neuen in der Klasse damals sofort bei uns integriert, hätte er sicher sich mit mir angefreundet. Doch ich hielt ihn - zurecht - nur für einen Unterschichtler. Später mobbte er mich.
“Meine Name ist Lucian, Gymnasiast. Ich mache viel Sport, spiele Klavier und Schlagzeug. Komme aus Kiel. Ich erwarte mir von dieser Tour viel Abenteuer und die Grenzerfahrung. Wie viel schafft mein Körper, welche seelische Belastung halte ich aus, kann ich als Mensch in der wilden Natur meinen Platz finden.”
Er scheint ein interessanter Typ zu sein, klug, überlegt, ruhig. Es wurde nicht geklärt, weshalb er zu spät kam vorhin, ob er auch den ersten Zug ausgelassen hat?
“Ich bin Fabio. Ich bin aus Holstein, gebürtig aber Halb-Italiener. Ich mache zwar auch Sport, will aber mit diesem Ausflug in die Natur richtig körperlich, wie schon Lucian sagte meine Grenzen spüren. Ansonsten tanze ich, spiele Gitarre.”
Auch er macht einen netten Eindruck. Er sieht gut aus, soweit ich das beurteilen darf als Junge, Italiener eben. Für den ersten Moment bin ich beruhigt, scheine ordentliche Kollegen zu haben.
Dann stelle ich mich vor, was ganz gut klappt, zwar ähnelt meine kurze Rede eher der von Layla, als z.B. der von Jessica, jedoch bekomme ich überhaupt etwas raus und meine, einen vernünftigen Eindruck hinterlassen zu haben. Denn am Ende sehen mich alle freundlich an. Mein Puls senkt sich also wieder. Der Minibus fährt. Mic lenkt. Wir sitzen.
Sophia, Layla, Jessica, Patrick, Lucian, Fabio - Simon.
§§§
Die Fahrt dauert. So langsam beginnt mir mein Hintern weh zu tun, schließlich liegen schon einige Stunden Zug hinter mir. Mehrmals schon kam die Frage, wie lange es noch ginge.
Wir sind weit draußen, nur noch selten kommt uns ein Auto entgegen, die Straße aber ist in bester Qualität. Alles andere hätte mich beunruhigt. Nicht dass ich Mic nicht vertraue, aber es wäre schon … gruselig.
Irgendwann aber taucht ein Ortsschild auf, jedoch zu schnell, zu plötzlich, um den seltsamen Namen zu entziffern. Einige schlafen bzw. dösen. Jetzt aber schauen alle auf. Der Van wird langsamer. Vor uns liegt ein wohl winziger Ort.
Mic fährt den Wagen vor ein großes Haus und erklärt uns den Plan. Ich bin aufgeregt, jetzt geht es wohl wirklich los!
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(Der Roman ist fertig geschrieben, falls noch mehr Kapitel gelesen werden wollen. Insgesamt erstreckt sich alles über etwa 5-6 Tage. Bisher sind etwa 6 % Geschichte rum.)
"Die Tanzenden wurden von denen für verrückt gehalten, die die Musik nicht hörten"
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Beitrag #4, verfasst am 13.03.2019 | 10:02 Uhr
Hi Cyn,
ganz clever, irgendwann angefangen, meine Gedanken zu deiner Story aufzuschreiben und dann vergessen. Hab’s jetzt erst wiedergefunden, aber vielleicht hilft es dir ja noch. Also fang ich mal ohne noch mehr Umschweife an.
Ich lebe. Tatsächlich, ich lebe. Es ist mir bewusst geworden. Noch kann ich es nicht begreifen. Und die Frage, warum ich? Dieser kleine schwache Welpe.
Mir gefallen die kurzen Sätze, die auf die Irritation des Protagonisten hinweisen. Von der Bedeutung her würde ich aber den dritten und vierten Satz vertauschen, da sich das „bewusst werden“ eher auf das Staunen bezieht. Es wird eine Spannung gehalten, die ein bisschen ruckelt, wenn du das „nicht begreifen“ dazwischenschiebst. In der Regel überlegt man nämlich erst, dass man „etwas“ nicht begreift, wenn „es“ einem bewusst geworden ist, nicht anders herum. Hm, bisschen obskur erklärt, aber besser kann ich es leider nicht.
Auch würde ich nach dem Warum enden. Der letzte Satz klingt erzwungen und irgendwie nicht wie etwas, mit dem sich ein noch halbwegs ehrgeiziger Junge betiteln würde. Irgendwie, als wollte er Mitleid erregen, obwohl er sich sonst ziemlich mit der Situation abzufinden scheint. Meiner Meinung nach nicht ganz passend und es verwässert die starke Frage, bei der sich der Leser neugierig denkt: „Ja, warum du?“ Das mit dem Welpen wirkt so ... random eingeworfen und klingt für mich, als wusstest du an dieser Stelle nicht genau, wie du am besten Eindruck schindest. Klingt eher nach mütterlicher Besorgnis als nach etwas, als das sich eine Figur selbst bezeichnen würde, vielleicht wie das Mitleid eines externen Erzählers, aber dann springst du aus der ersten Person, was du ja explizit vermeiden willst.
Überlebt. Nicht alle schaffen es. Nie schaffen es alle – das ist das Tragische.
Mit einem Bindestrich liest sich der Satz weicher. Ein Text liest sich melodischer, wenn du Sätze unterschiedlicher Länge verwendest. Durch das Abgehackte kommt zwar der Schock des Protas gut heraus, es liest sich aber mit jedem Absatz schwieriger. Verbunden sind einige immer noch kurz genug, bringen aber ein bisschen mehr Schwung in die Sache.
Eine Mutter hat drei Kinder, jedoch nur zwei Zitzen.
Auch hier wieder: Der Vergleich wirkt gezwungen. Selbst wenn du zu Darwin springst, ohne „tierische“ Verhaltensweisen einzustreuen, wird man in der Regel an die Evolutionstheorie denken, in der es die Schwachen eben nicht schaffen. Außerdem, über was für ein Tier redest du hier? Den Menschen? Der wirft nicht auf einmal drei Kinder, zumindest nicht im Normalfall. Durch den Welpen suggerierst du Hunde, aber eine Hündin hat nicht nur zwei, sondern meist so acht bis zehn Zitzen. Hat mich etwas verwirrt. Ich würde die Welpen-Vergleiche wirklich weglassen.
Nicht alle werden es schaffen.
Die dritte Wiederholung sparst du damit auch, denn die ist etwas zu viel des Guten. Zweimal derselbe Satz prägt sich genug ein und unterstreicht seine Wichtigkeit, ein drittes Mal erscheint da nervig, auch wenn das Futur nun einen präkognitiven Aspekt einbringt. Der Leser weiß aber bereits, dass es nicht alle geschafft haben, wodurch er auch vermutet, dass es zukünftig auch welche nicht schaffen werden. Noch einmal explizit darauf hinzuweisen ist überflüssig.
Schon Darwin wusste das. Er fand es heraus. Jedoch ist seine Theorie falsch. Würde sie stimmen, könnte ich mir darüber in diesem Moment keine Gedanken machen.Ego sum, ego existo. Denn würden nur die stärksten gewinnen, wäre ich jetzt tot.
Ich bin kein Fan von lateinischen Phrasen (oder sonstwie fremdsprachlichen). Sie wirken auf mich meist aufgesetzt und überheblich. Vor allem bei jungen Figuren aus der Ich-Perspektive wäre ich damit vorsichtig. Ob die hier passt, kann ich nicht sagen, dazu kenne ich mich zu wenig mit Descartes aus, aber ich finde, dass der Abschnitt ohne diesen Einschub genauso gut klingt.
Ich bin nicht stark. Das weiß jeder, mein Vater, meine Klassenkameraden, das weiß das Schicksal. Kaum jemandem täte es weh, mich zu opfern.
Das Wort klingt komisch. Ich weiß nicht, was du später mit dem Prota vorhast, deswegen ist das eine vorsichtige Anfrage, aber: Würde „verlieren“ nicht besser passen?
Kaum jemand würde jemals auf mich angewiesen sein. Wen könnte ich verteidigen, wenn ich mich nicht mal gegen meinen kleinen Bruder wehren kann?
Hab den Satz exemplarisch geglättet, was ich aber nur an dieser Stelle tun möchte. Deine Rechtschreibung ist gut, das ist ein großes Plus, aber die Grammatik könnte Feinschliff vertragen und auch dein Ausdruck erscheint mir oftmals holprig. Aber das ist vielleicht in den Händen eines Beta-Lesers besser aufgehoben, weswegen ich das im Folgenden außen vorlasse.
