Hier das 28. Kapitel meiner HP-FF (hier: https://www.fanfiktion.de/s/d/5fa897dc000c1c401c99e919/Das-Erbe-der-Vergangenheit --> Sorry, ich bin wohl die klassische Verlinkungstrotteline). Mir fehlt so etwas das Feedback meiner Leser:innen, darum wäre ich über Kritiken sehr sehr froh. ☺️
Triggerwarnungen:
- Alkoholmissbrauch
- Depressionen
- Suizidgedanken
- alles ausgelöst durch PTBS
Kurzzusammenfassung der bisherigen Story:
Die Schlacht um Hogwarts ist seit einigen Monaten vorbei. Harry, Ron, Hermine und die anderen Gesichter des Widerstands leiden alle auf ihre eigene Art unter der Vergangenheit. Da das Ministerium die 6 nach einem Skandal während dem Strafprozess der Malfoys abschirmen will, werden sie schon vor Schulstart nach Hogwarts geschickt, wo es immer wieder zum Streit kommt. Nach einem solchen zieht sich Harry in den Raum der Wünsche zurück, wo er sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinkt, um seinen Flashbacks und seinen Schuldgefühlen zu entrinnen. Mithilfe von Draco Malfoy - dem sie helfen will, gegen sein Urteil Revision einzulegen - gelangt Ginny in den Raum der Wünsche und gemeinsam kümmern sie sich um Harry, der sich eine Alkoholvergiftung zugezogen hat.
(Sorry, für eine etwas lebhaftere Zusammenfassung bräuchte ich ziemlich viel mehr Platz, wenn ihr mehr wissen wollt, lest in die Geschichte rein 😋)
Worauf zu achten ist:
- Ist die Story gut erzählt? Macht es Lust, die Sache zu lesen?
- Ist inhaltlich alles in Ordnung? Kann man was rausstreichen oder fehlt irgendein Stück, damit die Story Sinn gibt?
- Ich habe zum Teil Mühe mit dem Tempo der Geschichte. Manchmal habe ich das Gefühl, viel zu schnell vorwärtszugehen, andererseits komme ich dann (vor allem wenn Dialoge kommen) kaum mehr vom Fleck. Irgendwelche Verbesserungsvorschläge/Tipps hierzu?
- Und natürlich das Wichtigste? Mögt ihr den Plot? Wenn ja, wieso? Wenn nein, wieso nicht?
Ich möchte mich schon jetzt ganz herzlich bei allen Kritiker:innen bedanken, die sich die Zeit nehmen, in mein neustes Kapitel hineinzulesen. ☺️
Das Erbe der Vergangenheit, Kapitel 28
Er war froh, dass sie darauf nicht mehr viel erwiderte. Bis auf seine Mutter und Blaise Zabini, die ihn beide schon hatten gesundpflegen müssen, wusste niemand, dass sich Draco eine Zeit lang ins Komasaufen geflüchtet hatte, um den Dingen zu entkommen, die er erlebt hatte. Er selbst versuchte, so wenig wie möglich daran zu denken, um nicht wieder von der Vergangenheit eingeholt zu werden. Doch nun blieb ihm keine andere Wahl. Er hatte Ginny Weasley versprochen, sich um Potter zu kümmern. Und dieses Versprechen würde er halten. Als er sich nach einigen Minuten – er hatte sich zu ihr ans Bett gesetzt – sicher war, dass die Rothaarige eingeschlafen war, liess er sich – warum wusste er selber nicht – dazu hinreissen, ihr sanft über die Stirn zu streichen, ehe er noch einmal kontrollierte, ob sie gut zugedeckt war und sich erhob.
Kurze Zeit später köchelten zwei verschiedene Tränke auf dem Kaminfeuer. Harry war mittlerweile nicht mehr ganz so eiskalt, war jedoch noch immer bewusstlos und sah furchtbar aus. Jede Leiche – und von denen hatte der Blonde in den letzten zwei Jahren viele gesehen, auch wenn er versuchte, das zu verdrängen – hatte mehr Farbe im Gesicht, als sein ehemaliger Erzfeind.
«Na gut, Potter», brummte er grimmig, während er, auf einem Stuhl neben dem Krankenbett sitzend, die Ärmel seines nachtblauen Pullovers hochschob und so das dunkle Mal zum Vorschein brachte.
