Die Erinnerungen an meine Kindheit waren auf einmal so lebendig, dass es beinahe schmerzte. So unbeschwert und glücklich war ich schon seit hunderten von Jahren nicht mehr gewesen. Ich hatte nicht viel gebraucht, meine Mutter, viele Bücher ... Und meinen Bruder. Er war damals mein bester Freund gewesen, ich hätte alles für ihn getan. Würde ich immer noch. Aber aus Gründen, die jeder in Asgard wusste, waren die Dinge zwischen Thor und mir schon lange nicht mehr so, wie sie in unserer Kindheit gewesen waren.
Ich drehte mich überrascht im Gehen zu ihr um, als sie mir von der Vision erzählte, die sie als Kind gehabt hatte. Das muss hunderte von Jahren her sein und sie erinnerte sich immer noch daran, dass sie eventuell eine Vision von mir gehabt hatte. Hatte sie gesehen, wie ich mich nachts in die Bibliothek geschlichen hatte? Oder wie meine Mutter mir mal wieder wegen letzterem die Leviten gelesen hatte? Oder wie ich in der Bibliothek saß, zwischen Stapeln von Büchern, auf die ich mich wissenshungrig stürzte?
Da hörte ich, wie sie einmal lange ausatmete und schmunzelte, als ich sah, wie sie sich die Haarsträhne aus dem Gesicht pustete. Aber sie wirkte irgendwie nervös, als bereute sie es, dass sie mir davon erzählt hatte.
"Was ist die früheste Vision, an die du dich erinnern kannst?", fragte ich sie neugierig. Zum einen, weil das eventuell für meine Aufgabe, ihr die Kontrolle über ihre Fähigkeiten zu verleihen, hilfreich sein konnte. Zum anderen aber auch, weil es mich wirklich interessierte und ich nicht wollte, dass sie sich weiterhin so wegen der anderen Vision schämte oder nervös war.
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Sophie
Ihn in das Bett zu bugsieren, war wirklich anstrengend, da er doch recht schwer war. Nicht nur wegen seines Metallarms, sondern wegen seines muskelbepackten Körpers. Wenn man ihn in seinem aktuellen Zustand sah, vergaß man ganz, wie viel Kraft er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aufbringen konnte. Gerade wirkte er einfach nur erschöpft, sowohl körperlich als auch geistig.
Nachdem ich ihn gefragt hatte, ob er allein sein wollte oder ob ich hier bleiben sollte, schaute er mich erst aus großen Augen an, ehe er den Mund öffnete, um zu antworten. Aber kein Laut kam heraus, nur ein heiseres Krächzen. Als hätte er seine Stimme verloren. Er wirkte ängstlich, als schämte er sich für die Antwort, die er mir auf meine Frage geben wollte.
Statt etwas zu sagen, ließ er schließlich Taten sprechen. Er streckte seine Hand aus und griff ganz vorsichtig nach meiner, die auf meinem Schoß lag. Er hielt sie nicht wirklich fest, sondern hielt so locker in seiner, als hätte er Angst, mir damit zu nahe zu kommen. Daraufhin senkte er den Blick und sah auf unsere Hände.
Ich lächelte leicht und schloss meine Finger sachte um seine, ehe ich meine andere Hand auf seine legte. "Alles klar", sagte ich und drückte seine Hand einmal, ehe ich aufstand. "Ich geh mich nur schnell umziehen, bin gleich wieder da."
Mit diesen Worten ging ich schnell ins Bad, zog meine Arbeitsklamotten aus und schlüpfte in eine Jogginghose und ein altes T-Shirt. Meine Haare öffnete ich, kämmte sie schnell und kam dann auch schon zu ihm zurück. Ich wollte ihn nicht zu lange alleine lassen.
Ich ging auf die andere Seite des Betts, schlug die Decke zurück und legte mich neben ihn. Dann drehte ich den Kopf zu ihm. "Soll ich das Licht anlassen oder ausmachen?"
Lokis Stimme ließ meinen Blick wieder zu ihm gehen, wobei mir die Haarsträhne ganz einfach wieder zurück in das Gesicht fiel und dort blieb, weil ich mir nicht die Mühe machte, sie noch einmal zurück zu streichen.
Ich sah den Prinzen ein bisschen länger an, versuchte nachzudenken und wandte mich dann wieder ab, während ich weiterhin überlegte, was genau die früheste Vision war, die sich noch heute in meinem Kopf befand. Erneut langsam und tief ausatmend kaute ich fast schon unbewusst auf meiner Unterlippe, als würde es mir tatsächlich beim Finden einer Antwort helfen.
Die allererste Vision, die ich wohl gehabt haben musste, war die, als ich gesehen hatte, wie meiner Mutter zuhause, Meilen entfernt von mir, das Mehl umgekippt und durch die Luft gewirbelt war, aber daran konnte ich mich selbst eigentlich nicht erinnern.
Nur weil meine Mutter es mir stets, beinahe wöchentlich erzählt hatte, weil sie der Meinung war, es wäre der Beginn des schrecklichen, angsteinflößenden Lebens ihrer Tochter gewesen, wusste ich, dass ich diese Vision gehabt hatte, aber ich kannte sie eben nur aus dieser Erzählung.
"Ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr so genau, welche der Visionen, an die ich mich noch erinnern kann, die früheste ist" begann ich ehrlich. Es gab einige Visionen, von denen ich wusste, dass sie lange, lange zurück lagen und definitiv mit die ersten waren, aber welche genau die erste war, wusste ich nicht mehr. Der genaue Zeitpunkt, an dem ich was gesehen hatte, verschwamm umso weiter der Augenblick zurück lag und ich hatte diese Visionen seit Jahrhunderten.
"Es gibt einige Visionen, die lange zurück liegen... ich weiß noch das eine der ersten Visionen ein Reiter war, der sein Pferd hat durch den Wald galoppieren lassen und ich weiß auch das es einmal ein paar Kinder waren, die an einem Fluss gespielt haben" erzählte ich weiter, immer mehr vergangene Visionen kamen zurück in mein Gedächtnis und ich war beeindruckt von der Anzahl.
"Und ein Schrei... daran kann ich mich auch noch erinnern, bei dieser Vision war ich auch noch jung gewesen. Ich habe nicht viel gesehen in dieser Vision, weil es nachts und unbeleuchtet war, aber der Schrei... es hat sich angehört wie eine Frau und-" ich hörte kurz auf zu reden: "Ich habe niemals wieder einen solchen erschütternden Schrei gehört".
Ein wenig zuckte ich dann mit den Schultern, versuchte die Anspannung in diesen zu lösen, verließ die Vision in meinem Kopf wieder: "Aber welche genau die erste ist, dass kann ich euch nicht sagen".
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Bucky
Ein beruhigender Impuls ging durch meinen Arm als sich Sophies Finger um meine schlossen und sie ihre zweite Hand ebenfalls auf meine legte und ein leises, verwirrtes Geräusch kam aus meiner Kehle, sofort erstickt von der Tatsache, dass sie meine Hand drückte.
Die Ruhe verließ mich wieder als sie plötzlich aufstand, mich los ließ und mir blieben kurz ein paar Atemzüge aus, irgendwo in meinem Hinterkopf kam wieder die Idee auf, dass sie mich jetzt doch verlassen würde und obwohl sie mir sagte, sie würde gleich wieder kommen, boten mir die Worte nur wenig Beruhigung.
Zwar zwang ich mich dazu, ihren Worten Glauben zu schenken, aber das funktionierte nicht so gut wie ich es wollte, sodass ich unbewegt im Bett lag, die Decke anstarrte und auf jedes Geräusch achtete, welches zu mir drang, um sicher zu gehen, dass sie auch in der Wohnung blieb und nicht einfach ging. Ich wollte ihr so gern glauben.
Als Sophie zurück kam, nach einer Zeit, die sich für mich nach und nach immer mehr wie eine Ewigkeit angefühlt hatte, trug sie andere Kleidung, ihre Haare waren gelöst und ich fühlte meinen Atem wieder freier gehen, sodass ich tief und ruhig Luft holen konnte, als sie neben mir in das Bett stieg und sich hinlegte.
Schweigend betrachtete ich sie und meinte dann langsam: "Du kannst es ausmachen". Es war mir unangenehm das sie mich so ansah als hätte ich Mitleid verdient, es war mir unangenehm, dass der Metallarm das Licht ein wenig reflektierte und ich konnte trotzdem nicht leugnen, dass mir ihre Anwesenheit gut tat.
Zögernd streckte ich die menschliche Hand wieder aus und legte die Fngerspitzen an die ihre, nur um wenigstens ein bisschen Kontakt zu haben, nur um fühlen zu können, dass ich nicht allein war und fragte dann, ohne ihr in das Gesicht zu sehen: "Habe ich dir weh getan?".
Mir war es im dunkel im Gedächtnis, dass ich vorhin ihre Hand weggeschlagen hatte, definitiv mit mehr Kraft als nötig gewesen war und ein unangenehmes Schuldgefühl zog sich durch meine Brust.
Aufmerksam hörte ich ihr zu. Es wirkte nicht so, als wären ihre Visionen auf irgendetwas beschränkt. Manche Leute, die Visionen hatten, sahen nur Mitglieder einer bestimmten Familie, oder nur einen bestimmten Ort, nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Aber sie schien einfach zufällige Dinge zu sehen, ohne einen Zusammenhang oder einen Sinn. Das machte es nur noch ein bisschen schwieriger, aber ihr Fall war so schon ziemlich kompliziert.
Ich nickte leicht, als sie fertig gesprochen hatte. "Alles klar", sagte ich. "Ich frage nur, weil ich irgendwie versuche, ein Muster in deinen Visionen zu finden, irgendeinen Auslöser oder ähnliches. Aber bisher ... Sehe ich nichts dergleichen." Vermutlich musste ich mir bei ihr wirklich etwas überlegen.
Wir bogen um eine Ecke und standen schließlich vor dem Ausgang, der in den Flügel mit all den Gemächern der Hofdamen führte. Ich blieb direkt vor der Wand stehen und hängte die Fackel in eine Halterung an der Wand des schmalen Gangs. Kurz sah ich zu Sigyn, die kurz hinter mir stehen geblieben war, und schmunzelte etwas. Sie fragte sich, wie ich wissen sollte, dass sie keiner beim Verlassen des Gangs sah? Das konnte sie.
Ich drehte mich zu der Wand und platzierte meine Wand darauf. Dann schloss ich kurz die Augen und konzentrierte mich auf den kalten Stein unter meinen Fingern. Ich gab keinen Ton von mir, atmete nur ganz ruhig und als ich die Augen wieder öffnete, war ein kreisrundes Stück der Wand transparent, genau dort, wo meine Hand lag. Langsam löste ich meine Finger von der Wand und sah dann schmunzelnd zu Sigyn.
"Keine Sorge, auf der anderen Seite sieht man das Loch nicht", sagte ich. "Aber wir können in den Flur schauen."
Ich warf einen Blick hindurch und hielt Ausschau nach einer Spur von Wachen oder Hofdamen dort draußen. Aber keine Menschenseele war zu sehen und keine Schritte waren zu hören. "Die Luft ist rein."
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Sophie
Ruhig erwiderte ich seinen Blick, während er mich nachdenklich ansah, und lächelte ihn sanft an. Er löste etwas in mir aus, was ich so schon lange nicht mehr, oder vielleicht sogar noch nie, gespürt hatte. Menschen zu helfen war mein Lebensinhalt, aber bei ihm war da noch mehr. Ich konnte aber nicht genau beschreiben, was es war. Irgendwie musste ich das auch gar nicht wissen. Er war hier und das war im Moment alles, was zählte.
"In Ordnung", sagte ich, drehte mich kurz um und machte das Licht aus. Mir war bewusst, weshalb er das so wollte. Er schämte sich, ob wegen seines Verhaltens gerade eben oder im allgemeinen konnte ich aber nicht sagen. Aber ich wollte schließlich, dass er sich wohlfühlte.
Wie von selbst suchte seine Hand im Dunkeln wieder meine, was mich zum Lächeln brachte. Während er noch vor einem Tag überhaupt nicht von mir berührt werden wollte, suchte er jetzt nach Körperkontakt. Sachte griff ich nach seiner Hand, drehte mich zur Seite und legte meine andere Hand auf seinen Arm.
"Mach dir keine Gedanken", sagte ich. "Du hast mir nicht weh getan. Ich halte mehr aus, als man mir vielleicht auf den ersten Blick zutrauen würde."
Kurz zögerte ich, dann rutschte ich etwas näher zu ihm und bettete meinen Kopf auf seiner Schulter. Ich sah noch einmal prüfend zu ihm, um sicherzugehen, dass das für ihn in Ordnung war, ehe ich die Augen schloss und mich entspannte. Ob ich mich so an ihn schmiegte, weil er spüren sollte, dass er nicht allein war, oder weil ich selbst aktiv seine Nähe suchte, konnte ich nicht sagen.
"Schlaf gut, James", sagte ich leise.
Es dauerte ein paar Minuten, aber langsam überkam mich die Erschöpfung. Die Nachtschicht hatte mich schon ziemlich geschafft, die Sache mit James war nur noch das I-Tüpfelchen gewesen. Mein Atem wurde ruhiger und ich driftete langsam ab, schlief ein, während mein Kopf immer noch auf seiner Schulter lag und meine Hand in seiner.
Sein Nicken beobachtend dachte ich kurz nach und meinte dann: "Ich werde versuchen herauszufinden ob es einen Zusammenhang gibt zwischen meinen Visionen, wenn das von Nutzen sein wird".
Langsam folgte ich ihm um die Ecke und fügte hinzu: "Vielleicht fällt mir ja etwas auf", bevor wir vor dem Ausgang zu den Fluren der Hofdamen standen und sich die Mauer wie immer vor uns befand, dicht und steinern.
Loki hängte die Fackel beiseite an die Wand und meine Augen gingen von dem Schein des kleinen Feuers über seine Hand hin zu seinem Gesicht, welches er mir zu wandte und ich sah trotz des schummrigen Lichtes sehr deutlich das schiefe Lächeln auf seinen Zügen, ganz so als wüsste er von etwas, was ich nicht wusste.
Dem war natürlich auch so, dessen war ich mir bewusst, weshalb ich neugierig an seiner Schulter vorbei beobachtete wie der Prinz seine Hand an dem Gemäuer platzierte und schließlich die Augen schloss.
Er wurde mit einem Mal so ruhig, konnte ohne jegliches Zögern all seine Konzentration aufbringen, dass ich selbst auch die Luft anhielt, weil ich fast schon Angst hatte, ich könnte ihn durcheinanderbringen.
Es dauerte kaum einen Augenblick, als die Wand, die sich noch immer undurchdringlich vor uns befand, langsam began kreisrund um Lokis Handfläche herum durchsichtiger zu werden, immer mehr und genauer.
Noch immer Luft anhaltend und ehrfürchtig trat ich einen kleinen Schritt näher zu ihm und beugte mich hinunter. Keine Zweifel. Zusehen durch das Loch war der Flur zu den Gemächern, durch die Wand. War es überhaupt ein Loch? War die Wand noch da?
Ich richtete mich erst wieder auf als Loki die Hand von der Mauer löste, das Loch blieb und er sich wieder zurück zu mir drehte, schon wieder ein berechtigtes, schiefes Lächeln auf seinem Mund.
Sprachlos nickte ich und sah ihm zu wie er den Flur ausspionierte, als wäre es das normalste der Welt, dass man eben Mal eine feste, stabile Steinwand, ihrer Undurchsichtigkeit beraubte.
"Beeindruckend" stellte ich letztlich zögerlich fest, kam mir dumm vor und schüttelte den Kopf über mich selbst und atmete langsam aus.