Keinesfalls bin ich ein Versager. Auch ich habe Stärken, verborgen. Aber haben sie je etwas gezählt? Womöglich, schließlich habe ich überlebt, was ich noch immer nicht fassen kann
ich bin hier, atme, lebe, denke. So viele andere nicht. Die Stärksten sterben zuerst, denn sie trauen sich zu kämpfen. Das wusste schon Darwin. Und -
Versteh schon, du willst das Wunder, dass dein schwacher Prota überlebt hat, kräftigen, aber übertreib es nicht. Der Leser hat es verstanden, da bin ich mir ziemlich sicher. Lass es weg, auch den Rückgriff auf Darwin, vor allem, weil du ihn hier widersprüchlich anwendest, wenn mich nicht alles täuscht. Oder hat er gesagt, dass die Starken eher sterben, weil sie kämpfen? Ich finde die Antithese (dass eben nicht die Schwachen sterben, sondern die Starken, weil sich die Schwachen hinter ihnen verstecken), richtig gut, aber durch die einrahmenden Sätze, die du schon vorher verwendet hast, wird die Botschaft verwässert. Das Ding hat genug Aussagekraft, um allein zu stehen.
“Soll ich die Frage wiederholen?”
“Das können Sie nicht.” Der Polizist sieht mich irritiert an. “Nichts lässt sich wiederholen, weder das Leben, noch der Tod … “
Ich mag den abrupten Übergang. Hat mich gut aufgeweckt ;). Ich würde das Ausrufezeichen mit Punkt ersetzen, dann schwingt mehr Resignation mit, so wie im letzten Satz auch durch die drei Punkte suggeriert wird.
Im Allgemeinen erinnert mich der Prolog an Herrndorfs „Tschick“. Ich empfinde ja etwas obskure Einleitungen als attraktiv, andere könnten sich künstlich verwirrt fühlen und genervt sein. Außerdem: Dein jugendlicher Erzähler wirkt ziemlich reif und philosophisch, was bei jungen Figuren etwas befremdlich wirkt, obwohl es natürlich auch derart nachdenkliche Jugendliche geben kann. Das dürfte wohl zu sehr Geschmackssache sein, als dass ich drauf rumreiten möchte.
Der Wecker klingelt. Ich schlage die Augen auf und bin sofort wach. 6:00 Uhr. Ob ich mehr als drei Stunden geschlafen habe? Oh wie lange ich nicht einschlafen konnte. Immer wieder sah ich auf die Uhr, das letzte Mal war es nach zwei.
Eigentlich bin ich gar nicht aufgeregt. Eigentlich freue ich mich. Doch das weiß mein Körper ja nicht. Der spürt es aber heimlich, die kleine Aufregung tief drin. Und dann ist es wie vor einer Klassenarbeit.
Ich springe aus dem Bett, renne ins Bad, zum Klo. Ich stecke den Kopf hinein und warte, doch es kommt nichts. Klar, mein Magen ist leer, dennoch ist mir übel.
Warum nur? Warum ist mir immer übel, vor Arbeiten, Referaten, wenn ein Mädchen auf mich zukommt? Dabei bin ich schon 17 Jahre alt, ein Alter in welchem man seinen Körper im Griff haben sollte. Eigentlich.
Zurück im Zimmer ziehe ich mich an. Die Kleider habe ich schon gestern rausgelegt, neben meine Reisetasche und meinen Rucksack.
Bis hierher nichts zu beanstanden. Du zeichnest das Bild eines Teenagers in nervöser Aufbruchsstimmung, in den sich wohl viele gut hineinversetzen können. Ja, es klingt etwas stereotypisch, der schwächliche Nerd oder zumindest nicht der Klassenliebling, sondern ein arg normaler Bengel mit ganz normalen Ängsten. Aber es kommt darauf an, wo du ihn hinbringst, deswegen sehe ich da noch kein Problem. Du solltest aber darauf achten, ihn nicht ins Weinerliche abrutschen zu lassen, denn dann erwartet der Leser nicht allzu viel von ihm.
Der Anblick schickt mir Adrenalin in den Kopf. Ich stelle mir vor, wie ich ihn aufsetze, loslaufe.
Okay, das kapier ich nicht. „Beim Anblick schießt mir Adrenalin durch den Körper“ vielleicht? Und was will der Prota „aufsetzen“? Den adrenalingeschwängerten Kopf? Einen Rucksack setzt man sich schließlich nicht auf, man schnallt ihn um. Und warum will er loslaufen? Ist er auf der Flucht? Also hier solltest du nochmal sinnvoller formulieren, aber auch einen Hinweis darauf geben, warum der Anblick des Rucksacks(?) eine solch heftige Reaktion hervorruft. Scheint ein bisschen übertrieben nur wegen des Reisefiebers.
Ja! Ich freue mich total. Und trotzdem, da ist dieses eine Gefühl, diese eine Angst. Es nicht zu schaffen, wie sonst auch. Es läuft etwas schief – meine Flasche läuft aus, [...] oder meinem Schuh reißt der Schnürsenkel.
Verbinde manche Sätze, damit ungehinderter Textfluss entsteht. Hier ist der Prota noch nicht so verwirrt wie im Prolog, also gibt es keine Entschuldigung für seine abgehackte Redeweise. Es sei denn, du willst ihn die ganze Zeit so „zurückhaltend“ darstellen, was aber für den Leser schnell anstrengend werden könnte. Bei den Befürchtungen würde außerdem eine dritte nicht schaden, bei nur zweien denkt man sich leicht: „Was, nur zwei? Das geht doch noch.“ Drei hingegen ist eine magische Zahl, sie macht ein Ende offen.
“Stimmt, bei deinem kleinen Bruder wäre diese Frage angemessener gewesen.”
Benutz lieber den Namen als zu oft „kleiner Bruder“. Im RL hört man Mütter zu ihren Kindern eher selten sagen „Deine kleine Schwester kommt heute an“ oder „Dein großer Bruder hat eine Sechs in Mathe“. Da heißt es „Lina kommt“ und „Peter hat“. Die Information, dass er einen kleinen Bruder hat, hast du oben schon gegeben. (Nachher bei „gönn es deinem Bruder mal“ passt es, aber hier klingt es konstruiert.)
Man hört die Treppen knautschen.
Treppen knautschen xD? Was soll ich mir darunter vorstellen? Meinst du vielleicht Knarzen, Knarren, Knacken, Ächzen (unter Gewicht)?
Mein Vater kommt herein, lässt sich auf seinen Platz fallen. Schaut zu meiner Mutter, dann zu mir:
“Na mein Jung‘, alles fit?” Ich nicke.
“Das heißt ‘Jawoll’ du Pappnase. Heute ist der Tag deiner Rekrutierung zum Mann. Da will ich mal ein bisschen Energie spüren!”
“Dein Ei, Schatz.” Meine Mutter stellt ihm seinen Frühstücksteller hin, welchen er sofort fokussiert und beginnt zu essen. Auch ich esse. Morgens ist er immer rau. Solange er nichts im Magen hat, sollte man ihm nicht zu viel zumuten.
Okay, Arschloch/Prolet 1 prognostiziert. Ein bisschen zu sehr Holzhammermethode für meinen Geschmack, bei der Mutter schreibst du subtiler und man weiß nicht sofort, ob sie Antipathie verdient oder nicht, aber das kommt natürlich auch immer drauf an, für welche Zielgruppe du schreibst. Ich schätze, ein Jugendroman muss nicht immer jede Charakterisierung durch die Blume transportieren. Wenigstens weiß man hier sofort, wen man nicht mögen braucht.
Erneut geht die Tür auf und mein Bruder Silas kommt herein.
Lass es weg, man kann sich denken, wer er ist, vor allem, wenn du die Mutter ihn zuvor erwähnen lässt.
Auch er lässt sich erstmal wortlos auf einen Stuhl fallen. Er stinkt. Aber ich sage nichts. Das habe schon mal und das gab mächtig Stress. Mein Vater hat sich aufgeregt, das gehöre sich so und ich sei vielleicht eine Schwuchtel, da ich ständig bedacht wäre, gut zu riechen, fremd, wie er sagt.
Sowieso ist das eine seiner großen Ängste. Ich könnte falsch sein. Nicht wie mein Bruder, der schon jetzt mit 15 so offensichtlich hetero ist, dass ich mich manchmal frage, wie wir verwandt sein können.