‘Zum Glück ist er bewusstlos’, schoss es ihm durch den Kopf, ehe er ihm beherzt – und leicht angeekelt – die Finger in den Rachen stiess.
Kurz darauf erbrach sich sein Patient geräuschvoll über seine braunen Drachenlederschuhe. Mit einem Wisch seines Zauberstabs machte Malfoy die Sauerei ungerührt sauber. Er konnte sich grundsätzlich gut vorstellen, eine Karriere als Heiler zu starten. Aber sich um jemanden zu kümmern, den man nicht sonderlich gut leiden konnte, hatte etwas Kurioses.
Er liess ihn sich noch etwas auskotzen, während er seinen Kopf festhielt, ehe er – nach einem kurzen Kontrollblick zu Ginny – die Tränke vom Feuer nahm, in Flakons umfüllte und sich daran machte, sie dem Patient einzuflössen.
Einige Stunden später, es dämmerte schon, waren Harrys Lebensgeister noch immer nicht wieder zurückgekehrt. Noch immer war er nicht ansprechbar, noch immer leichenblass und noch immer war er – trotz der vielen Decken – kälter, als ein gesunder Mensch sein sollte. Draco hatte ihm mehrere Runden Entgiftungstränke und unzählige Liter Wasser eingeflösst, aus Sorge um seine Organe sogar einen Dialysezauber angewendet, doch der Auserwählte war noch immer in einem besorgniserregenden Zustand.
Bald würde die junge Weasley aufwachen und merken, dass sich am Zustand ihres Liebsten nichts geändert hatte. Und dann würde sie den Moment verfluchen, an dem sie Draco Malfoy das Leben ihres Freundes anvertraut hatte. Und das wollte der Blonde keinesfalls zulassen.
«Potter…», raunte er Harry zu, während er ihn langsam im Bett aufrichtete, um ihm noch mehr Wasser einzuflössen.
«Komm zu dir…»
Er schüttelte ihn leicht. Doch eine Reaktion blieb aus.
«Na komm schon. Gib nicht auf. Du hast doch fast alles, was man sich wünschen kann.»
Dracos Stimme klang bitter.
Mit einem kurzen Blick zu Ginny versicherte er sich, dass niemand das hören konnte, was er nun sagte.
«Du bist der Held jeder Geschichte, hast die Welt aus der Dunkelheit zurück ins Licht geführt. Und du hast eine wirklich tolle Freundin, die für dich kämpft. Die über ihre eigenen Grenzen geht, um für dich da zu sein, die stark ist, Kraft für euch beide hat. Du hast Freunde, fast schon eine Familie. Du bist nicht allein und du solltest auch sie alle nicht allein lassen. Wenn du jetzt aufgibst, wirst du vermisst werden. Ein Luxus, den nicht alle haben, glaub mir.»
Als er den letzten Satz hervorpresste, kämpfe er mit den Tränen. Mehr denn je vermisste er seine ehemaligen Freunde – Crabbe, Goyle, Pansy, Zabini – und seine Eltern. Auch wenn sein Vater sich über die Jahre immer mehr zu einem Tyrannen entwickelt hatte und er seiner Mutter nie verzeihen würde, dass sie nie die Kraft gefunden hatte, sich von ihm zu lösen, fehlten sie ihm gerade schrecklich. Sie waren alles, was ihm geblieben war. Seine Tante Bella und deren Mann waren beide tot, Snape, sein Mentor hatte auch das Zeitliche gesegnet und zum Teil seiner Verwandtschaft, die gegen den Dunklen Lord gekämpft hatte, hatte er schon seit Jahren – fast Jahrzehnten – keinen Kontakt mehr.
Angewidert blickte er an sich herunter, ehe sein Blick auf seinem linken Unterarm haften blieb. Was hier in seinen Arm gebrannt war, würde ihn auf ewig – egal ob er eine Revision seines Gerichtsprozesses erhielt oder nicht – als Aussätzigen brandmarken und ihn an die Dinge erinnern, die er unterstützt und selber getan hatte. Gerade als ihn ein grausamer Flashback – ein von den Todessern verübter Amoklauf in einem Muggeltheater – einzuholen drohte, regte sich Harry.