"Dann sollte ich wohl gehen" murmelte ich leise, versuchte meine Stimme normal klingen zu lassen und nicht zu zittrig vor Ehrführchtigkeit und legte die Hände ineinander. "Wann werden wir uns wieder treffen?" fragte ich, weiterhin fasziniert das Loch in der Wand betrachtend.
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Bucky
Mein Körper entpannte sich wieder beinahe vollends, als sich Sophies Hand um meine legte und ich konnte fühlen wie die Wärme ihrer anderen auf meinem Arm die Anspannung in meiner menschlichen Schulter löste und diese ein wenig mehr in die Matratze sackte und ein sanftes Ausatmen aus meiner Lunge kam.
Ich lauschte ihren Worten, ließ den Blick an die Decke gehen, schluckte und konnte mich nicht so recht von ihr überzeugen lassen. Ich musste ihre Hand doch recht stark weggeschlagen haben und vielleicht war sie wirklich nicht so zierlich wie sie aussah, aber das Serum in mir, die Kraft in meinem Arm machten meine Stärke doch um einiges unberechenbarer, gefährlicher.
Trotzdem mochte ich es zuhören, dass sie zumindest sagte, es hätte ihr nicht weh getan und für diesen Augenblick, in dem ich mich so unglaublich müde fühlte, reichten mir die Worte um mir keine weiteren Gedanken zu machen und zu vergessen was die letzten Minuten passiert war.
Stattdessen zählte nur das weiche Bett unter mir und Sophie, die sich jetzt auf meine Schulter gelegt, den Körper und somit ihre Wärme an mich gedrückt hatte. Ich hatte sie wegschicken sollen, ihr klar machen sollen, dass es nicht sicher was was sie tat, dass ich gefährlich war, aber das Gefühl von Nähe war zu überwältigend, als das ich es ablehnen konnte und so akzeptierte ich es, hielt ihre Hand nur noch fester in meiner und drehte den Kopf zu ihr, roch die Menschlichkeit die von ihr ausging und fühlte mich ein bisschen sicher, wenn auch zugleich schlecht, weil ich mir egoistisch vorkam.
"Schlaf du auch gut" murmelte ich rau, müde und wartete dann bis sie eingeschlafen war, bevor ich selbst die Augen schloss und das erste Mal seit langem einschlief ohne Stunden lang wach zu liegen und das erste Mal seit langem einen erholsamen Schlaf schlief, der so tief war, dass jegliche Alarmbereitschaft in mir verschwunden war.
Einen kleinen Triumph verspürte ich schon, als ich bemerkte, wie beeindruckt sie von meinem kleinen Trick war. Zugegeben, es hatte aber auch ziemlich lange gedauert, bis das hier so funktioniert hatte, wie ich es mir vorgestellt hatte, als ich vor sehr langer Zeit auf die Idee gekommen war. Aber das war so lange her und ich hatte so viel Zeit zum üben, dass es jetzt ein Kinderspiel für mich war.
Ich warf ihr einen Blick zu und musste kurz ein kleines bisschen Lächeln, irgendwie verschaffte es mir ein gutes Gefühl, sie so zu beeindrucken. Mehr als nur ein einfacher Triumph. Etwas, was mich sehr irritierte und ein kleines bisschen überforderte und worüber ich vermutlich den Rest der Nacht nachdenken würde anstatt zu schlafen. Ich fühlte mich irgendwie wieder wie ich selbst oder wie die Person, die ich vor langer Zeit gewesen war, bevor alles den Bach unterging.
Noch einmal warf ich einen Blick in den Gang und lauschte für einen Moment ganz genau, aber ich hörte keine Menschenseele. Wenn sie jetzt möglichst zügig gehen würde, sollte sie unbemerkt in ihr Zimmer kommen. Aber vorher mussten wir wirklich noch klären, wann wir weiter machen würden.
Ich wollte ihr etwas Ruhe gönnen, nicht nur, weil sie sonst verdammt wenig Schlaf bekam, sondern vor allem weil unsere Unterrichtsstunden vor allem für sie verdammt anstrengend waren. Andererseits würde ich sie am liebsten direkt in der nächsten Nacht wieder sehen. Aber ihr Wohlergehen ging vor, das war wichtiger als meine egoistischen Wünsche.
"In drei Tagen, dieselbe Zeit wie immer", antwortete ich schließlich und sah zu ihr. Dann tastete ich mit der Hand nach dem Stein in der Mauer, der den Ausgang öffnen würde. Bevor ich die Tür aufmachte, schaute ich sie einen Moment an. Mir ging so viel durch den Kopf, aber irgendetwas davon auszusprechen war mehr als unklug. Sie war zwar anders als alle anderen Bewohner dieses Schlosses, aber ich bezweifelte, dass sie noch etwas mit mir zu tun haben wollte, wenn ich ehrlich war.
Daher beschränkte ich mich auf die normalen Höflichkeiten. "Schlaf gut, Sigyn", sagte ich und öffnete dann mit einem leichten Druck gegen den Mauerstein den Ausgang.
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Sophie
Draußen ging zwar gerade die Sonne auf und sie schien etwas durch die dicken Vorhänge, die das Zimmer verdunkelten. Aber sobald ich die Augen schloss, überkam mich die Erschöpfung der letzten Tage und der letzten Nacht und ich schlief innerhalb von kurzer Zeit wie ein Stein. Die Tatsache, dass ich neben einem Mann lag, dessen Körperwärme und Geruch mich gerade einlullte, hatte aber bestimmt auch einen gewissen Anteil daran. Er mochte innerlich gebrochen sein, was aber nichts daran änderte, dass ich mich in seiner Nähe wohlfühlte.
Ich schlief tief und traumlos. So einen erholenden Schlaf hatte ich schon lange nicht mehr abbekommen. Normalerweise wachte ich zwischendurch zwei oder dreimal auf, weil ich Durst bekam, fror oder auf die Toilette musste. Es passierte so gut wie nie, dass ich sechs oder sieben Stunden am Stück durchschlief. Aber ich brauchte auch nicht so viel Schlaf, das hatte ich mir nach den ersten Monaten in meinem Beruf angeeignet.
Als ich langsam aber sicher wieder wach wurde, wanderte mein Blick für einen kleinen Moment auf die Uhr auf dem Nachttisch. Es war kurz nach 14 Uhr nachmittags, ich hatte also tatsächlich acht Stunden durchgeschlafen. Genauso wie James, er schien immer noch zu schlafen.
Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, legte ich meinen Kopf wieder auf seiner Schulter ab und betrachtete sein Gesicht für einen Augenblick. Er wirkte so friedlich und entspannt, so hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich lächelte leicht, ehe ich die Hand hob und ihm eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Mir war schon öfter aufgefallen, dass er ein sehr gutaussehender Mann war, aber jetzt traf es mich so richtig. Ganz abgesehen davon, dass ich mich bei dem Gedanken erwischte, dass ich alles in meiner Macht stehende machen würde, damit er nicht mehr in dauernder Angst leben musste.
Ich blieb einfach noch eine Weile neben ihm liegen und beobachtete ihn beim Schlafen. Eigentlich würde ich gerne aufstehen und ihm etwas zum Essen machen, aber ich wollte ihn nicht aufwecken. Er hatte den Schlaf vermutlich noch nötiger als ich und ich gönnte ihm die Ruhe.
Ich nickte mit dem Kopf und atmete aus: "Dann werde ich in drei Tagen wieder hier sein" versicherte ich, während Loki die Hand zurück an die Mauer legte, dieses Mal an den Stein zur Öffnung der Wand, bevor er fast schon inne hielt und den Blick für einige Sekunden auf mich richtete.
Er sah beinahe so aus als würde er etwas sagen wollen und ich schaute ihn erwartungsvoll an, aber es verließ letztlich doch kein Ton seinen Mund und er schaute mich nur schweigend an. Ich war nicht sicher ob er nicht wusste wie er es sagen sollte oder was er sagen wollte, geschweigedenn, ob er überhaupt wirklich etwas hatte sagen wollen, aber ich würde es wohl auch nicht erfahren, denn der Prinz blieb nur weiterhin still.
Lediglich einen guten Schlaf wünschte er mir, als würde er seinen eigenen Worten ausweichen, die er gern von sich gegeben hätte.
Jedoch sagte ich nichts darüber, sondern nickte nur einfach wieder, zog einen Mundwinkel nach oben und meinte leise und ehrlich : "Ich wünsche euch ebenfalls eine Gute Nacht Prinz Loki".
Dann wandte ich den Blick von ihm ab, hin zu dem sich öffnendem Ausgang und schob mich dann an ihm vorbei, blieb direkt im Flur noch einmal stehen, nur um mich zur Sicherheit rasch umzusehen und stellte fest, dass tatsächlich niemand weit und breit zu sehen war, was sich natürlich aber auch schnell ändern konnte.
Deswegen hob ich den Rock meines Kleides ein wenig an, um schneller laufen zu können und drehte mich einen Augenblick im Gehen um, lächelte Loki zu und beeilte mich dann in mein Gemach zu kommen.
Dort schloss ich die Tür möglichst geräuschlos hinter mir und atmete erleichtert aus, niemand hatte mich gesehen.
Während ich zum Bett lief löste ich die Nadeln aus meinen Haaren und ließ mich anschließend vorwärts in die weichen Decken fallen.
Halbherzig streifte ich mir die Schuhe ab und öffnete zumindestens den Gürtel um meine Taille, legte ihn neben das Bett und krabbelte dann unter die Decke. Erschöpfung machte sich in meinen Gliedern breit und ließ sie schwer werden und obwohl auch meine Augen sogleich zufielen, schlief ich nicht sofort ein.
Es hatte wirklich so ausgesehen als hätte Loki mir gern etwas gesagt und sich dann doch zurück gehalten. Oder irrte ich mich da?
Ich war mir nicht sicher, ich war mir bei den meisten Dingen die Loki betrafen nicht sicher. Ich wusste nie vorher ob Sachen die ich sagte ihn verletzen, wütend, glücklich oder traurig machen würden, vielleicht sogar alles gleichzeitig. Ich wusste auch nicht einmal ganz genau was er von mir hielt oder was ich von ihm halten sollte, so wie er alle Vorurteile die ich gegen ihn gehegt hatte zerstörte.
Was hatte ich mir da nur eingebrockt mit den Treffen? Und warum schien ich das gar nicht zu bereuen?
Seufzend drehte ich mich auf meine Seite und zog die Decke höher, schlief nur langsam mit all den Gedanken in meinem Kopf ein, aber schlief tief und fest als ich es dann erst einmal tat.
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Bucky
Ich hatte keine Ahnung wie lange ich geschlafen hatte, aber ich wachte auf ohne die Augen zu öffnen.
Mein wacher Zustand kam nur schleichend zu mir. Zuerst fühlte ich wieder aktiv die Wärme um mich herum, dann hörte ich meinen Atem und Herzschlag, beides sicher und gleichmäßig, beruhigend. Der weiche Grund unter mir kam als nächstes in mein waches Bewusstsein, ebenso wie ein fast schon vetrauter Geruch.
Erst ganz zuletzt begann ich auch das Gewicht zu spüren, dass auf meiner Schulter lastete. Ich hielt die Augen immer noch geschlossen, aber ich wusste das es Sophie war, konnte mich noch sehr gut daran erinnern was gestern passiert war. Zumindest größtenteils.
Obwohl sich meine Schulter etwas taub anfühlte, mochte ich das Gefühl, mochte es ihren Atem zu hören wenn ich mich konzentrierte, ihren Herzschlag zu vernehmen, ihre Wärme die sich an meinem schweren Körper drückte. Das Gefühl aufzuwachen und nicht allein zu sein sog ich in mich auf als wäre es das erste Mal, auch wenn ich wusste dass es nicht so sein konnte.
Ich schluckte. Was hatte Hydra mir nur alles genommen? Was würden sie mir nehmen wenn sie mich finden würden? War ich überhaupt entkommen?
Mit einem Mal stiegen mir Tränen in die Augen, der Grund warum ich die Lider noch immer geschlossen erschloss sich mir erst jetzt richtig. Was wenn ich doch nur träumte? Wenn es nur ein weiterer von unzähligen, seltsamen Träumen war, die man durchlebte wenn der Körper in Eis starr war und doch am Leben. Wenn ich die Augen öffnen und das alles weg wäre, das Bett, die Sicherheit, die Ruhe, Sophie. Wenn nichts davon echt war und man mich nur gleich wieder zu Schrecklichem zwingen würde. Allein. Oder in den Stuhl setzen würde. Auch allein.
Unsicher bewegte ich die Schulter ein wenig, um zu testen, ob sich das Gewicht nicht gleich ins Nichts auflösen würde, aber Sophies Kopf blieb an meiner Schulter, warm und schwer und trotzdem ließ ich die Augen zu.
Vorsichtig tastend suchte ich nach ihrer Hand, als würde es mir irgendetwas beweisen wenn ich sie halten würde, konnte sie aber nicht finden, weil ich von dem wieder aufkommenden Engegefühl in meiner Brust abgelenkt wurde.
Ich wollte nicht allein sein, nie wieder und ich konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass das alles nicht echt war, nicht nachdem mich HYDRA so lange bei sich behalten hatten.
Die Tränen in meinen Augen wurden mehr und ich brachte ein fast unverständliches: "Sophie?" hervor, während meine Lippen bereits zu zittern begannen.
Sie hatte gemerkt, dass ich etwas sagen wollte und es nicht raus brachte. Da war ich mir sicher, so erwartungsvoll, wie sie mich ansah, bevor ich mich von ihr für die Nacht verabschiedete. Aber ich bekam kein Wort heraus, konnte die Worte, die in meinem Kopf umherschwirrten, nicht einmal zu einem sinnvollen Satz zusammenbauen. Daher ließ ich es lieber sein und wünschte ihr nur eine gute Nacht.
Das Lächeln, welches sie mir schenkte, verwirrte mich nur noch mehr und ließ mich sprachlos zurück, nachdem sie raus in den Korridor getreten war. Ich sah zu, wie sie sich noch einmal prüfend umsah und dann ihre Rücke anhob, um schnell den Gang entlang laufen zu können. Für einen Moment blieb ich noch in dem Eingang stehen, während ihre Schritte immer leise wurden und man schließlich nur noch eine Tür hörte, die ins Schloss gezogen wurde. Dann trat ich zurück, schloss die Mauer und machte mich selbst auf den Weg zu meinen Gemächern.
Etwas später lag ich im Bett, hatte die Decke bis zur Brust hoch gezogen und starrte an die Decke. Es war stockdunkel, bis auf das Mondlicht, dass den Raum durch die Fenster in sein kühles Licht hüllte. Diese Nacht hatte mich geschafft, aber trotzdem machte ich kein Auge zu. Bilder von der Unterrichtsstunde mit Sigyn schwirrten mir durch den Kopf, kombiniert wie die Dinge, die sie gesagt hatte. Einige Sätze gingen mir einfach nicht aus dem Kopf. Allen voran ihr Abschied, kombiniert mit diesem kleinen Lächeln...
Dazu kam, dass sie so ziemlich die erste Person seit einer langen Zeit war, die in mir vielleicht zumindest ansatzweise etwas Gutes sah. Oder wenigstens etwas anderes als die Dinge, die ich getan hatte.
Frustriert rollte ich mich zur Seite, schloss die Augen und versuchte, einzuschlafen. Bis in die frühen Morgenstunden war das vergeblich. Es dämmerte bereits draußen, als ich endlich in einen leichten Schlaf abdriftete. Die Wache, die gefühlt Sekunden später gegen die Tür hämmerte, um mich zu wecken, schickte ich wütend wieder weg, um weiter zu schlafen. Das war der erste Tag, seitdem ich die Rolle des Allvaters angenommen hatte, dass ich mich tagsüber nicht blicken ließ.