“Das ist so unfair!”, sind seine ersten Worte an diesem Morgen.
“Was?”, schmatzt mein Vater.
“Na das der so was machen darf, und ich zur scheiß Schule muss!”
“Silas!”, ermahnt meine Mutter, “gönn es deinem Bruder mal, du darfst so etwas dann auch mal machen in ein paar Jahren.”
“Ja danke, aber ich hocke gleich in der Schule und … “ Er hört auf. Mein Vater sieht ihn an.
“Kein Sorge, Sohn. Du bekommst auch noch deine Männlichkeitsprüfung, auch wenn du sie jetzt bereits mit links schaffen würdest, im Gegenteil zu deinem kleinen großen Bruder, nich?” Er lacht kurz. Mein Bruder grinst hämisch.
Oh, ein Arschloch/Prolet 2 gibt’s auch. Charmant. Auch hier wieder: Ziemlich deutlich. Persönlich gefallen mir auch solche einfach gestrickten Figuren, die ich von Anfang an verachten darf. Wenn man alle immer in unzählige Lagen Zwiebelhäute packt, kann das mit der Zeit anstrengen und frustrieren, deshalb bin ich immer dankbar für eine Abwechslung. Nicht jede Figur muss grau sein, sie darf durchaus auch schwarz-weiß gezeichnet sein. Also Folgendes nur als Warnung, nicht als Kritik an den bestehenden Charakterisierungen:
Du musst aufpassen, dass du nicht alle Figuren oder auch nur die „Bösewichter“ allzu eindimensional darstellst, denn auch das wird schnell langweilig. Eine weise Mischung macht‘s und hält die Spannung aufrecht, ob es sich bei diesem oder jenem Charakter nun wirklich um eine böse bzw. gute Figur handelt.
ganz clever, irgendwann angefangen, meine Gedanken zu deiner Story aufzuschreiben und dann vergessen. Hab’s jetzt erst wiedergefunden, aber vielleicht hilft es dir ja noch. Also fang ich mal ohne noch mehr Umschweife an.
Ich lebe. Tatsächlich, ich lebe. Es ist mir bewusst geworden. Noch kann ich es nicht begreifen. Und die Frage, warum ich? Dieser kleine schwache Welpe.
Mir gefallen die kurzen Sätze, die auf die Irritation des Protagonisten hinweisen. Von der Bedeutung her würde ich aber den dritten und vierten Satz vertauschen, da sich das „bewusst werden“ eher auf das Staunen bezieht. Es wird eine Spannung gehalten, die ein bisschen ruckelt, wenn du das „nicht begreifen“ dazwischenschiebst. In der Regel überlegt man nämlich erst, dass man „etwas“ nicht begreift, wenn „es“ einem bewusst geworden ist, nicht anders herum. Hm, bisschen obskur erklärt, aber besser kann ich es leider nicht.
Auch würde ich nach dem Warum enden. Der letzte Satz klingt erzwungen und irgendwie nicht wie etwas, mit dem sich ein noch halbwegs ehrgeiziger Junge betiteln würde. Irgendwie, als wollte er Mitleid erregen, obwohl er sich sonst ziemlich mit der Situation abzufinden scheint. Meiner Meinung nach nicht ganz passend und es verwässert die starke Frage, bei der sich der Leser neugierig denkt: „Ja, warum du?“ Das mit dem Welpen wirkt so ... random eingeworfen und klingt für mich, als wusstest du an dieser Stelle nicht genau, wie du am besten Eindruck schindest. Klingt eher nach mütterlicher Besorgnis als nach etwas, als das sich eine Figur selbst bezeichnen würde, vielleicht wie das Mitleid eines externen Erzählers, aber dann springst du aus der ersten Person, was du ja explizit vermeiden willst.
Überlebt. Nicht alle schaffen es. Nie schaffen es alle – das ist das Tragische.
Mit einem Bindestrich liest sich der Satz weicher. Ein Text liest sich melodischer, wenn du Sätze unterschiedlicher Länge verwendest. Durch das Abgehackte kommt zwar der Schock des Protas gut heraus, es liest sich aber mit jedem Absatz schwieriger. Verbunden sind einige immer noch kurz genug, bringen aber ein bisschen mehr Schwung in die Sache.
Eine Mutter hat drei Kinder, jedoch nur zwei Zitzen.
Auch hier wieder: Der Vergleich wirkt gezwungen. Selbst wenn du zu Darwin springst, ohne „tierische“ Verhaltensweisen einzustreuen, wird man in der Regel an die Evolutionstheorie denken, in der es die Schwachen eben nicht schaffen. Außerdem, über was für ein Tier redest du hier? Den Menschen? Der wirft nicht auf einmal drei Kinder, zumindest nicht im Normalfall. Durch den Welpen suggerierst du Hunde, aber eine Hündin hat nicht nur zwei, sondern meist so acht bis zehn Zitzen. Hat mich etwas verwirrt. Ich würde die Welpen-Vergleiche wirklich weglassen.
Nicht alle werden es schaffen.
Die dritte Wiederholung sparst du damit auch, denn die ist etwas zu viel des Guten. Zweimal derselbe Satz prägt sich genug ein und unterstreicht seine Wichtigkeit, ein drittes Mal erscheint da nervig, auch wenn das Futur nun einen präkognitiven Aspekt einbringt. Der Leser weiß aber bereits, dass es nicht alle geschafft haben, wodurch er auch vermutet, dass es zukünftig auch welche nicht schaffen werden. Noch einmal explizit darauf hinzuweisen ist überflüssig.
Schon Darwin wusste das. Er fand es heraus. Jedoch ist seine Theorie falsch. Würde sie stimmen, könnte ich mir darüber in diesem Moment keine Gedanken machen.
Ich bin kein Fan von lateinischen Phrasen (oder sonstwie fremdsprachlichen). Sie wirken auf mich meist aufgesetzt und überheblich. Vor allem bei jungen Figuren aus der Ich-Perspektive wäre ich damit vorsichtig. Ob die hier passt, kann ich nicht sagen, dazu kenne ich mich zu wenig mit Descartes aus, aber ich finde, dass der Abschnitt ohne diesen Einschub genauso gut klingt.
Ich bin nicht stark. Das weiß jeder, mein Vater, meine Klassenkameraden, das weiß das Schicksal. Kaum jemandem täte es weh, mich zu opfern.
Das Wort klingt komisch. Ich weiß nicht, was du später mit dem Prota vorhast, deswegen ist das eine vorsichtige Anfrage, aber: Würde „verlieren“ nicht besser passen?
Kaum jemand würde jemals auf mich angewiesen sein. Wen könnte ich verteidigen, wenn ich mich nicht mal gegen meinen kleinen Bruder wehren kann?
Hab den Satz exemplarisch geglättet, was ich aber nur an dieser Stelle tun möchte. Deine Rechtschreibung ist gut, das ist ein großes Plus, aber die Grammatik könnte Feinschliff vertragen und auch dein Ausdruck erscheint mir oftmals holprig. Aber das ist vielleicht in den Händen eines Beta-Lesers besser aufgehoben, weswegen ich das im Folgenden außen vorlasse.
Keinesfalls bin ich ein Versager. Auch ich habe Stärken, verborgen. Aber haben sie je etwas gezählt? Womöglich, schließlich habe ich überlebt, was ich noch immer nicht fassen kann
ich bin hier, atme, lebe, denke. So viele andere nicht. Die Stärksten sterben zuerst, denn sie trauen sich zu kämpfen. Das wusste schon Darwin. Und -
Versteh schon, du willst das Wunder, dass dein schwacher Prota überlebt hat, kräftigen, aber übertreib es nicht. Der Leser hat es verstanden, da bin ich mir ziemlich sicher. Lass es weg, auch den Rückgriff auf Darwin, vor allem, weil du ihn hier widersprüchlich anwendest, wenn mich nicht alles täuscht. Oder hat er gesagt, dass die Starken eher sterben, weil sie kämpfen? Ich finde die Antithese (dass eben nicht die Schwachen sterben, sondern die Starken, weil sich die Schwachen hinter ihnen verstecken), richtig gut, aber durch die einrahmenden Sätze, die du schon vorher verwendet hast, wird die Botschaft verwässert. Das Ding hat genug Aussagekraft, um allein zu stehen.
“Soll ich die Frage wiederholen?”