«Potter… Hörst du mich?»
Die Augen des Schwarzhaarigen flackerten leicht.
Eilig sprang Draco von seinem Stuhl auf und weckte Ginny. Er war sich sicher, dass sie die war, die er sehen wollte, wenn er sein Bewusstsein endgültig wiedererlangt hatte. Einige Minuten später sass sie auf seinem Bett, während er sich in einen Ecken des Raum der Wünsche verzog. Er wollte ihnen so viel Privatsphäre wie möglich lassen und trotzdem in der Nähe bleiben, falls sie ihn brauchten.
«Harry?»
Er murmelte etwas Unverständliches.
«Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!»
Über ihre Wangen liefen wieder einzelne Tränen, während sie begann, ihm sanft übers Gesicht zu streichen.
Doch seine Reaktion darauf fiel anders aus, als sie es erwartet hatte.
«Lass mich», zischte er in verwaschener Sprache, während er unkoordiniert versuchte, ihre Hand wegzuschlagen.
Noch immer hatte er eine gehörige Portion Restalkohol im Blut. Als er sich aufsetzen wollte, kippte er im ersten Moment zur Seite und musste von Ginny aufgefangen werden.
«Leg dich bitte hin… Du brauchst Ruhe.»
«Ja, vor dir…»
Der Blonde, der immer noch – ausserhalb von Harrys Blickfeld – in Hörweite war, zuckte zusammen, als er mitbekam, wie gehässig sein Patient auf die junge Weasley reagierte. Am liebsten wäre er dazwischengegangen, liess es aber – weil er es besser wusste – bleiben.
Noch ein Mal versuchte der Junge der überlebt hatte, sich aufzurichten.
«Bitte bleib liegen. Du hast eine schlimme Nacht hinter dir.»
«Ich lasse mir von dir nichts sagen! Und jetzt lass mich in Ruhe. Ich habe noch was vor.»
Sobald er das gesagt hatte, erschien eine Flasche Gin auf einem Beistelltisch neben seinem Bett. Doch ehe er danach greifen konnte, packte Ginny ihn fest an den Schultern.
«Du bist fast draufgegangen! Denkst du ich lasse zu, dass du dich wieder ins Nirvana beförderst? Weisst du eigentlich, was wir uns alle für Sorgen um dich gemacht haben? Ist dir klar wie nahe du davor warst, nie mehr aufzuwachen?»
Jetzt schrie sie.
«Ach… Und du denkst, dass du mir mit der Rettung meines Lebens einen Gefallen getan hast?», lallte er höhnisch.
Das Verlangen, sich wieder hemmungslos zu betrinken um den langsam wieder aufflackernden Erinnerungen zuvorzukommen, brannte in ihm wie ein loderndes Feuer. Dass er noch ziemlich betrunken war, machte die Situation nicht besser. Zunehmend aggressiv, versuchte er sich gewaltsam aus dem Griff seiner Freundin zu befreien und liess dabei einige ziemlich uncharmante Sätze fallen.
Nun wurde es Draco zu bunt. Was er hier gerade sah, erinnerte ihn stark an das Verhalten, dass sein Vater seiner Mutter gegenüber an den Tag gelegt hatte. Und auch wenn er sich damals – aus Angst vor drakonischen Strafen – nicht für sie stark gemacht hatte, so konnte er sich doch wenigstens jetzt für Ginny einsetzen.
«Lass es bleiben, Potter!»
Nun fuhr Harry herum, um zu sehen, wer sich da sonst noch in sein Privatleben einmischte. Als er Malfoy erblickte, brach er in einen regelrechten Tobsuchtsanfall aus. Er schrie und schlug um sich, traf seine Freundin dabei mehrere Male an den Oberkörper und ein Mal sogar ins Gesicht und stiess einen Schwall an Beleidigungen aus. Er wehrte sich nun immer stärker dagegen, dass Ginny ihn festhielt. Schliesslich, ein Schlag, den sie in die Rippen abbekommen hatte, war ziemlich schmerzhaft gewesen, liess sie ihn los. Und so versuchte er nun sogar, aus seinem Krankenbett aufzustehen. Doch sein noch nicht vorhandener Gleichgewichtssinn kam ihm in die Quere. Und so fiel er nach einigem Getorkel direkt Draco in die Arme.