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Sophie
Ruhig atmend lag ich immer noch auf seiner Schulter, in der Hoffnung, dass diese dadurch nicht taub oder verspannt war. Ich war wach, aber ich wollte nicht aufstehen. Ich wollte das hier einfach noch ein bisschen genießen, da ich nicht wusste, wie lange er noch hier sein würde. Schließlich hatte er schon öfter erwähnt, dass ich nicht sicher war, wenn er hier blieb.
Auf einmal merkte ich, wie er seine Schulter bewegte. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er aufgewacht war. Sobald ich das spürte, öffnete ich die Augen und drehte den Kopf, um ihn anzusehen. Doch er hielt seine Augen beschlossen und erst dachte ich, dass ich mir das nur einbildete, aber dann war ich mir ziemlich sicher, dass sich Tränen in seinen Augenwinkeln sammelten.
Erschrocken hob ich den Kopf an, während ich seine Hand in einem festen Griff mit seiner umgriff. Ich hatte gemerkt, dass er nach meiner Hand getastet hatte, als wollte er sichergehen, dass ich mich nicht in Luft aufgelöst hatte.
Vorsichtig setzte ich mich etwas auf, beugte mich zu ihm und legte meine freie Hand an seine Wange. Die Situation erinnerte mich sofort an das, was passiert war, als ich nach der Nachtschicht heimgekommen war. Ich wollte nicht, dass er wieder so verzweifelt, so ängstlich und so verloren war. Er war sicher hier, bei mir, und er konnte so lange bleiben, wie er wollte. Das sollte er wissen.
"James, öffne die Augen", sagte ich und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. "Ich bin hier, schau mich an."
Sigyn
Am nächsten Morgen war es bereits so hell draußen als ich aufwachte, dass ich mir sicher war, das Morgenmahl verpasst zu haben. Die Sonne schien durch das Balkonfenster auf mein Bett und ich musste gegen das Licht blinzeln, um die Augen halbwegs öffnen zu können. Es musste wohl schon kurz vor Mittag sein.
Vermutlich hatte meine Zofe mich schlafen lassen, anstatt mich zu wecken. Schließlich hatte ich ihr die letzten Tage ja auch gesagt ich wäre krank und war ebenfalls nicht aufgestanden, weshalb sie an dem heutigen Tag wohl nichts anderes vermutet und mich schlafen gelassen hatte.
Trotzdessen ich immer noch erschöpft war, setzte ich mich langsam im Bett auf und strich über mein Gesicht. Ich hatte bereits die letzten Tage in meinem Bett verbracht, noch einen Tag mehr und meine Zofe würde nur einen Heiler holen, der dann doch nichts außer hoher Anstrengung feststellen würde und dann müsste ich mich erklären, was ich vermeiden musste, wenn ich Lokis und mein Geheimnis so bedeckt wie möglich halten wollte.
Es blieb mir also praktisch nichts anderes übrig als aufzustehen. Ich trug natürlich immer noch mein Kleid von gestern und zog mir rasch Schuhe an, bevor ich aus meinem Schlafgemach in den kleinen Vorraum trat.
"Ihr seid wach. Wie fühlt ihr euch?" In der Ecke am Fenster saß meine Zofe, die sofort aufstand und zu mir hinüber kam: "Ich dachte schon ich müsste einen Heiler holen" meinte sie besorgt und ich schüttelte den Kopf und legte die Hände an ihre Arme: "Mir geht es gut, es war nichts weiter, nur eine leichte Schwäche, aber jetzt fühle ich mich besser".
"Seid ihr euch sicher? Ihr seht erschöpft aus" fügte sie unsicher hinzu und ich nickte: "Nur die Nachwirkung von dem langen Liegen... ich nehme an es ist schon fast Mittag?" fragte ich und lief hinüber zu dem Kleiderschrank, woraufhin sie mir sogleich zuvor kam und ein Kleid für mich heraus suchte und mir beim Umziehen half.
Als wir fertig waren führte sie mich zur Bibiothek, in der sich die anderen Hofdamen aufhielten, die mich sofort umschwärmten und nach meinen Befinden fragten. Außerdem erzählten sie mir ganz aufgeregt, dass noch niemand den Allvater heute gesehen hätte, was seit Jahrzehnten nicht mehr passiert war. Ich musste meine Verwunderung darüber nicht spielen, wurde aber vor allem nachdenklich. Hatte das etwas mit unserem Treffen zu tun? Oder war danach noch etwas passiert? War es etwas was ich getan oder gesagt hatte? War ihm etwas passiert? Vermutlich machte ich mir sogar Sorgen.
Die Gedanken ließen mich den ganzen Tag nicht los, weder in der Bibliothek noch später in den Gärten oder am Abend als ich mich wieder allein in der Bibliothek befand, aber trotz allem wusste ich, dass ich nicht einfach zu ihm gehen und klopfen konnte, dass war schon das letzte Mal seltsam gewesen und Gerüchte konnten wir uns nicht leisten.
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Bucky
Die ruckartige Bewegung neben mir ließ mich zucken und einen Moment war ich kurz davor zu glauben, es war wirklich nur ein Traum, aber dann spürte ich die Hand die sich fest um meine legte und ich spürte sofort an der gleichzeitigen Sanftheit, dass es niemand von Hydra sein konnte. Meine Finger schlossen sich ebenfalls um die Hand und ich zog sie ein wenig näher an mich, konnte immer noch meine Lippen zittern fühlen.
Ich war mir sicher das es Sophies Hand war, erinnerte mich genau an die Struktur, als hätte ich sie schon tausendmal gehalten und lehnte mein Gesicht zu ihren Fingern hin als sie meine Wange berührten und drückte mich ein wenig an die Wärme, fürchtend das sie jeden Augenblick von mir gerissen würde.
Mein Atem begann trotz der verstärkten Erinnerung, dass ich nicht allein war an unregelmäßig zu werden und erst Sophies Stimme brachte mich wieder dazu, mich vollkommen darauf zu konzentrieren, was jetzt war.
Bevor ein Schluchzen aus mir dringen konnte während Sophie mir eine Strähne aus der Stirn strich versuchte ich tief einzuatmen, mich darauf vorzubereiten, die Augen zu öffnen. In mir war die Angst geblieben, dass sich doch noch alles ins Nichts auflösen könnte, als wäre all das niemals passiert.
Es kostete mich einen Moment der Überwindung, aber letztlich schenkte ich ihren Worten Vertrauen und öffnete für ein paar Sekunden lang blinzelnd die Augen. Durch den wässrigen Film auf meinen Augen konnte ich Sophie nur recht verschwommen sehen, aber sah sie und betrachte sie einige Wimpernschläge lang, bevor ich die Lider wieder schloss.
Erleichtert, aber auch erschöpft atmete ich lange aus, spürte den Druck auf meiner Brust leichter werden und beruhigt mich wieder relativ schnell. Es war kein Traum, kein Traum konnte sich so real anfühlen, dachte ich und atmete nochmals tief aus, schluckte und murmelte feststellend ihren Namen, während ich erneut kurz blinzelte, um sie anzuschauen. Sie war immer noch da.
Ich hob unsere Hände auf meinen Oberkörper und drückte mich weiter gegen sie: "Du bist noch da" brachte ich hervor und fügte in meinen Gedanken hinzu, dass sie mich nicht allein gelassen hatte.
Dass Sigyns Abwesenheit in den letzten Tagen etwas mit unserem ersten Treffen zu tun hatte, war zwar nur eine Vermutung meinerseits, aber falls das wirklich der Wahrheit entsprach, schien es sich jetzt umzudrehen. Nun war ich derjenige, den das Treffen so beschäftigte, dass ich mich nicht dazu bereit fühlte, unter Leute zu gehen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich aus demselben Grund so gut wie gar nicht geschlafen hatte und mich einfach nur gerädert fühlte.
Ich ließ mir etwas zum Essen auf meine Gemächer bringen, gemeinsam mit den Briefen, die an diesem Tag für mich beziehungsweise für den Allvater ankamen. Es war zwar nicht typisch für den König von Asgard, sich den ganzen Tag nicht blicken zu lassen, aber ein paar Aufgaben konnte ich immerhin von meinen Gemächern aus erledigen.
Oder zumindest könnte ich das, wenn ich mit den Gedanken nicht immer wieder zu der letzten Nacht abdriften würde. Teilweise starrte ich auf die Zeilen vor mir, ohne etwas zu sehen, und ging gedanklich jedes Wort durch, was ich mit Sigyn gewechselt hatte.
Sie hielt mich nicht für ein Monster, wie alle anderen. Sie sah das Gute in mir, während ich es selbst nicht mehr sah. Ich hatte das Gefühl, dass ich selbst schon lange zu dem geworden war, wofür mich alle hassten. Als ob ich keine andere Wahl gehabt hatte. Aber sie sah das anders und ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte.
Am Ende des Tages, als mir eine Magd etwas zum Abendessen brachte, hatte ich es gerade so hinbekommen, eine handvoll Briefe zu lesen und zu beantworten. Für manche hatte ich mehrere Anläufe gebracht, weil ich keinen sinnvollen Satz auf das Papier bekam. Ich aß etwas und legte mich dann vollkommen frustriert ins Bett.
Und auch da kam ich nicht zur Ruhe, sondern lag wieder die halbe Nacht wach, wälzte mich hin und her und stand schließlich frustriert auf. Ich gab mir gar nicht erst die Mühe und nahm Odins Form an, sondern ging einfach als ich selbst aus der Tür. Wenn mich jemand sah, hatte ich Wege, aus seinem Blickfeld zu verschwinden.
Ziellos wanderte ich durch das Schloss, wich den Wachen aus und ließ es einfach zu, dass meine Füße mich wie von selbst bis zu Sigyns Gemach trugen. Unentschlossen stand ich vor der Tür und trat dann einen Schritt zur Seite. Ich legte meine Hand an die Wand, schloss die Augen und machte dasselbe wie in den Geheimgängen am Vortag, ließ die Wand durchsichtig werden und warf einen Blick in ihr Gemach. Irgendwie fühlte es sich falsch an, aber ich konnte nicht anders. Ich wollte einfach nur sehen, ob es ihr gut ging, schließlich war die Nacht zuvor anstrengend für sie gewesen.
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Sophie
Die Sorge um ihn stieg mit jeder Sekunde, die er nicht die Augen öffnete. Je länger es dauerte, desto größer wurde die Angst, dass er wieder den Sinn für die Realität verlor und in seinen Gedanken und Erinnerungen versank. Aber immerhin ließ er meine Berührungen zu, zuckte nicht direkt zurück, sondern lehnte sich sogar gegen meine Hand.
Ich hatte mich über ihn gebeugt, hielt ihm die Haare aus dem Gesicht und betete, dass er die Augen öffnete. Es dauerte noch einen Moment und er atmete zittrig und unregelmäßig. Aber dann sah er mich endlich an, öffnete seine Augenlider für einen kurzen Moment. Seine Augen waren von einem Tränenschleier bedeckt, daher wunderte es mich nicht, dass es erst so wirkte, als würde er mich nicht erkennen. Aber als er so erleichtert ausatmete und es so wirkte, als würde ihn die ganze Anspannung mit jeder Sekunde mehr verlassen, entspannte auch ich mich langsam.
Er sagte meinen Namen, zwar sehr undeutlich, aber man erkannte es trotzdem. Ein warmes Lächeln lag auf meinen Lippen und ich strich vorsichtig über seine Wange. "Hey", sagte ich und musste etwas schmunzeln.
Schließlich drückte er die Hand, mit der er meine noch immer festhielt, gegen seine Brust, schien endlich wieder im Hier und Jetzt angekommen zu sein. Und dann sah er mich an, sah mich richtig an.
"Natürlich bin ich noch da", erwiderte ich schließlich. Ich beschloss, die Situation etwas aufzulockern, aber meine Wange lag noch immer an seiner Wange, während ich ihn anlächelte. "Du liegst schließlich in meinem Bett."
Der Allvater blieb den ganzen Tag ungesehen und obwohl das seit Ewigkeiten nicht mehr passiert war hatten die anderen Hofdamen schon wieder aufgehört darüber zu reden und sich damit zufrieden gegeben, dass er eben ein alter Mann geworden sei, der manchmal seine Ruhe brauchte.
Wenn ihr nur wüsstet, hatte ich gedacht, dass der Allvater weder ein alter Mann, noch überhaupt der Allvater war, hatte aber natürlich kein Wort gesagt und stattdessen so gut wie möglich mitzuspielen. Meine Gedanken hingen allerdings die ganze Zeit über bei Loki.
Es war nicht besorgniserrengd, wenn der Allvater einmal einen Tag in seinem Gemach blieb, aber getuschelt wurde darüber natürlich trotzdem, schließlich war das sehr lange nicht passiert. Loki war ein guter Schauspieler, dass war mir bewusst, wenn er sich also so etwas erlaubte, einen Moment aus seiner alltäglichen Rolle zu schlüpfen, dann musste es dafür einen Grund geben.
Und der Grund musste doch wohl irgendwann diese Nacht passiert sein? Oder etwa nicht? Vielleicht war es doch etwas was ich gesagt hatte oder er fühlte sich ganz einfach nicht gut, aber woher sollte ich das wissen?
Ich hatte mir am Abend aus der Bibliothek mehrere Bücher mitgenommen, zum einen weil sie tatsächlich interessant aussahen und zum anderen, weil ich gehofft hatte so meine um Loki kreisenden Gedanken orden zu können, um schneller einen Schlaf zu finden.
Letztlich brachte das jedoch nichts, denn obwohl es schon recht spät war und ich bereits zwei Bücher beinahe durch hatte, lag ich noch immer auf dem Bauch wach in meinem Bett, stützte den Kopf ab und blätterte mit der anderen Hand immer wieder die Seiten um. Meine Zofe hatte mir bereits in mein Nachtgewand geholfen und war längst gegangen, aber trotz Müdigkeit fiel es mir schwer die Augen lange zuzuhalten, weil mein Kopf dann sofort wieder bei Loki war. Was hatte ihn dazu gebracht den ganzen Tag unterzutauchen?
Ich machte mir Gedanken ob ihm womöglich etwas passiert war und fragte mich immer wieder ob es meine Schuld war, ob ich etwas falsch gemacht hatte, weshalb ich teils mehrere Minuten lang auf den selben Seiten verweilte, ohne irgendetwas zu lesen.
Die Nacht wurde immer dunkler und irgendwann fühlte ich für ein einen Bruchteil einer Sekunde ein Gefühl, als würde ich beobachtet werden.
Trotzdem das Gefühl noch mit dem selben Wimpernschlag wieder verschwand blickte ich kurz zur Tür und dann wieder in das Buch während ich mich ein wenig schüttelte.
Es war spät, ich noch immer erschöpft und das hieß, dass weder meine Wahrnehmung besser wurde, noch die Tendenz dazu Visionen zu bekommen, auch wenn Müdigkeit nicht immer ein Indikator für diese war.
Seufzend klappte ich das Buch zu und legte den Kopf darauf ab, ohne die Kerzen um mich herum zu löschen oder die Augen zu schließen."Natürlich bin ich noch da", erwiderte ich schließlich. Ich beschloss, die Situation etwas aufzulockern, aber meine Wange lag noch immer an seiner Wange, während ich ihn anlächelte. "Du liegst schließlich in meinem Bett."
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Bucky
Sophies Lächeln brachte mich dazu für ein paar Momente nur dieses zu sehen und an nichts anderes zu denken. Ihr Lächeln war schön, angenehm und nicht nur weil ich seit langem kein solches mehr gesehen hatte. Ich atmete lange und leise aus während ihre Finger sanft über meine Wange strichen, ein leicht kribbelndes Gefühl hinterlassend, welches ein warmes Ziehen durch meinen Oberkörper mit sich brachte.