“Das können Sie nicht.” Der Polizist sieht mich irritiert an. “Nichts lässt sich wiederholen, weder das Leben, noch der Tod … “
Ich mag den abrupten Übergang. Hat mich gut aufgeweckt ;). Ich würde das Ausrufezeichen mit Punkt ersetzen, dann schwingt mehr Resignation mit, so wie im letzten Satz auch durch die drei Punkte suggeriert wird.
Im Allgemeinen erinnert mich der Prolog an Herrndorfs „Tschick“. Ich empfinde ja etwas obskure Einleitungen als attraktiv, andere könnten sich künstlich verwirrt fühlen und genervt sein. Außerdem: Dein jugendlicher Erzähler wirkt ziemlich reif und philosophisch, was bei jungen Figuren etwas befremdlich wirkt, obwohl es natürlich auch derart nachdenkliche Jugendliche geben kann. Das dürfte wohl zu sehr Geschmackssache sein, als dass ich drauf rumreiten möchte.
Der Wecker klingelt. Ich schlage die Augen auf und bin sofort wach. 6:00 Uhr. Ob ich mehr als drei Stunden geschlafen habe? Oh wie lange ich nicht einschlafen konnte. Immer wieder sah ich auf die Uhr, das letzte Mal war es nach zwei.
Eigentlich bin ich gar nicht aufgeregt. Eigentlich freue ich mich. Doch das weiß mein Körper ja nicht. Der spürt es aber heimlich, die kleine Aufregung tief drin. Und dann ist es wie vor einer Klassenarbeit.
Ich springe aus dem Bett, renne ins Bad, zum Klo. Ich stecke den Kopf hinein und warte, doch es kommt nichts. Klar, mein Magen ist leer, dennoch ist mir übel.
Warum nur? Warum ist mir immer übel, vor Arbeiten, Referaten, wenn ein Mädchen auf mich zukommt? Dabei bin ich schon 17 Jahre alt, ein Alter in welchem man seinen Körper im Griff haben sollte. Eigentlich.
Zurück im Zimmer ziehe ich mich an. Die Kleider habe ich schon gestern rausgelegt, neben meine Reisetasche und meinen Rucksack.
Bis hierher nichts zu beanstanden. Du zeichnest das Bild eines Teenagers in nervöser Aufbruchsstimmung, in den sich wohl viele gut hineinversetzen können. Ja, es klingt etwas stereotypisch, der schwächliche Nerd oder zumindest nicht der Klassenliebling, sondern ein arg normaler Bengel mit ganz normalen Ängsten. Aber es kommt darauf an, wo du ihn hinbringst, deswegen sehe ich da noch kein Problem. Du solltest aber darauf achten, ihn nicht ins Weinerliche abrutschen zu lassen, denn dann erwartet der Leser nicht allzu viel von ihm.
Der Anblick schickt mir Adrenalin in den Kopf. Ich stelle mir vor, wie ich ihn aufsetze, loslaufe.
Okay, das kapier ich nicht. „Beim Anblick schießt mir Adrenalin durch den Körper“ vielleicht? Und was will der Prota „aufsetzen“? Den adrenalingeschwängerten Kopf? Einen Rucksack setzt man sich schließlich nicht auf, man schnallt ihn um. Und warum will er loslaufen? Ist er auf der Flucht? Also hier solltest du nochmal sinnvoller formulieren, aber auch einen Hinweis darauf geben, warum der Anblick des Rucksacks(?) eine solch heftige Reaktion hervorruft. Scheint ein bisschen übertrieben nur wegen des Reisefiebers.
Ja! Ich freue mich total. Und trotzdem, da ist dieses eine Gefühl, diese eine Angst. Es nicht zu schaffen, wie sonst auch. Es läuft etwas schief – meine Flasche läuft aus, [...] oder meinem Schuh reißt der Schnürsenkel.
Verbinde manche Sätze, damit ungehinderter Textfluss entsteht. Hier ist der Prota noch nicht so verwirrt wie im Prolog, also gibt es keine Entschuldigung für seine abgehackte Redeweise. Es sei denn, du willst ihn die ganze Zeit so „zurückhaltend“ darstellen, was aber für den Leser schnell anstrengend werden könnte. Bei den Befürchtungen würde außerdem eine dritte nicht schaden, bei nur zweien denkt man sich leicht: „Was, nur zwei? Das geht doch noch.“ Drei hingegen ist eine magische Zahl, sie macht ein Ende offen.
“Stimmt, bei deinem kleinen Bruder wäre diese Frage angemessener gewesen.”
Benutz lieber den Namen als zu oft „kleiner Bruder“. Im RL hört man Mütter zu ihren Kindern eher selten sagen „Deine kleine Schwester kommt heute an“ oder „Dein großer Bruder hat eine Sechs in Mathe“. Da heißt es „Lina kommt“ und „Peter hat“. Die Information, dass er einen kleinen Bruder hat, hast du oben schon gegeben. (Nachher bei „gönn es deinem Bruder mal“ passt es, aber hier klingt es konstruiert.)
Man hört die Treppen knautschen.
Treppen knautschen xD? Was soll ich mir darunter vorstellen? Meinst du vielleicht Knarzen, Knarren, Knacken, Ächzen (unter Gewicht)?
Mein Vater kommt herein, lässt sich auf seinen Platz fallen. Schaut zu meiner Mutter, dann zu mir:
“Na mein Jung‘, alles fit?” Ich nicke.
“Das heißt ‘Jawoll’ du Pappnase. Heute ist der Tag deiner Rekrutierung zum Mann. Da will ich mal ein bisschen Energie spüren!”
“Dein Ei, Schatz.” Meine Mutter stellt ihm seinen Frühstücksteller hin, welchen er sofort fokussiert und beginnt zu essen. Auch ich esse. Morgens ist er immer rau. Solange er nichts im Magen hat, sollte man ihm nicht zu viel zumuten.
Okay, Arschloch/Prolet 1 prognostiziert. Ein bisschen zu sehr Holzhammermethode für meinen Geschmack, bei der Mutter schreibst du subtiler und man weiß nicht sofort, ob sie Antipathie verdient oder nicht, aber das kommt natürlich auch immer drauf an, für welche Zielgruppe du schreibst. Ich schätze, ein Jugendroman muss nicht immer jede Charakterisierung durch die Blume transportieren. Wenigstens weiß man hier sofort, wen man nicht mögen braucht.
Erneut geht die Tür auf und mein Bruder Silas kommt herein.
Lass es weg, man kann sich denken, wer er ist, vor allem, wenn du die Mutter ihn zuvor erwähnen lässt.
Auch er lässt sich erstmal wortlos auf einen Stuhl fallen. Er stinkt. Aber ich sage nichts. Das habe schon mal und das gab mächtig Stress. Mein Vater hat sich aufgeregt, das gehöre sich so und ich sei vielleicht eine Schwuchtel, da ich ständig bedacht wäre, gut zu riechen, fremd, wie er sagt.
Sowieso ist das eine seiner großen Ängste. Ich könnte falsch sein. Nicht wie mein Bruder, der schon jetzt mit 15 so offensichtlich hetero ist, dass ich mich manchmal frage, wie wir verwandt sein können.
“Das ist so unfair!”, sind seine ersten Worte an diesem Morgen.
“Was?”, schmatzt mein Vater.
“Na das der so was machen darf, und ich zur scheiß Schule muss!”
“Silas!”, ermahnt meine Mutter, “gönn es deinem Bruder mal, du darfst so etwas dann auch mal machen in ein paar Jahren.”
“Ja danke, aber ich hocke gleich in der Schule und … “ Er hört auf. Mein Vater sieht ihn an.
“Kein Sorge, Sohn. Du bekommst auch noch deine Männlichkeitsprüfung, auch wenn du sie jetzt bereits mit links schaffen würdest, im Gegenteil zu deinem kleinen großen Bruder, nich?” Er lacht kurz. Mein Bruder grinst hämisch.
Oh, ein Arschloch/Prolet 2 gibt’s auch. Charmant. Auch hier wieder: Ziemlich deutlich. Persönlich gefallen mir auch solche einfach gestrickten Figuren, die ich von Anfang an verachten darf. Wenn man alle immer in unzählige Lagen Zwiebelhäute packt, kann das mit der Zeit anstrengen und frustrieren, deshalb bin ich immer dankbar für eine Abwechslung. Nicht jede Figur muss grau sein, sie darf durchaus auch schwarz-weiß gezeichnet sein. Also Folgendes nur als Warnung, nicht als Kritik an den bestehenden Charakterisierungen:
Du musst aufpassen, dass du nicht alle Figuren oder auch nur die „Bösewichter“ allzu eindimensional darstellst, denn auch das wird schnell langweilig. Eine weise Mischung macht‘s und hält die Spannung aufrecht, ob es sich bei diesem oder jenem Charakter nun wirklich um eine böse bzw. gute Figur handelt.