Dieser fackelte nicht lange. Unter einem ziemlichen Kraftaufwand drückte er den wild gewordenen Harry wieder zurück ins Bett, ehe er ihn mit einem Fesselzauber fixierte. Ohne weiter auf das Gezeter – oder das schockierte Gesicht der Rothaarigen – zu achten, verschwand er erneut hinter seinem Kessel. Kurze Zeit später hatte er seinem Patienten einen starken Beruhigungstrank verabreicht.
Ginny sass wie erschlagen auf dem Stuhl, auf dem Malfoy die Nacht verbracht hatte. Stumme Tränen liefen ihr über die Wangen, von denen eine durch einen von Harrys Schlägen gerötet war.
«Er schläft jetzt sicher noch ein paar Stunden. Wir sollten ihn hier wegbringen.», durchbrach Draco die mittlerweile herrschende Stille.
Doch die Rothaarige reagierte nicht.
«Wie lange ist das schon so mit ihm?»
Keine Antwort.
«Hat er dir wehgetan?»
Sie schwieg weiter.
«Bitte rede mit mir.»
Doch die junge Weasley gab keinen Laut von sich.
«Okay», versuchte er nach einer Weile noch ein Mal, «dann rede ich.»
Unsicher, ob er ihre Aufmerksamkeit hatte, fuhr er fort.
«Ich glaube, er hat ein Alkoholproblem. Ich weiss das, weil ich sein Verhalten auch bei meinem Vater gesehen habe. Und weil ich selbst mit meinen Dämonen kämpfe. Jeden verdammten Tag.»
Als er das sagte, schob er den linken Ärmel seines Pullovers nach unten. Er wollte das Dunkle Mal auf seinem Unterarm nicht mehr sehen. Stattdessen fixierte er die Flasche Gin, die auch ihm gerade sehr verlockend vorkam.
«Es geht so, seit wir die anderen beerdigt haben. Seither war er kaum nüchtern. Das heisst… Naja vor deiner Anhörung ging es ihm etwas besser. Und danach, also ich meine nach seinem Auftritt vor Gericht, hat Kingsley ihn zwangseingewiesen. Aber dann mussten wir nach Hogwarts und du siehst ja, wie es jetzt ist. Ich weiss nicht mehr, was ich tun soll. Ich kann nicht… Ich… Er… Es erdrückt mich…», murmelte sie leise und kalt.
«Aber du bist doch nicht allein. Was ist mit Granger, deinem Bruder, Longbottom, Loony, dem Orden?»
Sie schüttelte den Kopf.
Alle hatten mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen und bei allen musste sie Feuerwehrfrau spielen. Sie unterstützte Hermine mit ihrer Magie, versuchte Ron wieder auf den Teppich zu holen, gab sich Mühe, dass die Truppe gegen aussen hin vorzeigbar war, half beim Wiederaufbau von Hogwarts und musste sich um Neville und Lunas Liebesleben kümmern. Das alles nagte schrecklich an ihr.
Auf ihr Kopfschütteln wusste Draco nichts mehr zu sagen. Stattdessen hing auch er seinen eigenen Gedanken nach.
Mittlerweile war es schon ziemlich hell geworden und als die ersten Sonnenstrahlen durch die Luke drangen, die den Raum der Wünsche mit der Aussenwelt verbanden, beschlossen Ginny und Malfoy, Harry tatsächlich in den Schlafsaal zurückzuschaffen. Mithilfe der Karte des Rumtreibers und des Tarnumhangs gelang es ihnen, ihn unbemerkt quer durchs Schloss schweben zu lassen.
Als sie die Tür zu ihrer vorübergehenden Wohnung erreicht hatten, blieb der Blonde stehen.
«Ich sollte gehen, bevor McGonagall Wind davon kriegt, dass ich hier eingebrochen bin.»
Die junge Weasley nickte leicht.
«Hör mal. Da ist noch so eine Sache. Ich will dich eigentlich nicht damit belasten. Aber… Der Anwalt braucht eine Bestätigung darüber, dass das Geld nicht geklaut ist. Und… Und er weigert sich, meine Eltern zu vertreten. Darum wollte ich gestern Nacht eigentlich gar nicht kommen.»