Mein Blick blieb bei ihren Lippen als sie begann zu reden und ich konnte fühlen wie sich die Erleichterung noch tiefer in mich grub als sie mir sagte, dass sie noch da war, als wäre diese verbale Bestätigung genau das gewesen was ich gebraucht hatte. Es faszinierte mich wie selbstverständlich sie es sagte, als hätte ich wirklich keine Zweifel daran haben brauchen, dass sie geblieben war. Als wäre es nur logisch und offensichtlich das ich nicht träumte und das sie sich nicht fürchtete, als würde es tatsächlich keinen Grund geben, wegen dem ich mich fürchten müsste.
Ich nickte zitternd und spürte nun auch wieder intensiv den weichen Untergrund auf dem ich lag, weich und warm und in dem Augenblick wünschte ich mir nichts anderes als für immer hier liegen zu bleiben und Sophies Gesicht zu betrachten, mich irgendwie sicher und vertraut zu fühlen.
Während ich weiter ihre Hand gegen meinen Oberkörper hielt fuhr ich mit der metallenen Hand über das weiße Laken, zog ein wenig daran, obwohl ich von der Wärme und Weiche wegen dem Metall nichts fühlen konnte, als könnte ich so testen, dass auch das Bett real war, wirklich ihres war so wie sie sagte. Als sich die silbernen Fingerspitzen unter der Decke hervorschoben zog ich sie schnell wieder zurück.
"Ja" meinte ich gebrochen und versuchte mich an einem kläglichen Lächeln, weil mir nicht zum Lächeln zumute war, aber ich ihres erwidern wollte und fragte mich erneut wer sie war, dass sie einen fremden Mann in ihrem Bett schlafen ließ.
Einen fremden Mann mit Metallarm, einen Killer, einen Verrückten.
"Ich dachte nur..." fing ich an und verstummte dann. Es hätte mich nicht gewundert wäre sie über Nacht geflüchtet oder wenn ich bei HYDRA aufgewacht wäre, weil so gern ich sie mochte, desto weniger konnte ich verstehen, warum sie bei mir blieb, mich bei ihr bleiben ließ.
"Das du vielleicht gar nicht echt bist" beendete ich den Satz und fasste unkontrolliert noch fester um ihre Hand, schämte mich allmählich wieder dafür so schwach zu sein, aber hatte gleichzeitig das Gefühl inzwischen sowieso ihr Gegenüber das Bild von Stärke verloren zu haben, wandte jedoch trotzdem den Blick ab.
Loki
Irgendwie fühlte es sich falsch an, so heimlich vor ihren privaten Gemächern zu stehen und sie zu beobachten. Ich kam mir vor, als würde ich etwas ganz falsches tun, schließlich übertrat ich hiermit eindeutig eine Grenze. Es war selbstsüchtig von mir und ich dachte für einen Moment daran, dass ich vielleicht doch der schlechte Prinz, das Monster, war, für den mich alle hielten. Wer sonst würde einer Frau so nachstellen? Aber trotz allem rührte ich mich nicht vom Fleck, ich war wie festgefroren an Ort und Stelle.
Sie lag auf dem Bett, auf dem Bauch, und hatte ein aufgeschlagenes Buch vor sich. Die Tatsache, dass sie ihre Gewandung bereits abgelegt und ihr Nachthemd anhatte, gaben mir noch mehr das Gefühl, ihre Privatsphäre zu invadieren. Und trotzdem ging ich nicht zurück in meine Gemächer.
Sie war ganz vertieft in ihr Buch, schaute nur auf die Seiten vor sich und bewegte sich fast gar nicht. Ihre Haare waren offen und lagen über ihrer Schulter, aber so, dass ich immer noch ihr Profil sehen konnte, während sie las. Das Zimmer wurde nur von Kerzenlicht beleuchtet und hüllte sie in ein warmes Licht. Ich konnte meinen Blick gar nicht abwenden, sie ... Sie war so schön.
Auf einmal hob sie ihren Kopf und schaute zur Tür. Sofort zuckte ich zusammen und dachte, sie hatte mich erwischt. Vielleicht stand ich schon so neben mir, dass mein Zauber nicht richtig wirkte und sie mich doch sehen konnte. Aber sie gab keinen Ton von sich und schaute nach einem kurzen Moment wieder weg.
Allerdings war das für mich eine Art Wachruf. Was machte ich hier gerade? Es war falsch und gehörte sich nicht, so sollte man sich einer Frau gegenüber nicht verhalten. Ich schüttelte mit dem Kopf, ließ das Loch in der Wand verschwinden und machte mich so schnell ich konnte zurück auf den Weg in meine Gemächer. Dort schloss ich die Tür hinter mir, lehnte mich dagegen und fragte mich, was ich mir dabei überhaupt gedacht hatte. Ich stand vollkommen neben mir und das nur wegen einer Frau. Wegen Sigyn.
Ich ging zurück ins Bett, lag aber die halbe Nacht noch wach und dachte darüber nach, was ich mir dabei gedacht hatte. Das war so untypisch für mich, diese Gedanken, mein Verhalten. Ich ärgerte mich über mich selbst, auch als ich in den frühen Morgenstunden in einen leichten Schlaf fiel.
Mir war klar, dass ich mich nicht noch einen Tag lag verkriechen konnte. Daher nahm ich am Morgen wieder die Form des Allvaters an und ging wieder meinen alltäglichen Aufgaben nach, auch wenn ich den ganzen Tag über immer mal wieder in Gedanken versank. Sigyn sah ich nicht, aber das war wahrscheinlich auch ganz gut so.
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Sophie
Es erleichterte mich, dass er langsam aber sicher wieder in der Realität angekommen war. Auch wenn ich in seinen Augen noch immer diesen Schleier sehen konnte, der immer in seinem Blick lag. Er war nie ganz im Hier und Jetzt, das war mir bewusst. Aber ich nahm, was ich nehmen konnte, auch wenn er mir vielleicht nie verraten würde, was ihm zugestoßen war. Vor allem, da ich mir nicht sicher sein konnte, wie lange er noch bei mir bleiben würde.
Für einen Moment hatte ich Angst, dass ich nach Hause kam und er nicht mehr da war. Ich hatte mich nach der kurzen Zeit so an ihn gewöhnt und war sogar froh, dass er hier war, dass der Gedanke, ihn nicht mehr hier zu haben, fast schon schmerzhaft war. Aber er war auf der Flucht vor etwas oder vor jemandem, da war ich mir sicher, und das bedeutete, dass er nicht für immer hier bleiben konnte.
Mir entging nicht, dass er meine Hand nur noch fester hielt. Aber er unterbrach den Blickkontakt zwischen uns nicht, hielt meinen Blick weiter mit seinem fest. Sein Lächeln wirkte nicht wirklich echt, aber immerhin versuchte er es.
Dann begann er zu reden, unterbrach seinen Satz aber bereits nach wenigen Worten. Als wäre er unsicher, ob er das, was ihm im Kopf herumschwirrte, aussprechen sollte. Ich strich weiterhin vorsichtig über seine Wange und lächelte ihn an, in der Hoffnung, ihm so ein Gefühl von Sicherheit zu geben.
Und dann vervollständigte er seinen Satz. Er dachte, ich war vielleicht gar nicht echt? Dass er sich mich nur einbildete, ich nur ein Konstrukt seiner Gedankenwelt war? Ich versuchte, aus seinen Worten schlau zu werden, aber es war mir ein Rätsel, wie er auf diese Idee gekommen war. Allerdings wollte ich ihn nicht verunsichern, sondern ihm ein Gefühl von Sicherheit geben.
"Ich bin sehr echt", sagte ich und lächelte ihn an. Kurz zögerte ich, dann senkte ich den Kopf und drückte meine Lippen für einen Moment auf seinen Handrücken. "Und ich gehe nirgendwohin, versprochen."
Mein Blick wanderte wieder zu ihm hoch und ich drückte seine Hand sanft. "Wie wäre es, wenn ich etwas zum Frühstücken mache, Kaffee koche und wir machen uns einen ganz ruhigen Vormittag?", schlug ich vor und strich ihm noch eine Haarsträhne aus der Stirn.
Sigyn
Irgendwie musste ich noch eingeschlafen sein, denn am nächsten Morgen weckte mich meine Zofe, viel zu zeitig für meinen Geschmack und zog das Buch unter meiner Wange weg. Sie sah mich ein wenig tadelnd an, als würde sie sagen wollen, kein Wunder das ihr so müde seid, wenn ihr über Büchern einschlaft, aber natürlich sprach sie das nicht aus.
Kurz dachte ich darüber nach mich zu rechtfertigen, aber dann hätte sie wohl nur gefragt, worüber ich mir den Kopf so zerbrach und das konnte ich nun wirklich niemandem erzählen.
Und damit waren meine Gedanken wieder zurück, die um Loki kreisten. Warum hatte er sich gestern zurück gezogen?
Erfreulicherweise hörte ich von den anderen Hofdamen als ich zu ihnen stoß, dass man den Allvater heute schon wieder in den Gängen gesehen hatte. Loki hatte sein Schauspiel also wieder aufgenommen, was mich eigentlich nicht wunderte. Er war klug und noch länger unterzutauchen und die Aufmerksamkeit besonders auf den Allvater zu ziehen, wäre alles andere als klug gewesen, aber trotzdem machte ich mir weiterhin Gedanken darum.
Hatte es doch irgendetwas mit mir zu tun gehabt, dass er in seinen Gemächern geblieben war? Aber was sollte ich gemacht haben? Was sonst konnte der Grund gewesen sein? Seltsamerweise mochte ich es gar nicht, daran zu denken, dass ich ihn vielleicht verärgert hatte.
All das war mir den ganzen Tag im Kopf. Den ganzen Tag lang, an dem ich den Allvater nicht einmal persönlich sah. Ich erwischte mich selbst dabei, wie ich mich besonders häufig in den Gängen in der Nähe seiner Gemächer aufhielt, aber das Glück war nicht auf meiner Seite und er tauchte nicht auf.
An diesem Abend schlief ich ein bisschen leichter ein, weil ich wusste, dass ich Loki spätestens in der nächsten Nacht wiedersehen würde und weil er zumindest wieder sein Allvater-Dasein fortführte, aber in meinen Träumen kam er trotzdem vor und mitten in der Nacht wachte ich sogar von einer Vision auf, die mir nur dunkel Lokis schlafende Form zeigte und mich dann allein in meinem Bett zurück ließ.
Auch der nächste Tag blieb ruhig und ich verbrachte die meiste Zeit in meinem Gemach, um meine Kräfte für die Übungsstunde zu sammeln, wegen der ich dieses Mal besonders aufgeregt war. Mein kleiner Finger zuckte den ganzen Tag ununterbrochen und hörte auch nicht auf als ich in der Nacht, viel zu zeitig, los machte und mir den Weg in die Unterwelt des Palastes suchte, sodass ich mehr als eine halbe Stunde früher dort unten war. Mit zitternden Schultern entzündete ich ein paar Fackeln mit der Kerze, die ich mitgebracht hatte und setzte mich dann ungeduldig und nervös auf einen Stuhl.
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Bucky
Unsicher schaute ich weiterhin von Sophie weg und aus dem Fenster, in welches der Tag schon hell herein leuchtete. Es musste schon Mittag sein, ganz sicher und trotzdem fühlte ich mich immer noch ein wenig müde, obwohl ich besser geschlafen hatte als jemals zuvor.
Ich war mir nicht sicher ob man die Müdigkeit überhaupt irgendwann vollständig los wurde, wenn man mehrere Jahrzehnte lang geschlafen hatte oder auf der anderen Seite ob man sich eigentlich müde fühlen sollte nach so viel Schlaf. Wobei ich ja auch nicht wirklich geschlafen hatte.
Sophies Worte kamen leise bei mir an und ich hörte mich selbst tief einatmen, als wäre diese verbale Bestätigung alles gewesen, was ich je hatte hören müssen, um ihr zu glauben. Vorsichtig wandte ich mich wieder zu ihr als ich plötzlich ihre Lippen an meinem Handrücken spürte, wie sie sie zärtlich an meine Haut drückte. Ihre Lippen waren weich und warm und obwohl ich, weil ich überrascht war, vielleicht auch verwirrt, die Luft angehalten hatte, ließ ich sie gewähren und folgte schließlich ihren Augen.
Sie lächelte und es war ein ehrliches Lächeln, von dem ich geglaubt hatte es womöglich nie wieder zu sehen und deswegen nickte ich ein wenig. Ich wollte ihr glauben, dass sie nirgendwohin gehen würde. Ich wollte unglaublich gern einmal jemandem glauben, dass er mich nicht allein lassen würde, aber es fiel mir trotz allem schwer.
Langsam fing ich wieder an zu atmen und zog einen Mundwinkel leicht nach oben. Zumindest war Sophie die Erste seit Ewigkeiten, bei der ich zumindest versuchen konnte, das zu glauben. Bisher war sie schließlich auch nicht weggerannt und hatte auch noch kein einziges Versprechen gebrochen.
Ich spürte ihren Händedruck und kopierte die Geste sofort, fühlte die Existenz ihrer Wärme und der weichen Haut in meiner Hand und erwiderte ihren Blick.
"Die Idee finde ich gut" meinte ich, sagte es viel leiser als gewollt, aber war froh überhaupt etwas über die Lippen zu bringen während ihre Finger behutsam Haare aus meinem Gesicht strichen.
In diesem Augenblick, ihre Hand in meiner und ein weiches Bett unter mir und ein helles Zimmer, setzte sich auf einmal eine tiefe Ruhe in mir ab und ich konnte spüren, wie sich mein Mundwinkel noch weiter nach oben verzog, weil sich in diesem Moment alles seltsam gut anfühlte.
In meinen Gedanken waren weder meine Flucht, noch Hydra, noch lose Erinnerungen oder der Metallarm, der immer noch unter der Decke verschwunden war, sondern eigentlich nichts. Nichts, außer Sophie und ihren Berührungen und ihrer Menschlichkeit und diesem einen Moment.
Und seltsamerweise fühlte sich das richtig an, als wäre alles so, wie es sein sollte.
Loki
Natürlich kamen Fragen über meine Abwesenheit am Vortag auf, sobald ich einen Raum betrat. Ich antwortete einfach mit einem lahmen "Mir ging es nicht so gut" und beließ es dabei. War ja nicht so, dass der Allvater nicht auch mal einen kleinen Schnupfen hatte.
Zum einen war ich froh, dass Sigyn mir nicht über den Weg lief, auf der anderen Seite schaute ich mich andauernd nach ihr um, weil ich es gar nicht abwarten konnte, sie wieder zu sehen. Ich musste nicht einmal mit ihr sprechen. Mir reichte schon ein Blick aus. Ein kurzer Blick.
Als ich abends in meinen Gemächern darauf wartete, dass Mitternacht kam und ich in die Katakomben für das Treffen mit Sigyn gehen konnte, war ich mehr als einmal kurz davor, wie am Vorabend einfach wieder zu ihren Gemächern zu gehen. So ungeduldig war ich, sie wieder zu sehen. Ich wusste nicht, ob ich das gut oder schlecht finden sollte.
Schließlich betrat ich pünktlich als die Turmglocken Mitternacht schlugen den Raum unterhalb des Thronsaals und schloss die Tür zum Geheimgang, die bereits offen gestanden war, hinter mir. Sigyn war schon da. Sie war noch nie vor mir da gewesen. Ich gab mir Mühe, nicht zu viel in diese Tatsache hinein zu interpretieren.