Ich Unverbesserlich – Realitätsferner Happy-Go-Lucky-Typ, der Kitsch über Schmarrn schreibt und auch noch meint, damit die Welt ein bisschen fröhlicher zu gestalten. ✌(≖‿≖)✌ (Außerdem hab ich offensichtlich zwei linke Hände.)
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Beitrag #5, verfasst am 13.03.2019 | 10:03 Uhr
Dann gehe ich hinunter, wo bereits meine Eltern stehen und auf mich warten. Mein Vater nimmt den kleinen Koffer und wir gehen hinaus zu unserem Wagen, legen die Sachen in den Kofferraum. Dann gehe ich zu meiner Mutter, drücke sie fest.
Ab hier fiel mir endlich auf, dass du dir die Umgebungsbeschreibung und das Aussehen der Figuren sparst, aber dafür jeden Schritt, den der Prota tut, nennst. Er geht nach links, er geht nach rechts, er geht nach oben, er geht nach unten, er geht zum Auto, er geht zurück ... Nicht jeder Weg muss in „Echtzeit“ an den Mann gebracht werden, das wird irgendwann, wenn es nicht stilistisch so gewollt und dem Gesamtergebnis von Nutzen ist, langatmig. Nehmen wir deinen ersten Satz. Du könntest stattdessen schreiben:
„Meine Eltern warten bereits an der Straße auf mich und mein Vater hilft mir, das Reisegepäck im Wagen zu verstauen. Dann umarme ich Mama noch einmal fest zum Abschied.“
Der Leser kann einem Text auch dann folgen, wenn du nicht explizit darauf hinweist, wohin der Prota soeben marschiert. Mehr oder geringere Zuneigung kannst du gerade beim Ich-Erzähler gut transportieren, indem du die Bezeichnungen geschäftlicher oder inniger werden lässt, wie hier bei „Vater“ und „Mama“. Wenn du ständig schreibst, „mein Vater“, „meine Mutter“, „mein Bruder“ erzeugst du ein Gefühl von Abstand, den Simon ja zumindest zur Mutter nun nicht hat, wenn ich das recht verstanden habe, und was die Kluft zu den männlichen Familienmitgliedern noch subtil verschärft.
Viel mehr werden andere wohl den Mangel an sonstiger Beschreibung beanstanden. Ich bin ein spartanischer Leser und mich stört sowas nicht (lese z.B. gerade „Die Vermessung der Welt“ und mir fehlt nichts). Es gibt aber ziemlich viele, die eine Beschreibung haben wollen, damit sie sich deine Welt vorstellen können. Klar wirst du jetzt sagen, dass wohl jeder Mensch weiß, wie eine Toilettenschüssel aussieht, zumindest in groben Zügen, und ja, du hast recht. Ich fürchte, bei diesem Punkt gibt es keinen Nonplusultra-Tipp. Entweder du schreibst in diesem (deinem) Stil weiter oder du versuchst, es mehr Leuten recht zu machen.
Man muss bedenken, dass die Story gerade erst anläuft, allerdings achten auch viele gerade auf den Anfang und wenn du dann nicht begeisterst, klicken sie schnell weg. Man kann es nicht allen recht machen, aber achte eventuell darauf, ein bisschen mehr Substanz in das Geschehen zu bringen, indem du dem Leser das Aussehen von Räumlichkeiten und Figuren näherbringst, damit du ihn nicht im luftleeren Raum stehen lässt.
“Du kennst ihn doch, Pubertät. Ich wünsch dir alles gute, lerne ein nettes Mädchen kennen.
Klingt gezwungen. Keine Ahnung, sagt man das als Mutter? Wünscht man dem Sohn nicht eher allgemein neue Freundschaften und viel Spaß? „Alles Gute“ hört sich eher nach Abschied auf immer an und „nettes Mädchen“ nach „geh endlich heiraten, du Mamakind“ oder sogar „beweis diesen Typen, dass du nicht schwul bist“. Es sei denn natürlich, das ist genau das, was du erreichen wolltest.
Norwegen. Obwohl ich in Holstein wohne, war ich noch nie dort. Norwegen, ein schönes kaltes wildes Land. Das erwarte ich zumindest. Eine ganze Woche werde ich das Land spüren, zusammen mit sieben anderen Jugendlichen.
Ich, oder eigentlich mein Vater, habe mich angemeldet für eine Woche Survival. Das heißt acht junge Erwachsene werden zusammen mit einem Profi in die Wildnis gehen. Wir werden unter freiem Himmel schlafen, hauptsächlich Dinge aus der Natur essen und den ganzen Tag draußen verbringen. Wir werden Abenteuer erleben. Das soll total spannend werden.
Und dann auch noch in Norwegen. Einem fremden wilden Land, in dem man ohne Probleme mal eine Woche keine Menschenseele trifft. Dafür vielleicht Bären oder, wie ich so sehr hoffe, Elche.
In den Unterlagen ist gestanden, wir würden nur einmal nach drei von sechs Nächten das Dorf aufsuchen und die Kleider wechseln, Not-Proviant auffüllen.
Besonders bin ich auf die anderen Teilnehmer gespannt. Schließlich hängt es auch sehr von den Kamerade ab, wie viel Spaß es macht. Wenn sie nett sind, normal und nicht fies. In der Schule habe ich so viele Idioten. So sollten diese hier, zu so einer tollen Aktion angemeldet, doch eigentlich ganz in Ordnung und gebildet sein.
So viel schlechte Erfahrung schon habe ich gemacht. Auch außerhalb der Schule. Grüppchen-Bildung. Manche grenzen sich dann ab, weil sie sich für etwas Besseres halten. Manchmal schweißt das die anderen Vergessenen dann zusammen, manchmal erzeugt das viele arme Verlorene.
Jedoch glaube ich, würde das nicht passieren hier. Schließlich werden wir einen Coach haben, der uns gut leiten und strukturieren wird. Laut den Unterlagen hat er viel Erfahrung, macht das schon seit Jahren.
Ich mag diesen Abschnitt. Hab mich da mit Rückblick auf den ominösen Prolog sofort gefragt, wann genau in einem gut geführten Survival-Camp mit Aussicht auf Charakterbildung und Spaß in der Natur plötzlich dieKacke zu dampfen angefangen hat Katastrophe ausgebrochen sein mag. Geschickt gemacht.
Bei dem folgenden Abschnitt enthalte ich mich vornehm. Sobald Liebe oder Beziehungen oder Beziehungsprobleme ins Spiel kommen, schalte ich automatisch ab, weil es für mich vollkommen uninteressant ist. Ich sehe aber auch ein, dass Romantik und alles was dazu gehört (auch Explizites) schon immer ein für die meisten anderen außerordentlich spannendes Thema war, ist und bleiben wird und das vor allem bei Jugendlichen als gesunde Auseinandersetzung mit der eigenen Identität gilt, deswegen halt ich mich hier mit meiner Enttäuschung zurück.
Die Zugfahrt geht eine Weile. Ich schaue viel nach draußen, höre Musik. Ich hätte auch lesen können, doch ich wollte kein dickes schweres Buch mitschleppen. Sonst lese ich viel. Alles eigentlich, von Thriller bis Liebesroman.
Irgendwann wird mir bewusst, dass es höchst wahrscheinlich sein sollte, dass auch die Anderen im selben Zug sitzen wie ich. Schließlich sind wir alle Deutsche und dies hier ist die einzige Verbindung, die zeitlich passend infrage kam. Also schaue ich umher. Weit sehen kann ich nicht, die Lehnen sind hoch.
Hier wurde meine Aufmerksamkeit wieder angehoben, weil mehr von den Umständen und der Charakterisierung des Protas preisgegeben wird, aber für einen weiteren Abschnitt hast du mich nochmal verloren, während der Prota sich psychopathetischen Luftschlössern hingibt. Klingt für mich schon fast besorgniserregend, aber zumindest scheint er ziemlich verzweifelt zu sein bezüglich seines nicht existierenden Liebeslebens, wenn er „aus Spaß“ aus wildfremden nichtsahnenden Mädchen Ehefrauen zusammenbrezelt.