«Um die Bestätigung kümmere ich mich, sobald er wieder bei Sinnen ist. Was deine Eltern angeht… Davon wusste ich nichts. Aber ich denke, du solltest sein Angebot deswegen nicht ausschlagen.»
«Wie kannst du nur glauben, dass ich mich darauf einlasse?», fragte er nun erzürnt, während er den sedierten Harry noch immer in der Luft schweben liess.
«Wenn sie dich lieben, so wie Eltern ihre Kinder lieben, werden sie auch wollen, dass du für dich eine Revision beantragst. Auch wenn sie davon nicht profitieren können. Bitte denk darüber nach, okay?»
Er nickte.
Bevor er sich – mit einem unbeholfenen Händedruck – endgültig verabschiedete, nahm sie ihm noch das Versprechen ab, dass er sie von nun an über die Entwicklungen in seinem Leben auf dem Laufenden halten sollte. Kurz darauf war er durch die mittlerweile sonnenlichtgetränkten Korridore des Schlosses verschwunden, während Ginny Harry in den Schlafsaal hoch brachte. Ihr war klar, dass sie ihn von nun an keine Sekunde aus den Augen lassen durfte. So viel Glück wie er gehabt hatte, würde er vermutlich nicht noch einmal haben. Und ihn zu verlieren würde sie – nach all den Verlusten die sie bereits erlitten hatte – nicht ertragen können.
Lasst es mich wissen, ich bin gerade wirklich etwas lost und ehe ich das nicht weiss, fällt mir das Weiterschreiben ziemlich schwer.
Kapitel 29:
Harry konnte sich, als er am Mittag endlich wieder zu sich kam, an die Ereignisse der frühen Morgenstunden nicht mehr erinnern. Darum beschloss Ginny, Dracos Beteiligung an seiner Rettung für sich zu behalten. Sie nutzte aber seinen kolossalen Kater, um ihm die Bestätigung über den Geldtransfer abzupressen, ehe sie ihn mit einem Trank gegen Kopfschmerzen und Übelkeit versorgte.
Die Anderen – wenn auch ungläubig darüber, dass es der Rothaarigen gelungen war, in den Raum der Wünsche zu kommen – waren froh darüber, dass ihr Freund mehr oder weniger wohlbehalten zurück war. Auch wenn die Weasley ihnen – als ihr Liebster noch schlief – erzählt hatte, in welchem Zustand sie ihn im Da-und-fort-Raum angetroffen hatte, gelang es ihm, die Sache – vor allem vor Ron – herunterzuspielen.
«Mir war einfach alles zu viel. Und ja ich habe sicher etwas über die Stränge geschlagen, aber mein Kater wird mir eine Lehre sein», wiegelte er ab.
Während Ron und Luna ihm vom Fleck weg glaubten, zerstreute er Neville und Hermines Skepsis damit, dass er sich – trotz dröhnendem Schädel – den ganzen Tag blendend gelaunt gab, auch wenn es in ihm drin ganz anders aussah. Auch McGonagall schöpfte keinen Verdacht, als ein leicht schwächlicher Harry mit den Anderen zusammen in ihr Büro wankte.
«Geht es Ihnen besser, Mr. Potter?»
Er nutzte die Gunst der Stunde, um sich einen weiteren Tag im Bett zu sichern. Ihm war trotz den Tränken kotzübel und es war auf Dauer viel zu anstrengend, seinen Freunden Heile Welt vorzuspielen. Zudem war ihm noch immer schwindlig und er fürchtete sich davor, in Ohnmacht zu fallen und dann auf der Krankenstation zu landen.
Die nächsten Tage – der Schulstart rückte näher und näher – plätscherten ziemlich ereignislos vor sich hin. Hermine machte kaum Fortschritte, alle lagen sich ständig in den Haaren und Ginny schlich sich noch immer jede Nacht raus, um dem engen Korsett ihres Lebens für einige Stunden zu entkommen, indem sie mit ihrem Besen risikoreiche Hochgeschwindigkeitsflüge über das Gelände machte.