Vorsichtig lächelte ich sie an und trat etwas näher. Ich war unsicher, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Andererseits konnte ich mein Lächeln gar nicht zurückhalten. "Guten Abend. Oder eher gute Nacht", sagte ich und nahm den schweren, schwarzen Umhang von meinen Schultern, um ihn über die Lehne eines Stuhls zu hängen.
"Ich hoffe, du hast nicht allzu lange warten müssen", meinte ich und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe ich wieder zu ihr schaute und langsam ein paar Schritte auf sie zu machte.
Die Stimmung war irgendwie seltsam zwischen uns. Nicht angespannt, überhaupt nicht, aber vollkommen entspannt war anders. Es lag etwas mir fremdes in der Luft, was ich nicht genau benennen konnte, was mich aber irgendwie nervös machte.
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Sophie
Kurz wirkte es so, als würde er die Luft anhalten, sobald ich mit den Lippen seine Haut berührte. War ich damit vielleicht doch etwas zu weit gegangen? Hatte eine Grenze überschritten? Aber er atmete nur wenige Sekunden später ganz normal weiter und eventuell hatte ich mir das auch nur eingebildet.
Er sah mir wieder ins Gesicht und ich musste lächeln, als ich den leichten Druck an meiner Hand spürte. Er wollte diese wohl gar nicht mehr loslassen.
Irgendwie erleichterte es mich, dass er mein Angebot mit dem Frühstück annahm. Etwas zum Essen und eine Tasse Kaffee und er fühlte sich vielleicht noch etwas besser.
Gerade als ich aufstehen und mich auf den Weg in die Küche machen wollte, merkte ich, wie das Lächeln auf seinem Gesicht, welches zuvor kaum erkennbar war, auf einmal breiter wurde. Er sah beinahe ... Glücklich aus. Und bei diesem Anblick machte sich auch in mir ein wahnsinniges Glücksgefühl breit.
"Es tut mir sehr leid, aber ich befürchte, du musst meine Hand loslassen, wenn ich etwas zum Essen besorgen soll", sagte ich nach kurzem Schweigen, wobei ich ihn einfach nur dämlich lächelnd angeschaut hatte. Ich drückte ihm noch einmal nach kurzem Zögern einen flüchtigen Kuss auf die Hand und ließ sie dann vorsichtig los.
Ich schlug die Decke auf meiner Seite des Betts zur Seite und kletterte schließlich aus diesem heraus. "Bleib ruhig liegen, wir können hier essen. Ruh dich noch ein bisschen aus", sagte ich, während ich meine Haare mit einem Haargummi vom Nachttisch zusammenband. Ich lächelte ihn an und machte mich dann auf den Weg in die Küche.
Gut, dass ich erst einkaufen gewesen war, so konnte ich ihm wenigstens ein richtiges Frühstück geben. Als erstes machte ich die Kaffeemaschine an und stellte die leere Kanne hinein. Dann machte ich mich daran, ein paar Rühreier mit Speck in die Pfanne zu hauen. Schon nach wenigen Minuten wurde die ganze Wohnung von einem Duft nach frischem Kaffee und Eiern erfüllt.
Ich konnte und wollte es nicht leugnen: Ich war glücklich und der Mann in meinem Bett hatte einen großen Einfluss darauf, vollkommen egal wie außergewöhnlich er in ziemlich jeder Hinsicht war. Oder vielleicht gerade deswegen.
(Die Prüfungen von denen ich geredet habe sind abgesagt wurden, das nächste ist dann also mein Abitur (wenn es denn pünktlich stattfindet). Wünsche dir das auch :) - Aber da ich sowieso nur zuhause bin, kommt auch einen Tag später schon meine Antwort:)
Sigyn
Wegen der Tür, die ich offen gelassen hatte, konnte ich Lokis Schritte in dem Geheimgang schon hören bevor ich ihn sah und noch bevor die Glocken der Turmuhr des Palastes schlugen. Sofort richtete ich mich auf dem Stuhl auf und mein Puls erhöhte sich ganz sicher zumindest ein wenig, ganz zu schweigen von meinem nervös zuckenden Finger, den ich versuchte mit der anderen Hand zu verbergen.
Nachdem Loki also diese Tür hinter sich geschlossen hatte und sich dem Raum zuwandte bemerkte er mich und kurz huschte ein überrascher Schatten über sein Gesicht, der schnell durch ein leichtes Lächeln ersetzt wurde als er auf mich zu lief. Noch immer war es ein ungewohnter Anblick diesen Ausdruck bei dem jüngsten Prinzen zu sehen und trotzdem und auch obwohl ich mich unsicher fühlte erwiderte ich sein Lächeln, wenn auch ein bisschen zögerlich.
Auf jeden Fall sorgten seine Gesichtszüge und die fast leicht daher gesagte Begrüßung dafür, dass ich mir weniger Gedanken darüber machte, warum er sich einen Tag nicht gezeigt hatte. Völlig gingen sie jedoch auch nicht unter und ich folgte jeder seiner Bewegung mit meinen Augen, als könnte ich so irgendwie erkennen, woran es gelegen hatte und ob ich daran Mitschuld trug. Wie so oft konnte ich allerdings nichts davon erkennen.
"Allzu lange warte ich noch nicht" log ich. Schließlich war es aber auch meine Schuld, dass ich so lange hatte warten müssen, weil ich so zeitig hierher gekommen war. Das musste er ja aber nicht wissen. Genauso wenig warum ich so früh hier gewesen war.
Ich beobachtete Loki wie er sich Haare aus der Stirn strich und fügte dann hinzu: "Gute Nacht trifft es wohl eher Prinz Loki. Wenn meine Zofe wüsste wie spät ich mich noch außerhalb meiner Gemächer herumtreibe, dann würde sie mir wahrscheinlich trotz ihres Standes eine schöne Rede halten".
Und wenn sie wüsste, mit wem ich mich traf, dann würde sie mich für verrückt erklären, selbst wenn Loki nicht für tot gehalten würde. Ganz sicher, aber darüber schwieg ich, während ich meinen Herzschlag in meinen eigenen Ohren hören konnte.
Mir brannte die Frage nach seinem Verschwinden auf der Zunge, aber ich hütete mich zumidest vorerst davor sie auszusprechen, während ich nervös meine Hände, die in meinem Schoß lagen, zusammendrückte.
"Ich wusste nicht das ihr immer so püntklich hier unten erscheint, dann hätte ich bei unseren letzten Treffen vielleicht auch mehr darauf geachtet, rechtzeitig hier zu sein und nicht erst Minuten später" meinte ich und räusperte mich leise.
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Bucky
Langsam nickte ich auf ihre Worte hin, obwohl ich auf Essen auch hätte verzichten können, wenn es im Gegenzug bedeutete sie weiter bei mir zu behalten und beobachtete wie sie leicht ein zweites Mal die Lippen an meine Hand legte, was sich im Kontrast zu meinen Erinnerungen seltsam intim anfühlte.
Nur ungern ließ ich ihre Hand los, aber lockerte meinen Griff doch und beobachtete wie sie ihre Finger behutsam meinen entzog, bevor sie aus dem Bett stieg. Kühle Luft traf meinen Oberkörper als sie die Decke anhob und ihr warmer Körper weg von mir rutschte, weshalb ein Schauer über mich lief. Mein Blick folgte ihr bis sie das Zimmer verlassen hatte, das Lächeln auf ihrem Gesicht in mein Gedächtnis eingebrannt, bevor ich mich tief ausatmend weiter in das Kissen sinken ließ.
Mir kamen die Erlebnisse der letzten Tage weit entfernt vor. Alles kam mir weit entfernt vor, alle Erlebnisse verschwommen ein wenig, wenn ich nur lang genug über sie nach dachte. Mit einem Seufzen nach innen verschwand das Lächeln von meinen Lippen.
Vorsichtig setzte ich mich auf und zog die Decke gleichzeitig höher, wobei mir unter dem Stoff des Pullovers der Verband um meinem Oberkörper auffiel, den ich schon beinahe wieder ganz vergessen hatte. Die Wunde schmerzte überhaupt nicht mehr und ich fragte mich ob sie schon verheilt war, so wie viele Wunden bei mir schneller heilten als sie normalerweise sollten, aber ich traute mich nicht den Verband abzunehmen.
Durch den Blick auf diese Verletzungen kamen aber sofort gleich wider alle verdrängten Gedanken hervor. Meine Flucht, HYDRA, der Metallarm, irgendeine Zeit lange bevor Sophie geboren war.
Schluckend schob ich den Metallarm unter der Decke hervor und legte mir die Hand in den Schoß, betrachtete die unnatürliche Farbe und Struktur und atmete lange aus.
Ich musste gehen. Ich musste sehr bald von hier verschwinden, wenn ich Sophie in Sicherheit wissen wollte und das war fast das einzige was mir wichtig erschien. Und wenn die Wunde verheilt war, dann hatte es nichts mehr zu geben, dass mich hier hielt.
Würde Sophie auch nur eine weitere unsichere, verschwommene Erinnerung in meinem Kopf werden? Irgendein Teil meines Lebens an den ich mich zwar erinnern, dem ich mich abr nicht zugehörig fühlte? Der Gedanke schmerzte noch mehr als die Tatsache selbst, dass ich sie würde verlassen müssen und ich fragte mich ob ich sie je wieder sehen würde.
Die Chancen dafür waren gering. Während das alles in meinem Kopf schwirrte nahm ich gleichzeitig den Geruch von Kaffee und Essen war und obwohl mein Bauch leer war, hatte ich keinen Hunger. Das alles hier würde schneller zu Ende sein als mir lieb war.
Ich war ein kleines bisschen in Alarmbereitschaft, für den Fall, dass sie mich auf meine Abwesenheit ansprach. Ehrlicherweise erwartete ich, dass das Gespräch im Laufe des Abends darauf gerichtet wurde. Ich befürchtete auch, dass sie es mir nicht glaubte, wenn ich sagte, dass ich an diesem Tag zu erschöpft war, um mich unter die Leute zu mischen. Eine andere Antwort auf diese Frage hatte ich mir noch nicht zurechtgelegt.
Aber jetzt konzentrierte ich mich erst einmal auf die Unterrichtsstunde mit ihr, auf die ich mich die letzten Stunden gefreut hatte.
Ich musste über ihren Kommentar über ihre Zofe schmunzeln. "Klingt so, als hätte deine Zofe eine bessere Bezahlung verdient, bei dem, was sie mit dir mitmachen muss", erwiderte ich. Waren sie und ich schon so weit, um solche Späße zu machen?
Mir fiel auf, dass sie ihre Hände ineinander krallte. War sie nervös und machte das, damit man ihren zuckenden kleinen Finger nicht sah? Im allgemeinen wirkte sie recht angespannt, obwohl unsere Unterhaltung ziemlich locker war.
"Mach dir keine Gedanken darüber", antwortete ich daraufhin. "Es ist ja nicht so, dass du eine halbe Stunde oder so zu spät warst. Und bei unserem ersten Treffen musstest du dich noch durch die Flure und den Thronsaal schleichen, weil du die Geheimgänge noch nicht kanntest."
Ich nahm mir einen Stuhl, zog ihn etwas näher zu ihr und setzte mich hin. Kurz strich ich meine Hose glatt, dann räusperte ich mich und sah sie an. "Na schön", murmelte ich, ehe ich meine Stimme wieder hob. "Hattest du die letzten Tage irgendwelche Visionen oder ähnliches und hast irgendetwas entdeckt, was diese Vision ausgelöst haben könnte?"
Die letzten Tage hatte ich auch darüber nachgedacht, was ich schon über ihre Fähigkeiten wusste, in der Hoffnung, irgendetwas zu entdecken, was bei der Kontrolle darüber hilfreich sein konnte. Alles, was ich wusste, war, dass sie öfter Visionen bekam, wenn sie nervös war. Aber eben nicht nur dann, sondern auch aus heiterem Himmel, ohne jegliche Auslöser. Und das war das komplizierte.
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Sophie
Während die Eier und der Speck in der Pfanne vor sich hin brutzelten, warf ich einen Blick auf mein Handy. Die Nachricht von meiner Mutter ignorierte ich für den Moment, dafür hatte ich später auch noch Zeit. Aber ich warf einen Blick in eine meiner Nachrichten-Apps, wo mir direkt ein Interview mit Tony Stark entgegensprang. Offenbar war er als Anführer der Avengers im Gespräch mit der US-Regierung war nach dem, was vor etwa einer Woche in Nigeria passiert war.
Ich hatte keine Zeit, den Artikel zu lesen, und ich hatte im Moment ehrlicherweise auch wichtigeres zu tun. Frühstück für James, in erster Linie. Also lud ich die fertigen Eier und zwei Tassen mit Kaffee sowie Milch und Zucker auf ein Tablett und balancierte alles zurück ins Schlafzimmer.
Dort hatte er sich mittlerweile aufgerichtet und sogar seinen Metallarm unter der Decke vorgeholt. Aber als ich ihn sah, blieb ich in der Tür stehen. Der entspannte und beinahe glückliche Gesichtsausdruck von gerade eben war verschwunden, er sah niedergeschlagen aus. Sein Blick lag auf seinen Händen, die er im Schoß liegen hatte, und er war so in Gedanken versunken, dass er mich offenbar gar nicht bemerkte.
Ich trat vorsichtig näher und stellte das Tablett schließlich auf dem Bett ab. Vielleicht war es nicht der richtige Weg, ihn aus seinen Gedanken zu reißen, aber mir fiel gerade nichts besseres ein.
"Ich wusste nicht, wie du deinen Kaffee magst, also hab ich Zucker und Milch vorsichtshalber mitgenommen", sagte ich, ehe ich mich im Schneidersitz auf das Bett setzte, neben ihn.
Er schien offenbar immer noch nicht wieder im Hier und Jetzt angekommen zu sein, also streckte ich nach kurzem Zögern die Hand aus und legte sie auf seine - die metallene. "Hey", sagte ich und legte meine andere Hand auf seine echte. "Erst einmal etwas essen und dann über alles andere nachdenken", schlug ich vor und lächelte ihn an.
"Ich bin mir sicher dabei würde meine Zofe euch zustimmen" bestätigte ich und blieb an dem Schmunzeln Lokis hängen, welches dazu beitrug, dass ich mir noch ein wenig mehr keine Sorgen machte und dass ich mir noch mehr einprägte, wie seltsam gut Loki ein Lächeln stand.
Mir fiel sein Blick auf meine Hände auf und sofort lockerte ich diese ein wenig, hielt sie aber weiterhin übereinander um meinen kleinen Finger zu verstecken. Ich wollte ihn nicht wissen lassen, dass ich unsicher war, aber vermutlich war es dafür schon längst viel zu spät. Loki war schlau und ich nicht immer besonders gut im schauspielern, geschweigedenn so gut wie Loki selbst.
Er holte einen Stuhl näher an den meinen und setzte sich dann letztlich, was uns eher auf ein gleiches Höhenlevel brachte.
Ich erwiderte seinen Blick, auch wenn es mir ein wenig schwer fiel, weil trotz allem mir noch die Frage nach seinem Untertauchen auf dem Herzen lag und ich biss mir ein wenig auf die Lippe während ich ihm zuhörte.
Allerdings beruhigte mich seine Frage eher weniger. Natürlich hatte ich Visionen gehabt, mehr als sonst, vermutlich eben weil ich nervös gewesen war, aber ich hatte eben auch eine Vision von ihm gehabt.