Das Wetter sieht gut aus. Intensiv hatte ich es studiert im Internet, mehrere Wetterdienste verglichen. Jetzt war es wie erwartet angenehm warm und trocken, Mai. Jedoch wird es nicht so bleiben, da waren sich alle Dienste einig. Es würde sich abkühlen, regnen. Aber gemäßigt, kein Sturm, was echt dumm wäre.
Noch aber ist es ja warm, angenehme 24°C steht an der Anzeige am Waggonende, für diese Breiten sicher nicht schlecht. Die Sonne scheint, wolkenloser Himmel, wenig Wind. Ich habe Urlaubsgefühle!
Guter Einsatz düsterer Vorahnung. Dabei muss es noch nicht mal ein wetterbedingter Sturm sein, der zur Katastrophe führt, man könnte das auch im übertragenen Sinne sehen als Sturm der Gefühle oder Ereignisse. Erzeugt auf jeden Fall ein mulmiges Gefühl.
Der Teil mit dem Auslassen des Zugs ist etwas langatmig. Der Punkt ist ja, dass sich im Off praktisch die Gruppe ohne den Prota formt, aber später ist das überhaupt kein Problem, also nur für eine Sekunde Besorgnis erkenne ich den Sinn dieses Abschnitts nicht an. Für den sehr geringen Impact erläuterst du es auch viel zu ausführlich, dazu hätte eine Zusammenfassung gereicht wie z.B.:
„Bei meiner Ankunft sterbe ich vor Hunger, wahrscheinlich hat mir meine unterschwellige Nervosität die Fahrt über den Magen ausgehöhlt. Ist auch eigentlich egal, ich muss was essen, und als ich beim Studieren der Fahrpläne erkenne, dass die Regionalbahn sowieso alle halbe Stunde fährt, entscheide ich mich für die spätere, um mir erst ein Fischbrötchen vom naheliegenden Imbiss zu genehmigen. Später merke ich, dass das wohl keine gute Idee gewesen ist. Alle sind schon da und [...]“
Und so weiter. Halt die Wege kürzer, sozusagen, aber mit nicht weniger Inhalt.
Nach wenigen Meter erreichen wir den auf dem Parkplatz stehenden ‘Van’, wenn man es so nennen möchte. Eher gleicht es einer großen alten zerdellten Blechbüchse. Hellblau, die Automarke kann ich nicht erraten. Auch zwei der anderen Jungs sehen skeptisch aus. Einer fragt:
“Das Ding kann sich von alleine bewegen?” Mic lacht:
“Oja! Alle unterschätzen den guten alten Willi. Aber der hat ein junges Herz unter der Haube, 135 PS. Der hat gelebt, deshalb sieht er so aus und einer alten Frau bügelst du ja auch nicht die Gesichtsfalten aus!”
Das alte klapprige Auto mit mehr Charisma als Leistung, ach ja. Solche Fahrzeuge mögen ja eine Menge Spaß versprechen, zumindest für alle Unbeteiligten, aber ich finde es hier nicht wirklich passend. Solange nicht alle Eltern dieser Kinder Arschlöcher sind wie Simons Vater, glaube ich nicht, dass sie sie einer Verantwortung übertragen, die auf gut Glück in menschenleere Gegenden zwiebelt. Kann mir nicht vorstellen, dass gerade Jugendbetreuer mit derart unzuverlässigen Arbeitsmitteln stehen gelassen werden, nur um romantisch-nostalgisch-urige Atmosphäre zu erzeugen. Aber ich kenne mich nicht mit Survival-Camps aus. Vielleicht werden da ja tatsächlich unzuverlässige Schleudern eingesetzt, die im Notfall eine 50/50-Chance zum Absaufen haben, um ein passendes Setting zu erzeugen xD.
Die Vorstellungsrunde.
Hm, ja. Dazu fällt mir nur ein Wort ein: Unspektakulär. Die Figuren klingen stereotypisch. Der coole Führer mit knarrendem, aber total treuem Vehikel, ein Reitermädchen, ein schüchternes Mädchen, eine Partybombe und Männermagnet, was sich in den Reaktionen der Jungs sofort widerspiegelt, was wiederum den ach so typischen Sexualtrieb männlicher Jugendlicher unterstreicht, sportliche Jungs (die sogar mehrheitlich ein oder mehr Instrumente spielen) was aber hier sehr nachvollziehbar ist, immerhin ist es ein Angebot für eher aktive Leute. Interessanter wäre es z.B. gewesen, mal einen Pferdejungen mit rein zu nehmen, der dann schon erste Witzeleien über sich ergehen lassen muss, was den Prota schon auf die erste Stufe innerer Spannung bringt, weil er schon fürchtet, wieder selbst zum Ziel zu werden.
Andererseits unterstützt diese eher flaue Charakterisierung eine Ruhe vor dem Sturm, man denkt sich sofort, wie sich diese 08/15-Typen entwickeln, wenn passiert, was offenbar im Prolog schon passiert ist. Wie sich ihre Charaktere bilden. Und man fragt sich auch, ob und wer später daran schuld sein könnte, dass alles den Bach runtergeht.
So früh in der Handlung will ich nicht zu sehr drüber meckern. Anscheinend schreibst du im Moment ja noch absichtlich so, dass sich keine Spannungen in der Gruppe heben.
Die Fahrt dauert. So langsam beginnt mir mein Hintern weh zu tun, schließlich liegen schon einige Stunden Zug hinter mir. Mehrmals schon kam die Frage, wie lange es noch ginge.
Wir sind weit draußen, nur noch selten kommt uns ein Auto entgegen, die Straße aber ist in bester Qualität. Alles andere hätte mich beunruhigt. Nicht dass ich Mic nicht vertraue, aber es wäre schon … gruselig.
Irgendwann aber taucht ein Ortsschild auf, jedoch zu schnell, zu plötzlich, um den seltsamen Namen zu entziffern. Einige schlafen bzw. dösen. Jetzt aber schauen alle auf. Der Van wird langsamer. Vor uns liegt ein wohl winziger Ort.
Mic fährt den Wagen vor ein großes Haus und erklärt uns den Plan. Ich bin aufgeregt, jetzt geht es wohl wirklich los!
Gefällt mir, wie du eine Mischung aus Isolation mit letzten Zeichen von Zivilisation erzeugst. (Eine brüchige Straße hätte ihn beunruhigt, aber dem Van vertraut er? Naja, okay xD.)
Fazit:
Im Allgemeinen behaupte ich mal, dass die Handlung durchaus Potenzial hat, ich für meinen Teil war am Anfang schon interessiert daran, wie es dazu kommt, dass ein Urlaubsausflug in umfassendes Sterben übergeht. Allerdings ist mir die Umsetzung ein bisschen zu steril, eher einem Protokoll ähnlich: Und dann hab ich das gemacht und dann bin ich dahin gegangen und dann bin ich zurück gegangen und habe jenes gemacht und dann ... Ein Allheilmittel für sowas gibt es auch nicht, du musst einerseits selbst entscheiden, was du für wichtig hältst, andererseits musst du auch ein Gefühl dafür entwickeln, wie du Ausuferungen vermeidest. Ich bin nicht so streng mit „überflüssigen“ Informationen wie manch anderer, in vielen Fällen trägt mancher vermeintlich sinnlose Exkurs übers Leben der Pflastersteine zumindest zur Charakterisierung von irgendetwas bei. Aber ich denke schon, dass du einige Stellen durchaus zusammenfassen könntest, wie ich es in meinen Beispielen versucht habe. Das strafft das Gewebe, gleiche Masse auf weniger Fläche sozusagen, und lässt die Handlung nicht so im Wind leiern.
Die Erzählperspektive hast du größtenteils eingehalten, auf jeden Fall kann ich mich nicht erinnern, über etwas sonderlich gestolpert zu sein, außer dem oben genannten Fall.
Spannung erzeugst du auch, wie gesagt, möchte man schon wissen, wie es weitergeht, aber der Anfang ist etwas zu detailreich, leider aber fokussiert auf langweilige Details. Deshalb würde ich sagen, ja, das „Tempo der chronologischen Erzählung am Anfang“ ist zu niedrig. Du solltest es wirklich anziehen.