Unsicher strich ich mir mit der Hand über die Stirn und dabei gleich ein paar Haare aus dem Gesicht, die sich wie immer aus meiner Frisur gelöst hatten: "Ich hatte einige Visionen" fing ich fast schon erschöpft seufzend an, blieb kurz ruhig und dachte nach: "Aber größtenteils war es nichts weiter besonderes denke ich". Langsam ließ ich die Hand wieder in meinen Schoß sinken: "Meisten sind sie am Morgen gekommen oder am späten Abend, wenn ich zu Bett gegangen bin und schlafen wollte. Sie kommen überhaupt vor allem oft wenn ich allein bin und unbeschäftigt schätze ich. Vielleicht kommen sie ja auch eher wenn ich mir zu viele Gedanken mache" mutmaßte ich und zuckte ein wenig mit den Schultern, mehr zu mir selbst als die Geste an meinen Gegenüber zu richten.
In den letzten Tagen hatte ich mir tatsächlich viele Gedanken gemacht, hauptsächlich über Loki natürlich und ich war mir recht sicher, dass es dazu führte das ich Visionen bekam, wenn ich zu viel nachdachte.
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Bucky
Obwohl ich hörte wie Sophie zurück in das Schlafzimmer kam und ich im Winkel meines Blickfeldes sah wie etwas auf dem Bett abgestellt wurde, konnte ich nicht wegsehen von meinem Schoß und den verschiedenen Händen die dort lagen und beide zu mir gehörten. Auch Sophies Stimme kam bei mir an und ich bemerkte wie es mir ein wenig schwerer fiel zu atmen, als auch meine Finger ein wenig zu zittern anfingen.
Ich spürte wie sie sich neben mich auf die Matratze setzte und atmete schwer ein, versuchte den Druck auf meiner Brust zu ignorieren, der sich langsam abr stetig verschlimmerte. Ich wollte nicht gehen und das war verrückt.
Eigentlich kannte ich Sophie ja kaum, nur wenige Tage, aber trotzdem war sie in meinen Erinnerungen die einzige Person, die wirklich präsent war als jemand der mir nicht geschadet hatte.
Meine Schultern zuckten leicht zusammen und blinzelnd richtete ich meinen Blick auf Sophies Hand, die sich auf meine metallene geschoben hatte und schluckte, bevor sie mich erneut ansprach und ich den Kopf hob um sie anzusehen. Ihre zweite Hand legte sich über meine andere und ich atmete tief ein, konnte mit dieser Hand ihre tatsächlich fühlen.
Vorsichtig nickte ich und schaute dann wieder auf meine Hände, drehte die eine so, dass ich die Finger mit ihren verschränken konnte, während ich die Hand der Prothese ein wenig weg zog und den Arm dieser um meinen Bauch legte.
Mein Herz schlug schnell und laut. Wie war es überhaupt hierzu gekommen? Ich hatte nicht vorgehabt irgendjemandem das Leben schwer zu machen und jetzt saß ich hier und gefähredete Sophie mit jeder Sekunde die ich länger hier blieb.
Kurz öffnete ich den Mund, versuchte Worte hervorzubringen, schaffte es letztlich jedoch nicht und schloss ihn wieder, wusste gar nicht was ich sagen sollte. Mein Kopf war leer und gleichzeitig viel zu voll. Ich war viel zu verwirrt.
Geschlagen, ohne irgendetwas davon zu sagen, was ich ihr hätte sagen sollen, nickte ich dann: "Okay" brachte ich hervor und versuchte zu lächeln, strich mit dem Daumen über die weiche Haut ihrer Hand, empfand die stetige Bewegung als beruhigend und betrachtete dann das Tablett, welches sie gebracht hatte: "Du bist zu nett" kam es murmelnd über meine Lippen.
Vielleicht hätte ich ihr noch etwas Schonzeit geben sollen, bevor ich das Thema direkt ohne Umschweife ansprach. Allerdings war ich mir nicht sicher, worüber sonst ich mit ihr sprechen sollte, ohne die Situation ... Seltsam zu machen. Seltsam war die Stimmung zwischen uns ohnehin schon, ohne dass ich versuchte, Smalltalk zu betreiben. Da musste ich es nicht noch schlimmer machen.
Aufmerksam hörte ich ihr zu, mir entging aber auch keine Regung ihres Gesichts oder ihrer Hände. Sie hielt ihren berüchtigten kleinen Finger immer noch bedeckt. Wahrscheinlich machte meine Anwesenheit alleine sie nervös und das war in Ordnung. Sie bewirkte bei mir schließlich dasselbe, auch wenn ich es anders verarbeitete. Irgendetwas sagte mir, dass wir uns sehr ähnlich fühlten, aber keiner traute sich, die Tatsachen anzusprechen.
Ich dachte einen Moment darüber nach, was sie gesagt hatte. Sie hatte Visionen gehabt, aber nur abends oder morgens, wenn sie sonst unbeschäftigt war. Das sagte mir, dass sie über irgendetwas sehr intensiv nachdachte, so sehr, dass sie sich in ihren Gedanken verlor und ihre Magie ihr Ding machte.
"Hm", sagte ich und faltete die Hände, ehe ich meinen Kopf darauf legte. "Hast du schon mal etwas über Atemtechniken und Meditation gelesen? Wenn die Visionen vor allem dann kommen, wenn deine Gedanken das Wandern anfangen, könnte es vielleicht helfen zu lernen, den Kopf frei zu kriegen", schlug ich schließlich vor. "Ich meine, du wirst nicht drum herum kommen, die Kontrolle über deine Magie zu gewinnen, wenn du vollkommen frei von den Visionen sein möchtest."
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Sophie
Natürlich zog er seine Prothese weg, aber immerhin wartete er einen kurzen Moment, bevor er sie wieder entfernte, sodass ich sie weder absichtlich noch unabsichtlich berühren konnte. Aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt, was er mit seiner anderen Hand machte. Er drehte sie so, dass meine Handfläche an seiner lag und schob dann seine Finger zwischen meine. Mein Herz machte einen Sprung und ich musste etwas lächeln, als er auch noch begann, mit dem Daumen über meine Knöchel zu streichen. Nebenbei spürte ich, wie meine Wangen etwas rot wurden. Das hier, diese einfache Berührung, fühlte sich viel zu gut an. Ich sollte besser aufhören, darüber nachzudenken.
Ich hob den Blick und sah in sein Gesicht. Sein Mund öffnete sich einmal kurz, schloss sich dann aber wieder. Mir fehlten auch etwas die Worte und ich hatte einen seltsamen Kloß im Hals. Wenn mir der Gedanke, dass er bald nicht mehr hier sein würde, vorher nicht gefallen hatte, hätte ich mich jetzt am liebsten mit einer schweren Metallkette an sein Bein gebunden, damit er nicht mehr weg kam.
Doch dann sagte er etwas, wenn auch sehr leise. Ganz kurz schaute er auch auf das Tablett mit dem Essen. Ich atmete einmal tief durch und lächelte ihn dann an.
"Ich glaube, das hat noch nie jemand zu mir gesagt. Und ich hoffe doch sehr stark, dass das als Kompliment gemeint hat", sagte ich und schmunzelte ein bisschen. Vielleicht war es ein etwas verzweifelter Versuch, die Stimmung aufzulockern. Aber ich gab mein bestes.
Ich griff nach einer Kaffeetasse und hielt sie ihm hin. "Ich wusste nicht, wie du deinen Kaffee magst, also hab ich ihn schwarz gelassen."
Möglichst langsam atmend um meinen Puls zu beruhigen schaute ich Loki an, der nachdachte und legte dann die Hände flach aneinander. Vorsichtig nickte ich nachdem ich ihm zugehört hatte: "Gelesen habe ich davon schon, es gibt viele Bücher darüber in der Bibliothek, aber ich muss zugeben das ich mich nie intensiv damit beschäftigt habe. Ganz zu schweigen von ausprobieren, dass habe ich nie... für nötig gehalten" erklärte ich leise und versuchte mich daran zu erinnern, was ich über Meditation gelesen hatte, aber es wollte mir einfach nicht in den Sinn kommen: "Eigentlich habe ich nur recht wenig, oberflächliches Wissen darüber" gestand ich mir selbst ein und seufzte innerlich, verfluchte mich fast ein wenig dass ich nur so wenige Sachbücher in meinem Leben gelesen und mich stattdessen eher für Geschichten interessiert hatte.
"Aber wenn ihr meint das es mir helfen wird, dann möchte ich es versuchen. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher dass es hauptsächlich passiert wenn ich mir zu viele Gedanken mache. Als ich herausfand das ihr nicht der Allvater seid, habe ich auch angefangen viel zu viel darüber nachzudenken und dann hatte ich später im Gang gleich eine zweite Vision von eurer wirklichen Gestalt. Und die letzten Tage lang hatte ich auch besonders viele Visionen, weil ich... zu sehr in Gedanken versunken war" hängte ich an und meine Stimme erstarb langsam während des letzten Teils des Satzes.
Mir kam wieder in den Sinn warum ich so nervös gewesen war, es eigentlich noch immer war, obwohl ich es gerade für wenige Sekunden verdrängt hatte.
"Jedenfalls..." räusperte ich mich leise und richtete den Blick von Loki weg, auf die Wand hinter ihm : "Wenn ihr sagt das es gegen meine Visionen hilft, dann werde ich mich damit beschäftigen, auch wenn es sie nicht ganz weggehen lässt".
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Bucky
Sophies Lächeln vertrieb die düsteren Gedanken aus meinen Kopf zumindest ein klein wenig und ich atmete ruhig aus.
"Natürlich war das ein Kompliment" antwortete ich schnell, auch wenn ich ihre Freundlichkeit mir gegenüber trotzallem für ein wenig naiv hielt. So naiv eben wie es war, wenn man einen fremden Killer im eigenen Bett schlafen ließ, der Jahrzehnte alt war und sich nicht einmal selbst auf den eigenen Verstand verließ.
"Ich bin wohl aus der Übung was Komplimente angeht" murmelte ich leise auf ihr Schmunzeln hin und zog noch im selben Augenblick die Augenbrauen zusammen unterddessen ich nach der Kaffeetasse griff. Ich wusste nicht woher dieser Satz gekommen war. Hatte ich ihn ernst gemeint?
"Schwarz ist er vollkommen in Ordnung" sagte ich zu Sophie. In meinem Kopf suchte ich ohne das ich es verhindern konnte nach einer Erinnerung, die mir sagte woher dieser Satz eben gekommen war, den ich ganz ohne großes Nachdenken von mir gegeben hatte. Hatte ich irgendwann vor HYDRA viele Komplimente gemacht? Hatte ich vielleicht sogar nur Komplimente an eine einzelne Person gemacht?
Mir wollte nichts einfallen und ich nahm einen Schluck von dem Kaffee, wobei mir sogleich dazu noch in den Sinn kam, dass ich Seit HYDRA keinen Kaffee getrunken hatte und der Geschmack und Geruch nur eine weit entfernte Szene in meinen Erinnerungen war. Eine Szene die mich mit seltsamer Ruhe erfüllte. Der Geruch von Kaffe in einer Wohnung, fröhliche, ruhige Momente, in denen ich wohl vielleicht gewusst hatte wohin ich gehörte. Kurz lächelte ich ein wenig bei dem Gedanken das es einmal ein Leben vor HYDRA gegeben hatte und vor einem Krieg und dann setzte sich wieder die dunkle Schwere in meinem Brustkorb ab, ich schluckte den Kaffee und schüttelte mich dann ein wenig wegen dem tief bitteren Geschmack.
"Vielleicht doch ein wenig Milch oder Zucker" meinte ich und hielt Sophie die Kaffetasse wieder hin.
Da war es. Sie dachte wegen mir so viel nach in letzter Zeit. Schon seitdem sie zum ersten Mal durchschaut hatte, dass der Allvater nicht wirklich der Allvater war. Ich fühlte mich irgendwie ... Schlecht, weil sie wegen mir so viele Visionen in letzter Zeit hatte und ihre Gedanken kaum im Zaum halten konnte. Das führte fast dazu, dass ich alle meine Entscheidungen der letzten Wochen in Frage stellte und das kannte ich nun so gar nicht von mir.
"Es ist eigentlich ziemlich einfach", sagte ich schließlich, darauf bedacht, sie nicht bemerken zu lassen, dass ich gerade eigentlich ziemlich neben mir stand. "Es geht hauptsächlich darum, sich ganz bewusst auf seinen Atem zu konzentrieren und dann verschwinden die Gedanken ganz von selbst. Vielleicht musste du ein bisschen hin und her probieren, ob es dir im Liegen oder im Sitzen leichter fällt, und ob du durch den Mund oder durch die Nase atmest. Aber ich glaube, dass du davon profitieren kannst."
Ich hielt kurz inne und kratzte mich kurz an der Schläfe, einfach nur, um irgendetwas mit meinen Händen zu machen. "Es ist vielleicht zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Keine Pflicht, aber ein ... Ein Vorschlag."
Innere Ruhe und Selbstkontrolle war ein wichtiger Schritt zur vollkommenen Kontrolle über ihre Fähigkeiten, die schließlich ein wichtiger Teil von ihr war.
Schließlich legte ich die Hände auf meine Knie und stand auf. "Na schön", murmelte ich, stellte den Stuhl wieder zur Seite, damit wir mehr Platz hatten. Dann wandte ich mich an sie und lächelte sie bemüht aufmunternd an. "Wollen wir?"
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Sophie
Aus meinem Schmunzeln wurde ein Grinsen, als er meinte, dass er das selbstverständlich als Kompliment gemeint hatte. Irgendwie war er ziemlich ... Süß, so unsicher und peinlich berührt. Kurz war ich verwundert, als er meinte, dass er wohl aus der Übung war was Komplimente anging. Das klang so, als hätte er schon sehr lange kein Date mehr gehabt, geschweige denn eine Freundin. Aber eigentlich sollte es mich nicht überraschen, ein gewöhnlicher Mann war er schließlich nicht.
Ich reichte ihm den Kaffee und trank einen Schluck aus meiner Tasse. Wie immer weckte mich allein der Geruch nach Kaffee auf. Allerdings wandte ich den Blick nicht von ihm ab, daher entging mir auch das kleine Lächeln auf seinen Lippen nicht. Er sollte wirklich mehr lächeln. Dann wirkte er weniger ernst. Mir entging selbstverständlich auch nicht, wie er sein Gesicht verzog, worüber ich lachen musste.
"Tut mir leid", sagte ich, während ich ihm die Kaffee abnahm und zurück auf das Tablett stellte. "Ich sollte mich öfter daran erinnern, dass nicht jeder seinen Kaffee so stark mag wie ich."
Ich gab etwas Milch und einen Löffel Zucker in seine Tasse und gab sie ihm dann zurück.
"Wenn du willst, kann ich mir deine Wunde nochmal anschauen, wenn wir aufgegessen hatten", schlug ich vor.
Einen kleinen Augenblick lang schien Loki abgelenkt und eine schuldige Miene legte sich über sein Gesicht, dann kehrten seine Züge so schnell zu einer bedrückenden Neutralität zurück, dass ich wie immer gar nicht sicher war, ob ich überhaupt wirklich eine Veränderung seiner Miene gesehen oder es mir nur eingebildet hatte. Er musste wirklich Jahrzehnte daran gearbeitet haben, diesen Ausdruck von gewisser Gleichgültigkeit zu erlernen und er war wirklich schwer zu durchschauen, aber seine Stimme verriet ihn. Zumindest kam es mir so vor als wäre sein Ton von einer gewissen Unsicherheit geprägt, die mir umso häufiger auffiel, desto länger wir miteinander Zeit verbrachten.
Nachdenklich betrachtete ich den jüngeren Prinzen. Wie viele Gedanken musste es wohl in seinem Kopf geben, die er noch niemals jemandem erzählt hatte? Vermutlich dachte er sogar genau in diesem Moment über etwas ganz anderes nach, was niemals jemand außer ihm wissen würde. Wie seltsam das ich ausgerechnet einer solchen Person vertraute, denn aus irgendeinem Grund tat ich das. Zwar gab ich es mir selbst gegenüber nur ungern zu, aber irgendwo wusste ich, dass ich ihm irgendwie vertraute. Ich war naiv, eine Eigenschaft die ich an mir hasste, obwohl ich sie die meiste Zeit über selbst gar nicht bemerkte, aber es führte dazu, dass ich ihm vertraute.
Erst als Loki sich über die Schläfe strich und kurz schwieg kam ich mit meinen Gedanken zurück in die Gegenwart und hörte ihm wieder zu. Meine Wangen wurden warm, weil ich ihm nicht zugehört hatte und mich schuldig fühlte, aber ich verlor kein Wort darüber und hoffte das es ihm nicht auffallen würde.
"Wenn die Möglichkeit besteht, dass meine Visionen so weniger werden, dann werde ich es tun" meinte ich also lediglich auf seinen letzten Teil hin, aber meinte es ehrlich und beobachtete seine Hände und dann wie er aufstand, bevor ich meinen Blick wieder zu seinem Gesicht gleiten ließ.
Loki zwang sich offensichtlich ein Lächeln auf die Lippen, aber ein Lächeln war es allemal und ich blieb kurz weiterhin sitzen, erwiderte seinen Blick und dann auch sein Lächeln. Erst dann erhob ich mich von dem Stuhl und strich mein Kleid ein wenig zurecht: "In Ordnung. Die selbe Prozedur wie die letzten Male?" fragte ich, obwohl ich die Antwort natürlich schon kannte und leise seufzend zur Mitte des Raumes lief. Wirklich nicht der angenehmste Teil meines Tages.
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Bucky
Sophies Lachen war genauso warm wie ihr Lächeln und ich atmete zitternd ein, weil mir sofort wieder der Gedanke kam, dass ich es nie wieder hören würde, wenn ich hier erst einmal abgehauen war.
Stumm verfolgte ich wie sie meine Tasse entgegen nahm und schüttelte ein wenig den Kopf: "Ist schon in Ordnung. Es ist schon genug das du mir überhaupt Kaffee anbietest. Ich trink ihn gerne, hab ich nur noch nicht so oft... meine Ma hat früher manchmal welchen gemacht, nur nicht so stark, weil... das zu teuer war": erklärte ich verstummend und räusperte mich.
Warum fiel es mir nur so schwer mich an große Stücke meiner Vergangenheit zu erinnern, aber kleine Details kamen mir ständig in den Sinn, als gäbe es nichts wichtigeres? War es schwerer Details auszulöschen als das große ganze?
Und trotzdem gab es mir jedes Mal einen bittersüßen Stich wenn ich mich wieder an etwas erinnerte. Freude, weil ich mich überhaupt an etwas erinnern konnte, weil mein Leben in Bruchstücken zu mir zurück kam und Trauer, weil dieses Leben so weit weg war und eigentlich nichts mehr davon übrig war.
Abgelenkt schaute ich zu wie sich die Milch in die Tasse ergoss und sich der Zucker sofort mit Kaffee vollsog, bevor Sophie mir die Tasse zurück gab und ich sie vorsichtig entgegen nahm. Behutsam nahm ich erneut einen Schluck, nur einen kleinen, um sicherzugehen dass ich nicht noch einmal eine böse Überraschung erleben würde, aber dieses Mal war die Bitterkeit eine leichtere Note und ich nahm direkt einen größeren Schluck hinterher. Mit Milch und Zucker gefiel mir der Kaffee gleich viel besser und zufrieden nahm ich einen weiteren Schluck.
Die Tasse weiterhin in meinen Händen haltend wandte ich mich zu Sophie und schaute dann zu dem Verband um meinen Oberkörper. Langsam nickte ich. Ja, vermutlich sollte sich jemand diese Wunde noch einmal ansehen, bevor ich mich wieder auf mich allein gestellt durch die Welt schlagen würde.
"Das klingt nach einer guten Idee" stimmte ich zu: "Es tut aber schon gar nicht mehr weh. Also, zumindest fast nicht".
Bildete ich mir das nur ein oder war sie etwas abgelenkt und mit den Gedanken für einen Augenblick nicht hundertprozentig da? Irgendetwas lag da in ihren Augen, als wären ihre Gedanken woanders, während sie mir ins Gesicht schaute. In Momenten wie diesen wünschte ich mir fast, mit einer anderen Fähigkeit geboren worden zu sein und Gedanken lesen zu können. Wobei ich ihre Privatsphäre schon mehr als genug gestört hatte, ohne dass sie es wusste, da musste ich es nicht noch schlimmer machen. Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, ob sie gehört hatte, was ich gesagt hatte, aber für den Moment war das in Ordnung. Ihre Wangen wurden ein bisschen rot, das war irgendwie ... Süß. Als hätte ich sie ertappt.
Sie war ein wirklich schwieriger Fall. Ihre Visionen kamen zwar vermehrt, wenn ihre Gedanken das Wandern anfingen, aber nicht nur dann. Wie an dem Abend, an dem sie meine wahre Identität erkannt hatte. Und man merkte, dass ihr die Visionen zu schaffen machten. Wobei wir jetzt auch nicht hier wären, wenn sie keine Fähigkeiten hätte.
Ich schmunzelte, als sie mich fragte, ob wir so wie immer vorgehen würden. Sobald sie stand, erhob ich mich ebenso, nahm die beiden Stühle und stellte sie zur Seite. Je weniger Ablenkung sie hatte, desto besser konnte sie sich konzentrieren.
Eigentlich hatte ich wirklich vor gehabt, nach derselben Methode wie immer zu arbeiten. Aber bevor ich das sagen konnte, kam mir ein Gedanke. Ich wusste, wie es sich anfühlte, keine Kontrolle zu haben und die gesammelte Kraft der Magie zu spüren. Und ich wusste auch, wie es sich anfühlte, die Kontrolle zu haben und alle Stufen dazwischen.
"Wir machen fast dasselbe wie die letzten Male", antwortete ich und blieb am Rand des großen Raumes stehen. "Ich möchte, dass du versuchst, mir genau zu sagen, was du siehst, was du spürst, was du fühlst. Versuche, die Magie irgendwie zu lokalisieren. Erzähl mir einfach alles, was dir durch den Kopf geht", sagte ich. "Also ... Wenn das für dich in Ordnung ist. Ich versuche immer noch, ein Muster oder eine Quelle für deine Visionen zu finden. Aber wenn dir manche Dinge einfach zu ... Privat sind, musst du sie mir selbstverständlich nicht sagen."
Schon wieder druckste ich so herum, stolperte über meine eigenen Worte und erkannte mich in meinen eigenen Worten nicht mehr wieder. Oder zumindest erkannte ich nicht den Mann, der ich in den letzten Jahren gewesen war, zu dem ich mich entwickelt hatte.
Ich räusperte mich noch einmal kurz und verschränkte dann die Arme vor der Brust.
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Sophie
Er gab nicht viel über sich preis und wenn er es machte, freute es mich jedes Mal ungemein. Aber aus einigen Dingen, die er sagte, wurde ich nicht so ganz schlau. Er war Amerikaner und war ein noch nicht allzu alter Mann, aber seine Mutter hatte sich keinen Kaffee leisten können? Am Vorabend hatte er mich nach Geschichtsbüchern gefragt. Er hatte eine Armprothese, die so fortschrittlich und ungewöhnlich war, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Und in seinen Augen lag eine tiefe Traurigkeit, wie bei einem Mann, der bereits zu viel für sein junges Leben gesehen hatte. So etwas hatte ich schon einmal gesehen, in Afghanistan. Aber noch nie in einer solchen Intensität wie bei ihm. Und dann meinte er auch noch, mich in Gefahr zu bringen, wenn er lange hier blieb. Hatte Angst, mir weh zu tun. Er war anders und ... Faszinierend.
Mein Kopf schwirrte gerade ein bisschen, wenn ich über all das nachdachte, was ich über ihn wusste. Es war nicht viel, aber alles andere als gewöhnlich.
"Das merkt man", sagte ich dann, als er sagte, dass die Wunde gar nicht mehr so sehr schmerzte, und lächelte ihn an. "Du bewegst dich ganz anders als noch vor zwei Tagen. Was aber nicht heißen soll, dass du nicht noch für eine Zeit vorsichtig sein solltest."
Ich wollte nicht, dass er geht. Mir wurde beinahe schlecht bei dem Gedanken, dass er einfach aus der Wohnungstür ging und einfach ... Weg war. Sonst war ich nicht die Art Frau, die so schnell an einem Mann hing. Aber bei ihm war nichts so, wie es sonst war.
In Gedanken versunken drehte ich die Kaffeetasse in meinen Händen. Ich hatte das Gefühl, dass ich diesem Mann emotional näher gekommen war, als jedem anderen vor ihm, und ich hatte eng an ihn geschmiegt geschlafen. Es fühlte sich so an, als würde ich ihn besser kennen, als die meisten anderen Leute in meinem Leben, und gleichzeitig wusste ich nichts über ihn.
"James, wer bist du?", fragte ich ihn schließlich leise und sah ihn vorsichtig an.
Sigyn
Als ich in der Raummitte ankam, drehte ich mich langsam um, sodass ich Loki wieder ansah und ihm gegenüber stand und nachdem er unsere Stühle beiseite gestellt hatte wandte auch er sich wieder mir zu.
Behutsam legte ich die Handflächen zusammen und wartete auf weitere Anweisungen, wobei ich mit den Augen Loki folgte, der wie immer aus der erleuchteten Mitte zur eher halbdunklen Seite des Raumes lief und dort stehen blieb. Einen Moment schien er zu überlegen, dann verriet er mir seinen Plan.
Ich sollte genau wie die letzten Male versuchen die Magie zu finden, ihn dieses Mal jedoch genau wissen lassen was passierte, was ich sah und was ich fühlte.
Nickend atmete ich tief ein: "In Ordnung, ich ... ich werde es versuchen" meinte ich, nicht ganz sicher wie gut diese Technik funktioieren würde. Die letzten Male war die Magie jedes Mal so schnell mit voller Kraft durch mich gegangen, ich hätte gar keine Zeit gehabt zu erzählen was passierte, aber vielleicht würde alles nicht ganz so schnell chaotisch werden, wenn er wusste was geschah. Schließlich wusste er viel besser als ich, wie es sich anfühlte wenn Magie kontrolliert in einem war. Ich hatte also keine andere Wahl als ihm zu vertrauen, wenn ich wollte das er mir half und meine Visionen weniger werden würden.
Ausatmend blickte ich kurz zu meinen Händen und löste diese voneinander, bevor ich Loki räuspern hörte, kurz noch einmal zu ihm sah, wie er mit verschränkten Armen an der Wand stand und ich dann den Kopf gerade richtete und versuchte mich so gut wie möglich darauf vorzubereiten, was gleich folgen würde.
Die Hände kurz schüttelnd schloss ich die Augen und begann zunächst mich auf meinen Atem zu konzentrieren, um alle anderen Gedanken loszuwerden, die mich hätte ablenken können. Dann ließ ich zu das mein Kopf sich langsam mit Visionen füllte.
"Meine Finger fangen an zu kribbeln" erzählte ich, während ich das leichte Ziehen in meinen FIngerkuppen immer deutlicher fühlte: "Es wird stärker".
Außerdem bemerkte ich zum ersten Mal noch etwas anderes: "Und die Visionen werden mehr".
Während ich vor ein paar Sekunden noch recht lange Bruchteile von Visionen gesehen hatte, wurden es jetzt schon kürzere, die immer schneller hintereinander kamen: "Es... es sind nur Teile von Visionen, fast schon wie Bilder, ich bin mir nicht sicher was sie zeigen... sie wechseln sich immer schneller ab" erklärte ich und zu meiner eigenen Überraschung zitterte meine Stimme.
Das Kribbeln wurde stärker und mein Brustkorb schien sich zusammen zu ziehen, sodass das Atmen schwerer wurde.
Noch konnte die Magie allerdings in Schach halten, sodass sie mich nicht überwältigte.
~
Bucky
Eine Weile lang war Sophies Gesicht von Verwirrung geziert und ich fragte mich ob ich etwas falsches, etwas zu viel gesagt hatte, aber dann schien sie eher ein wenig abwesend und ich war wieder ein wenig beruhigt.
Ich mochte es nicht sie zu verwirren, was wohl relativ war, durch die Tatsache das ich einfach so in ihrer Wohnung war ohne das wir uns wirklich kannten und ich zudem einen Metallarm besaß, wie niemand sonst, aber auf eine Weise war mir Sophie wichtig.
Beinahe rutschte mir die Tasse ein wenig aus den Händen als ich mich selbst bei diesem Gedanken erwischte. Kurz schüttelte ich den Kopf, um von dem Gedanken so schnell wie möglich wieder los zulassen. Sophie konnte mir nicht wichtig sein durfte sie nicht.
Mit angespanntem Kiefer widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder ihr und ihrem Lächeln, fühlte erneut seltsam warmen Schmerz in mir aufkommen, bevor ich langsam nickte und schluckte: "Ich werde so gut es geht vorsichtig sein" murmelte ich leise und nahm einen weiteren Schluck Kaffee, um die Anspannung in mir zu lösen, die jedoch sofort noch schlimmer als zuvor zurück kam, als Sophie wieder sprach.
Langsam ließ ich die Tasse in meinen Schoß sinken und mein Kiefer verkrampfte erneut, mein Atem blieb kurz stehen und ich fühlte ein paar Sekunden lang überhaupt nichts. Mein Blick blieb auf den Kaffee gerichtet undich konnte meinen eigenen Herzschlag hören, während ich es nicht wagte aufzusehen und zu Sophie zu blicken.
Ihre Frage hatte mich seltsam an einem Punkt getroffen, von dem ich nicht sicher war ob er schmerzte oder keinerlei EMotionen hervorbrachte.
Ich blieb eine ganze Weile schweigend sitzen, nicht wirklich über irgendetwas nachdenkend, aber wissend, dass Sophie irgendeine Art von Antwort haben wollte.
"Was..." begann ich, unterbrach mich selbst und fuhr dann fort: "Was meinst du damit?", weil ich nicht wusste was sie hören wollte.
Weil ich nicht wusste was ich antworten sollte.
Wer war ich? Bucky, Winter Soldier, ein Mörder, ein Soldat, ein Überlebender?
Vielleicht auch alles in einem.
"Gut", sagte ich leise und versuchte, sie aufmunternd anzulächeln. Ich war einfach nicht geübt darin, jemanden zu motivieren oder zu ermuntern, aber ich versuchte es zumindest. Das seltsame war, dass es mir immer einfacher fiel, je öfter ich mich mit Sigyn traf. Die harte Schale, die ich mir über all die Jahre aufgebaut hatte, bröckelte immer weiter und ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte.
Jetzt gab es aber wirklich wichtigeres. Ich riss mich zusammen, anstatt weiterhin darüber nachzugrübeln, was sie mit mir anstellte. Jetzt ging es um sie und um ihre Fähigkeiten.
Nicht nur war es hilfreich für mich, wenn sie alles aussprach, was sie spürte und was sie sah. Vielleicht half es auch dabei, sie ein bisschen zu entschleunigen. Wenn man seine ganze Magie losließ, von jetzt auf gleich, passierte alles immer wahnsinnig schnell, außer man kämpfte dagegen an. So musste sie ihre Gedanken sortieren und in Worte umwandeln. Vielleicht half diese Methode ja.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und legte eine Hand an meine Lippen, während ich sie aufmerksam beobachtete und ihr zuhörte. Kribbelnde Finger waren ganz normal, so weit, so gut. Aber ich wurde hellhörig, als sie von den Bildern erzählte, die immer schneller an ihrem inneren Auge vorbei rauschten.