Die Dramaturgie würde ich als gar nicht schlecht bezeichnen, vor allem wegen des verwirrenden Prologs. Der gefällt mir echt gut und ohne ihn hätte ich, tut mir leid, das erste Kapitel nicht mal zu Ende gelesen. Eine Geschichte mit einem Oh-Shit-Moment zu beginnen kann zwar in die Hose gehen, wenn man den Leser zu schnell zu stark verwirrt, aber hier ist es eher ein Antrieb, der die Leser bei Laune hält, bis die Story an Fahrt aufnimmt.
Das war’s, hoffe, ich konnte dir trotz verstrichener Zeit noch helfen ;).
Ab hier fiel mir endlich auf, dass du dir die Umgebungsbeschreibung und das Aussehen der Figuren sparst, aber dafür jeden Schritt, den der Prota tut, nennst. Er geht nach links, er geht nach rechts, er geht nach oben, er geht nach unten, er geht zum Auto, er geht zurück ... Nicht jeder Weg muss in „Echtzeit“ an den Mann gebracht werden, das wird irgendwann, wenn es nicht stilistisch so gewollt und dem Gesamtergebnis von Nutzen ist, langatmig. Nehmen wir deinen ersten Satz. Du könntest stattdessen schreiben:
„Meine Eltern warten bereits an der Straße auf mich und mein Vater hilft mir, das Reisegepäck im Wagen zu verstauen. Dann umarme ich Mama noch einmal fest zum Abschied.“
Der Leser kann einem Text auch dann folgen, wenn du nicht explizit darauf hinweist, wohin der Prota soeben marschiert. Mehr oder geringere Zuneigung kannst du gerade beim Ich-Erzähler gut transportieren, indem du die Bezeichnungen geschäftlicher oder inniger werden lässt, wie hier bei „Vater“ und „Mama“. Wenn du ständig schreibst, „mein Vater“, „meine Mutter“, „mein Bruder“ erzeugst du ein Gefühl von Abstand, den Simon ja zumindest zur Mutter nun nicht hat, wenn ich das recht verstanden habe, und was die Kluft zu den männlichen Familienmitgliedern noch subtil verschärft.
Viel mehr werden andere wohl den Mangel an sonstiger Beschreibung beanstanden. Ich bin ein spartanischer Leser und mich stört sowas nicht (lese z.B. gerade „Die Vermessung der Welt“ und mir fehlt nichts). Es gibt aber ziemlich viele, die eine Beschreibung haben wollen, damit sie sich deine Welt vorstellen können. Klar wirst du jetzt sagen, dass wohl jeder Mensch weiß, wie eine Toilettenschüssel aussieht, zumindest in groben Zügen, und ja, du hast recht. Ich fürchte, bei diesem Punkt gibt es keinen Nonplusultra-Tipp. Entweder du schreibst in diesem (deinem) Stil weiter oder du versuchst, es mehr Leuten recht zu machen.
Man muss bedenken, dass die Story gerade erst anläuft, allerdings achten auch viele gerade auf den Anfang und wenn du dann nicht begeisterst, klicken sie schnell weg. Man kann es nicht allen recht machen, aber achte eventuell darauf, ein bisschen mehr Substanz in das Geschehen zu bringen, indem du dem Leser das Aussehen von Räumlichkeiten und Figuren näherbringst, damit du ihn nicht im luftleeren Raum stehen lässt.
“Du kennst ihn doch, Pubertät. Ich wünsch dir alles gute, lerne ein nettes Mädchen kennen.
Klingt gezwungen. Keine Ahnung, sagt man das als Mutter? Wünscht man dem Sohn nicht eher allgemein neue Freundschaften und viel Spaß? „Alles Gute“ hört sich eher nach Abschied auf immer an und „nettes Mädchen“ nach „geh endlich heiraten, du Mamakind“ oder sogar „beweis diesen Typen, dass du nicht schwul bist“. Es sei denn natürlich, das ist genau das, was du erreichen wolltest.
Norwegen. Obwohl ich in Holstein wohne, war ich noch nie dort. Norwegen, ein schönes kaltes wildes Land. Das erwarte ich zumindest. Eine ganze Woche werde ich das Land spüren, zusammen mit sieben anderen Jugendlichen.
Ich, oder eigentlich mein Vater, habe mich angemeldet für eine Woche Survival. Das heißt acht junge Erwachsene werden zusammen mit einem Profi in die Wildnis gehen. Wir werden unter freiem Himmel schlafen, hauptsächlich Dinge aus der Natur essen und den ganzen Tag draußen verbringen. Wir werden Abenteuer erleben. Das soll total spannend werden.
Und dann auch noch in Norwegen. Einem fremden wilden Land, in dem man ohne Probleme mal eine Woche keine Menschenseele trifft. Dafür vielleicht Bären oder, wie ich so sehr hoffe, Elche.
In den Unterlagen ist gestanden, wir würden nur einmal nach drei von sechs Nächten das Dorf aufsuchen und die Kleider wechseln, Not-Proviant auffüllen.
Besonders bin ich auf die anderen Teilnehmer gespannt. Schließlich hängt es auch sehr von den Kamerade ab, wie viel Spaß es macht. Wenn sie nett sind, normal und nicht fies. In der Schule habe ich so viele Idioten. So sollten diese hier, zu so einer tollen Aktion angemeldet, doch eigentlich ganz in Ordnung und gebildet sein.
So viel schlechte Erfahrung schon habe ich gemacht. Auch außerhalb der Schule. Grüppchen-Bildung. Manche grenzen sich dann ab, weil sie sich für etwas Besseres halten. Manchmal schweißt das die anderen Vergessenen dann zusammen, manchmal erzeugt das viele arme Verlorene.
Jedoch glaube ich, würde das nicht passieren hier. Schließlich werden wir einen Coach haben, der uns gut leiten und strukturieren wird. Laut den Unterlagen hat er viel Erfahrung, macht das schon seit Jahren.
Ich mag diesen Abschnitt. Hab mich da mit Rückblick auf den ominösen Prolog sofort gefragt, wann genau in einem gut geführten Survival-Camp mit Aussicht auf Charakterbildung und Spaß in der Natur plötzlich die
Bei dem folgenden Abschnitt enthalte ich mich vornehm. Sobald Liebe oder Beziehungen oder Beziehungsprobleme ins Spiel kommen, schalte ich automatisch ab, weil es für mich vollkommen uninteressant ist. Ich sehe aber auch ein, dass Romantik und alles was dazu gehört (auch Explizites) schon immer ein für die meisten anderen außerordentlich spannendes Thema war, ist und bleiben wird und das vor allem bei Jugendlichen als gesunde Auseinandersetzung mit der eigenen Identität gilt, deswegen halt ich mich hier mit meiner Enttäuschung zurück.
Die Zugfahrt geht eine Weile. Ich schaue viel nach draußen, höre Musik. Ich hätte auch lesen können, doch ich wollte kein dickes schweres Buch mitschleppen. Sonst lese ich viel. Alles eigentlich, von Thriller bis Liebesroman.
Irgendwann wird mir bewusst, dass es höchst wahrscheinlich sein sollte, dass auch die Anderen im selben Zug sitzen wie ich. Schließlich sind wir alle Deutsche und dies hier ist die einzige Verbindung, die zeitlich passend infrage kam. Also schaue ich umher. Weit sehen kann ich nicht, die Lehnen sind hoch.
Hier wurde meine Aufmerksamkeit wieder angehoben, weil mehr von den Umständen und der Charakterisierung des Protas preisgegeben wird, aber für einen weiteren Abschnitt hast du mich nochmal verloren, während der Prota sich psychopathetischen Luftschlössern hingibt. Klingt für mich schon fast besorgniserregend, aber zumindest scheint er ziemlich verzweifelt zu sein bezüglich seines nicht existierenden Liebeslebens, wenn er „aus Spaß“ aus wildfremden nichtsahnenden Mädchen Ehefrauen zusammenbrezelt.
Das Wetter sieht gut aus. Intensiv hatte ich es studiert im Internet, mehrere Wetterdienste verglichen. Jetzt war es wie erwartet angenehm warm und trocken, Mai. Jedoch wird es nicht so bleiben, da waren sich alle Dienste einig. Es würde sich abkühlen, regnen. Aber gemäßigt, kein Sturm, was echt dumm wäre.
Noch aber ist es ja warm, angenehme 24°C steht an der Anzeige am Waggonende, für diese Breiten sicher nicht schlecht. Die Sonne scheint, wolkenloser Himmel, wenig Wind. Ich habe Urlaubsgefühle!