Warum war ich vorher noch nie auf diese Idee gekommen? Wahrscheinlich weil ihre Fähigkeiten und meine grundauf verschieden waren. Eine Seherin brauchte andere Methoden als die, die ich vor so langer Zeit eingesetzt hatte, um meine Magie zu kontrollieren.
Ich machte einen Schritt nach vorne. "Versuche, eines der Bilder festzuhalten. Vollkommen egal, welches, nimm einfach das erstbeste. Halt es an, versuche zu erkennen, was deine Magie dir zeigt. Die Formen, die Farben, die Gesichter. Schau, ob du etwas oder jemanden erkennst", meinte ich.
Mir entging natürlich nicht, dass ihre Stimme zitterte und ihr Atem schneller wurde. Aber in den Nächten zuvor war sie an diesem Zeitpunkt schon eingeknickt, daher sah ich das als einen Fortschritt. Trotzdem blieb ich in Alarmstellung, immer dazu bereit, nach vorne zu schreiten und sie aufzufangen, bevor sie auf den steinernen Boden fiel.
"Du machst das sehr gut, Sigyn, hör jetzt nicht auf", sagte ich, in einem weiteren Versuch, sie zu motivieren. Es war anstrengend, das wusste ich sehr gut, aber sie machte jetzt schon unglaublich schnelle Fortschritte.
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Sophie
Ich hatte erwartet, dass ihn diese Frage aus dem Konzept bringen würde. Es war eine sehr einfache Frage und eigentlich konnte jeder sie innerhalb von Sekunden beantworten. Aber er nicht. Ich hatte das schon öfter erlebt, bei Soldaten. Mittlerweile war ich mir sicher, dass er im Krieg gewesen war. Dass er viel zu viel gesehen hatte für sein Leben.
Er senkte den Blick, aber ich sah ihn weiterhin an. Ich sah, wie seine Augen sich hin und her bewegten, ohne wirklich etwas zu sehen. Sein Blick war leer. Er sah verwirrt aus, verunsichert und gleichzeitig irgendwie ... Traurig und niedergeschlagen.
Es waren bestimmt nur ein paar Sekunden, aber es fühlte sich an wie Minuten, bis er endlich reagierte und etwas sagte. Und seine Antwort und sein Anblick zerrissen mir aus irgendeinem Grund beinahe das Herz.
Ich schluckte einmal, stellte dann meine Kaffeetasse zur Seite und rutschte ein Stück näher zu ihm. Dann strich ich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe ich die Hand an seine Wange legte und wartete, bis er mich anschaute.
"Ich meine, wer bist du?", sagte ich noch einmal. "Nicht, wer warst du, sondern wer bist du?" Ich presste die Lippen zusammen und seufzte einmal. "Ich hab diesen Blick in deinen Augen schon oft gesehen, in Afghanistan und später im Militärkrankenhaus. Du hast Dinge gesehen und getan, die sich jeder normale Mensch nicht einmal in seinem schlimmsten Albtraum vorstellen könnte. Ich hab selbst viel zu viel gesehen."
Nun nahm ich meine zweite Hand hinzu und legte sie an seine andere Wange.
"Du kannst nicht mehr rückgängig machen, was passiert ist. Das ist vorbei. Aber über deine Zukunft hast du noch einen Einfluss. Wenn du selbst das Ruder übernimmst."
Sigyn
Obwohl mein Herz schneller schlug und ich meinen Puls selbst hörte, vernahm ich Lokis Stimme dennoch klar und bekam mit wie er einen Schritt näher kam, während ich mich darum bemühte, mich auf die Bilder und Gefühle in mir zu konzentrieren, mich gleichzeitig jedoch auch nicht zu sehr von ihnen einnehmen zu lassen, um nicht die Kontrolle zu verlieren, wie bei all den letzten Versuchen.
So tief einatmend wie es mir möglich war mit dem Gefühl das meine Brust sich zusammen zog, hörte ich auf das was Loki sagte, schluckte und versuchte seine Anweisung behutsam umzusetzen. Nur auf ein Bild konzentrieren, es festhalten. Tatsächlich klang es einfacher als es war.
Ich sollte mir ganz einfach das erstbeste heraussuchen, die ersten die sich mir zeigten verschwanden wieder direkt, doch umso mehr ich auf die Details achtete die ich in den wenigen Augenblicken sah, in denen sich die Bilder abwechselten, desto mehr konnte ich bemerken, desto deutlicher wurden die Bilder. Und nach einer Weile, von der ich nicht abschätzen konnte ob sie lang oder kurz gewesen war, fiel mir auf, dass die Bilder in immer langsameren Abständen wechselten. Jede neue Vision blieb ein wenig länger hängen und ich konnte etwas mehr erkennen.
Mein Kopf fühlte sich an als hätte ich mich zu lange im Kreis gedreht und würde nun langsam zum stehen kommen. Mir wurde ein wenig schlecht, aber ich wollte noch nicht aufgeben und hörte stattdessen Lokis Ermutigung, wobei seine Worte ein wenig verschwommen klangen.
"Die Bilder werden langsamer" meinte ich, nicht vollkommen sicher ob ich die Worte wirklich aussprach oder mir nur einbildete sie an Loki zu richten. Mit jeder Sekunde konnte ich besser erkennen, was mir vor meinen geschlossenen Augen abgebildet wurde und mit der Zeit sah ich nicht nur noch willkürliche Details, die mir nichts über die Vision selbst sagten, sondern allmählich ganze Bilder, komplette Szenen die sich vor mir abspielten und letztlich blieben die Bilder so lange, dass ich es deutlich erkennen konnte.
"Ich... kann langsam erkennen was mir gezeigt wird". Mein Kopf fühlte sich noch immer so an als würde sich alles drehen und inzwischen war es als würde sich meine Körper mit drehen, obwohl ich wusste das ich auf der Stelle stand. Ich schluckte und betrachtete die momentane Vision: "Ein Bett" erklärte ich. Es sah aus wie das meine, aber ich konnte es sehen das jemand darin lag und der Blick aus dem großen Fenster dahinter war ein anderer als der aus meinen Gemächern: "Das ist das Zimmer einer anderen Hofdame" fügte ich hinzu und versuchte mich auf die schlafende Personen zu konzentrieren und nicht auf die Erschöpfung die sich ausbreitete: "Ich weiß... nicht genau wer es ist".
Mir wurde heiß von der Konzentration und ich hörte Stoff rascheln, sicher das es von dem verstärkten Zittern meine Hände an meinem Kleid kommen musste. Noch bevor ich mich dazu bringen konnte Loki zu sagen, dass ich aufhören musste, brachen mit einem Mal, ohne das ich eine Sekunde hatte um es zu verhindern, erneut tausende Bilder auf mich ein, meine Beine gaben nach und mir wurde kurz schwarz vor Augen, wofür ich schon fast dankbar war.
Bucky
Sophie wirkte beinahe verletzt durch meine Antwort und ich zuckte innerlich ein wenig bei dem Anblick, zog die Augenbrauen noch weiter zusammen und verfolgte genau wie sie die Hand hob und zu mir ausstreckte. Obwohl mir ein seltsamer Instinkt noch immer sagte, ich sollte wegrutschen und mich nicht anfassen lassen, konnte ich nicht und wartete mit angehaltenem Atem bis ihre Finger meine Wange berührten und fühlte dann erneut ein warmes Ziehen in mir, ausgelöst von ihrer Berührung. Leicht zitternd schaute ich zu ihr, bevor ich kurz darauf begann über ihre Worte nachzudenken.
Nicht, wer ich war, sondern wer ich bin. Stumm blickte ich weiterhin in Sophies Gesicht, meine Gedanken voll und gleichzeitig leer.
Allerdings schien sie nicht unbedingt auf eine Antwort zu warten, sondern sprach weiter, ein leises Seufzen in ihrer Stimme und wendete den Blick von ihr ab. Ich hatte in der Tat viele Dinge gesehen und getan, die ein normaler Mensch sich wohl nicht einmal vorstellen konnte, aber das schlimmste war, dass ich mich an das meiste nicht einmal erinnern konnte. Ich wusste von den meisten Dingen die ich getan hatte, aber ich konnte mich nicht erinnern und das Gefühl zu wissen, dass man ein Mörder war, ohne sich daran zu erinnen, was davor oder währenddessen gewesen war, dass man Menschen umgebracht hatte, ohne zu wissen warum man es tat... Ich bekam Kopfschmerzen, aber regte mich nicht. Sophie legte eine zweite Hand an meine andere Wange und ich sah zurück zu ihr, jedoch lediglich zu ihrem Gesicht, konnte es nicht über mich bringen Blicke mit ihr zu kreuzen.
Mein Atem kam fast schon stoßweise und ich folgte ihren Worten mehr im Unterbewusstsein, als das ich sie tatsächlich mitbekam. Vorsichtig hob ich die Hände und umfasste ihre Handgelenke, bevor ich den Metallarm schnell wieder fallen ließ und meine Lippen zittern spürte.
"Und was wenn ich das nicht kann?" fragte ich, mein Mund war trocken und ich biss die Zähne zusammen: "Was wenn ich..." ich schluckte: "Wenn ich keinen Einfluss auf meine Zukunft habe, weil... jeden..." ich zögerte: "jeden Moment jemand kommen könnte und mir... mit ein paar Worten alles wieder nehmen könnte?"
Behutsam, aber mit Nachdruck schob ich ihre Hände von meinem Gesicht weg und legte sie ineinander, um das Zittern zu stoppen: "Da ist etwas in meinem Kopf Sophie.... das kann ich nicht kontrollieren, nur weil ich es will. Ich habe schon so lange keine Kontolle mehr über mich selbst, sehr lange, aber... das kannst du nicht verstehen" versuchte ich es zu erklären, meine Stimme ungewollt bitter und abweisend und sofort schlugen Schuldgefühle gegen mich wie Wellen.
Warum war ich überhaupt noch hier? Wie konnte ich Sophies Leben riskieren, riskieren, dass.... ich wieder zum WInter Soldier wurde, und Dinge tat... ihr etwas antat? Ihr etwas antat ohne überhaupt zu wissen wer sie war?
Ich stand einfach nur still vor ihr, beobachtete sie mit voller Aufmerksamkeit. An ihrem Gesicht konnte ich erahnen, dass die Bilder langsamer wurden, bevor sie es mir sagte. Ihre Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern nicht mehr so unfassbar schnell hin und her, ihr Gesicht entspannte sich ein bisschen und dann schwankte sie kurz, fand aber schnell ihr Gleichgewicht wieder. Ich hatte nicht erwartet, dass es sofort klappte, aber sie schaffte es schneller, als ich erwartet hatte.
Eigentlich spielte es gar keine Rolle, was sie sah, solange sie es für einen Moment festhalten konnte. Sie erkannte eines der Gemächer der Hofdamen, wenn auch nicht ihres. Wahrscheinlich sah sie etwas, was gerade in diesem Moment passierte, das läge am nächsten. Ich wollte trotzdem, dass sie es aussprach, das machte es vielleicht etwas ... Realer.
Und dann passierte das, was ich bereits erahnt hatte. Ihre Hände zitterten nicht nur, sie schlotterten, ihr Atem wurde schwerer und sie schwankte immer schlimmer, bis ihre Knie schließlich nachgaben. So heftig war ihre Reaktion bisher noch nie gewesen.
Ich stürzte nach vorne und konnte gerade so noch ihren Kopf abfangen, bevor er auf den steinernen Boden aufschlug. Vorsichtig setzte ich mich auf den Boden neben sie und bettete ihren Kopf nach kurzem zögern auf meinem Schoß. Ich konzentrierte mich kurz und hatte dann einen in kaltem Wasser getränkten Lappen in der Hand, den ich vorsichtig auf ihre Stirn legte.
Während ich so da saß, in den wenigen Sekunden, die es dauerte, bis sie wieder zu sich kam, starrte ich regelrecht in ihr Gesicht. Sie sah so ... Verletzlich aus. Leicht geöffnete Lippen, gerötete Wangen, geschlossene Augen. Und es traf mich, von jetzt auf gleich, wie ein Tritt in die Bauchgegend. Ich hasste es, sie so zu sehen. Sie war sonst so wortgewandt, so schlagfertig. Aber jetzt... Ich wusste nicht, woher das kam, aber die Mauer um mich, die sie sowieso schon angekratzt hatte, kollabierte.
Schließlich blinzelte sie ein paar mal und öffnete dann die Augen wieder, wenn auch recht orientierungslos. Ich atmete erleichtert aus, schluckte einmal und versuchte mich dann an einem Lächeln.
"Willkommen zurück", sagte ich und legte kurz die Hand auf den Waschlappen an ihrer Stirn. Dann räusperte ich mich einmal. "Komm erst einmal wieder richtig zu dir, bevor wir darüber reden, was gerade passiert ist."
Ich schnippte einmal mit den Fingern und half ihr vorsichtig dabei, sich aufzusetzten, bevor ich ihr den aus der Luft erschienen Becher mit Wasser reichte.
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Sophie
Er atmete stoßweise und so schnell, dass ich ihn schon auf dem Bett in Ohnmacht fallen sah. Aber das machte er nicht. Stattdessen hob er seine Hände, beide Hände, und wollte wohl meine von seinem Gesicht entfernen. Den metallenen Arm ließ er jedoch sofort wieder sinken, als er merkte, dass er mich beinahe damit berührt hatte.
Dann hörte ich seine Worte, beobachtete, wie er mich sowohl physisch als auch psychisch wieder von ihm wegschob, und es zerbrach mir das Herz. Ich wusste mittlerweile, dass er das nicht machte, weil er es nicht wollte, wenn man ihm zu nahe kam. Er wollte niemanden verletzen. Aber ich war mir sehr, sehr sicher, dass er tief in ihm drinnen sich danach sehnte, jemandem nah zu sein. Jemandem vertrauen zu können. Und es hörte sich verrückt an, weil ich ihn kaum kannte, aber das wollte ich sein, niemand anderes.
Ich sah zu, wie er meine Hände ineinander legte, und senkte kurz den Blick, sah auf seine und meine Finger. Seine Worte waren mal wieder ein einzelnes Rätsel für mich. Jemand konnte ihm mit wenigen Worten alles nehmen und da war etwas in seinem Kopf, was er nicht kontrollieren konnte? Ich wusste, dass es Dinge gab, die ich nicht erklären konnte. Was aber nicht hieß, dass ich es nicht verstehen konnte. Vielleicht war ich aufdringlich und wenn er mich einfach immer weiter von sich schieben würde, gab ich auf. Aber dieser Punkt war jetzt noch nicht erreicht. Ich gab noch nicht auf.
Einen Moment brauchte ich, um meine Gedanken zu sortieren. Dann atmete ich einmal tief durch, zog meine Hand unter seiner hervor und legte sie auf seine Hand. Auf seine metallene Hand.
"Was, wenn ich es verstehen möchte?", fragte ich schließlich. "Alleine sein, niemanden an sich ran lassen ... Das ist eine Wahl, die du immer und immer wieder triffst. Du hast immer eine Wahl."
Ich hob den Blick wieder und sah in sein Gesicht, ehe ich bemüht nüchtern weiter sprach. "Wenn du gehen möchtest, kann ich dich nicht aufhalten, selbst wenn ich das wollte." Ich war ihm körperlich eindeutig unterlegen und ich konnte mich schlecht an seinem Bein festklammern, um ihn vom Gehen zu hindern. "Ich ... Gebe dir nur die Wahl, nicht mehr alleine zu sein."
Ich sah noch einmal kurz auf seine Handprothese, strich mit den Fingern darüber. Dann riss ich mich zusammen, stand auf und nahm das Tablett mit dem dreckigen Geschirr, um es zurück in die Küche zu bringen. Dort angekommen musste ich mich erst einmal an der Theke festhalten und tief durchatmen.