Guter Einsatz düsterer Vorahnung. Dabei muss es noch nicht mal ein wetterbedingter Sturm sein, der zur Katastrophe führt, man könnte das auch im übertragenen Sinne sehen als Sturm der Gefühle oder Ereignisse. Erzeugt auf jeden Fall ein mulmiges Gefühl.
Der Teil mit dem Auslassen des Zugs ist etwas langatmig. Der Punkt ist ja, dass sich im Off praktisch die Gruppe ohne den Prota formt, aber später ist das überhaupt kein Problem, also nur für eine Sekunde Besorgnis erkenne ich den Sinn dieses Abschnitts nicht an. Für den sehr geringen Impact erläuterst du es auch viel zu ausführlich, dazu hätte eine Zusammenfassung gereicht wie z.B.:
„Bei meiner Ankunft sterbe ich vor Hunger, wahrscheinlich hat mir meine unterschwellige Nervosität die Fahrt über den Magen ausgehöhlt. Ist auch eigentlich egal, ich muss was essen, und als ich beim Studieren der Fahrpläne erkenne, dass die Regionalbahn sowieso alle halbe Stunde fährt, entscheide ich mich für die spätere, um mir erst ein Fischbrötchen vom naheliegenden Imbiss zu genehmigen. Später merke ich, dass das wohl keine gute Idee gewesen ist. Alle sind schon da und [...]“
Und so weiter. Halt die Wege kürzer, sozusagen, aber mit nicht weniger Inhalt.
Nach wenigen Meter erreichen wir den auf dem Parkplatz stehenden ‘Van’, wenn man es so nennen möchte. Eher gleicht es einer großen alten zerdellten Blechbüchse. Hellblau, die Automarke kann ich nicht erraten. Auch zwei der anderen Jungs sehen skeptisch aus. Einer fragt:
“Das Ding kann sich von alleine bewegen?” Mic lacht:
“Oja! Alle unterschätzen den guten alten Willi. Aber der hat ein junges Herz unter der Haube, 135 PS. Der hat gelebt, deshalb sieht er so aus und einer alten Frau bügelst du ja auch nicht die Gesichtsfalten aus!”
Das alte klapprige Auto mit mehr Charisma als Leistung, ach ja. Solche Fahrzeuge mögen ja eine Menge Spaß versprechen, zumindest für alle Unbeteiligten, aber ich finde es hier nicht wirklich passend. Solange nicht alle Eltern dieser Kinder Arschlöcher sind wie Simons Vater, glaube ich nicht, dass sie sie einer Verantwortung übertragen, die auf gut Glück in menschenleere Gegenden zwiebelt. Kann mir nicht vorstellen, dass gerade Jugendbetreuer mit derart unzuverlässigen Arbeitsmitteln stehen gelassen werden, nur um romantisch-nostalgisch-urige Atmosphäre zu erzeugen. Aber ich kenne mich nicht mit Survival-Camps aus. Vielleicht werden da ja tatsächlich unzuverlässige Schleudern eingesetzt, die im Notfall eine 50/50-Chance zum Absaufen haben, um ein passendes Setting zu erzeugen xD.
Die Vorstellungsrunde.
Hm, ja. Dazu fällt mir nur ein Wort ein: Unspektakulär. Die Figuren klingen stereotypisch. Der coole Führer mit knarrendem, aber total treuem Vehikel, ein Reitermädchen, ein schüchternes Mädchen, eine Partybombe und Männermagnet, was sich in den Reaktionen der Jungs sofort widerspiegelt, was wiederum den ach so typischen Sexualtrieb männlicher Jugendlicher unterstreicht, sportliche Jungs (die sogar mehrheitlich ein oder mehr Instrumente spielen) was aber hier sehr nachvollziehbar ist, immerhin ist es ein Angebot für eher aktive Leute. Interessanter wäre es z.B. gewesen, mal einen Pferdejungen mit rein zu nehmen, der dann schon erste Witzeleien über sich ergehen lassen muss, was den Prota schon auf die erste Stufe innerer Spannung bringt, weil er schon fürchtet, wieder selbst zum Ziel zu werden.
Andererseits unterstützt diese eher flaue Charakterisierung eine Ruhe vor dem Sturm, man denkt sich sofort, wie sich diese 08/15-Typen entwickeln, wenn passiert, was offenbar im Prolog schon passiert ist. Wie sich ihre Charaktere bilden. Und man fragt sich auch, ob und wer später daran schuld sein könnte, dass alles den Bach runtergeht.
So früh in der Handlung will ich nicht zu sehr drüber meckern. Anscheinend schreibst du im Moment ja noch absichtlich so, dass sich keine Spannungen in der Gruppe heben.
Die Fahrt dauert. So langsam beginnt mir mein Hintern weh zu tun, schließlich liegen schon einige Stunden Zug hinter mir. Mehrmals schon kam die Frage, wie lange es noch ginge.
Wir sind weit draußen, nur noch selten kommt uns ein Auto entgegen, die Straße aber ist in bester Qualität. Alles andere hätte mich beunruhigt. Nicht dass ich Mic nicht vertraue, aber es wäre schon … gruselig.
Irgendwann aber taucht ein Ortsschild auf, jedoch zu schnell, zu plötzlich, um den seltsamen Namen zu entziffern. Einige schlafen bzw. dösen. Jetzt aber schauen alle auf. Der Van wird langsamer. Vor uns liegt ein wohl winziger Ort.
Mic fährt den Wagen vor ein großes Haus und erklärt uns den Plan. Ich bin aufgeregt, jetzt geht es wohl wirklich los!
Gefällt mir, wie du eine Mischung aus Isolation mit letzten Zeichen von Zivilisation erzeugst. (Eine brüchige Straße hätte ihn beunruhigt, aber dem Van vertraut er? Naja, okay xD.)
Fazit:
Im Allgemeinen behaupte ich mal, dass die Handlung durchaus Potenzial hat, ich für meinen Teil war am Anfang schon interessiert daran, wie es dazu kommt, dass ein Urlaubsausflug in umfassendes Sterben übergeht. Allerdings ist mir die Umsetzung ein bisschen zu steril, eher einem Protokoll ähnlich: Und dann hab ich das gemacht und dann bin ich dahin gegangen und dann bin ich zurück gegangen und habe jenes gemacht und dann ... Ein Allheilmittel für sowas gibt es auch nicht, du musst einerseits selbst entscheiden, was du für wichtig hältst, andererseits musst du auch ein Gefühl dafür entwickeln, wie du Ausuferungen vermeidest. Ich bin nicht so streng mit „überflüssigen“ Informationen wie manch anderer, in vielen Fällen trägt mancher vermeintlich sinnlose Exkurs übers Leben der Pflastersteine zumindest zur Charakterisierung von irgendetwas bei. Aber ich denke schon, dass du einige Stellen durchaus zusammenfassen könntest, wie ich es in meinen Beispielen versucht habe. Das strafft das Gewebe, gleiche Masse auf weniger Fläche sozusagen, und lässt die Handlung nicht so im Wind leiern.
Die Erzählperspektive hast du größtenteils eingehalten, auf jeden Fall kann ich mich nicht erinnern, über etwas sonderlich gestolpert zu sein, außer dem oben genannten Fall.
Spannung erzeugst du auch, wie gesagt, möchte man schon wissen, wie es weitergeht, aber der Anfang ist etwas zu detailreich, leider aber fokussiert auf langweilige Details. Deshalb würde ich sagen, ja, das „Tempo der chronologischen Erzählung am Anfang“ ist zu niedrig. Du solltest es wirklich anziehen.
Die Dramaturgie würde ich als gar nicht schlecht bezeichnen, vor allem wegen des verwirrenden Prologs. Der gefällt mir echt gut und ohne ihn hätte ich, tut mir leid, das erste Kapitel nicht mal zu Ende gelesen. Eine Geschichte mit einem Oh-Shit-Moment zu beginnen kann zwar in die Hose gehen, wenn man den Leser zu schnell zu stark verwirrt, aber hier ist es eher ein Antrieb, der die Leser bei Laune hält, bis die Story an Fahrt aufnimmt.
Das war’s, hoffe, ich konnte dir trotz verstrichener Zeit noch helfen ;).
Ich Unverbesserlich – Realitätsferner Happy-Go-Lucky-Typ, der Kitsch über Schmarrn schreibt und auch noch meint, damit die Welt ein bisschen fröhlicher zu gestalten. ✌(≖‿≖)✌ (Außerdem hab ich offensichtlich zwei linke Hände.)
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