Doch abgesehen von diesen Ausflügen, die ihr kurze Zeit Luft zum Atmen gaben, versteinerte die junge Weasley unter der Last ihrer und anderer Probleme immer mehr. Emotionen – zumindest echte – konnte man ihr kaum mehr entlocken. Für die Streitereien von Ron und Hermine hatte sie nur noch ein müdes Schulterzucken übrig, auch Lunas und Nevilles Beziehungsprobleme liessen sie – obwohl sie ihnen mit Rat und Tat zur Seite stand – eigentlich kalt. Sie zog ihr Programm – Hermine unterstützen, beim Wiederaufbau helfen, Harry fast Tag und Nacht überwachen und aufpäppeln – eisern durch, was zu einem gewaltigen Schlafmangel führte und sie ziemlich an Gewicht verlieren liess.
Bis auf ein kurzes Nachmittagsschläfchen, das sie hielt, wenn sie wusste, das Harry mit den anderen zusammen beschäftigt war, gönnte sie sich kaum mehr Schlaf. Zu gross war ihre Angst, dass ihr Freund sich wieder im Raum der Wünsche verbarrikadieren würde, vor allem weil ihr nicht verborgen blieb, wie stark er unter Entzugserscheinungen litt. Obwohl es in Schottland Ende August bereits ziemlich kalt war, schwitzte er ständig, war äusserst schlecht gelaunt und litt unter starken Kopfschmerzen. Dazu kam, dass er kaum eine Gabel oder einen Becher halten konnte, ohne das man merkte, wie stark seine Hände zitterten. Auch wenn er es, wenn sie ihn fragte, abtat, merkte Ginny immer wieder, dass sein Verlangen nach einem Drink gross war und das auch seine Dämonen ihn nicht losliessen.
Zu allem Übel rückte auch der Tag von Dracos Revisionsverhandlung immer näher. Und auch da lief lange nicht alles glatt. Noch immer vertraute er seinem Verteidiger nicht und war mit dessen Strategie nicht zufrieden. In einem Brief an die Rothaarige beklagte er sich darüber, dass sein Anwalt seine Eltern – vor allem seinen Vater – über die Klippe springen lassen wollte, um für ihn einen Freispruch zu erwirken. Und dies lehnte er kategorisch ab. Erschwerend kam dazu, dass vor allem Lucius seinem Sohn übelnahm, dass er – mithilfe von Harry und Ginny – in Revision ging. Erstens hielt er es für eine Schande, dass Draco sich mit solchen Personen eingelassen hatte, zweitens war er erzürnt darüber, dass der Verteidiger nicht die ganze Familie vertreten wollte.
«Du musst die Strategie fahren, die dir Mr. Bacon vorgeschlagen hat», hatte sie ihm in einem ihrer vielen Briefe geschrieben.
«Ich lasse meinen Vater nicht so hängen. Wenn ich diese Art der Verteidigung wähle, wenn ich ihn als Alkoholiker darstelle, der seine Frau und seinen Sohn misshandelt hat, wenn ich das alles über ihn sage, verbaue ich ihm die winzig kleine Chance darauf, dass man ihn irgendwann begnadigen wird. Und meine Mutter würde mir das nie verzeihen!», hatte er darauf entgegnet.
Auch Bill, der den Juristen schon jahrelang kannte und um seine Qualitäten wusste, konnte Draco nicht davon überzeugen, sich voll und ganz auf ihn einzulassen. Vielmehr verschlimmerte seine Einmischung die Situation, da der Blonde es als Vertrauensbruch ansah, dass Ginny ihren Bruder in ihre Korrespondenzen eingeweiht hatte. Und auch Kingsley liess die Rothaarige im Regen stehen. Im Ministerium stand gerade alles Kopf und er hatte ihr klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass er nicht für den jungen Malfoy aussagen würde. Dies hing vor allem damit zusammen, dass die harten Todesserurteile seine Beliebtheit als Zaubereiminister wieder etwas aus dem Umfragetief geholt hatten. Die Zauberergemeinschaft hatte durch die hohen Strafen und den rasch voranschreitenden Wiederaufbau der Schule das Gefühl, dass endlich bessere und friedlichere Zeiten anbrachen. Ausserdem lenkten solche Nachrichten etwas davon ab, dass die Klatschpresse sich noch immer über die Helden von Hogwarts die Mäuler zerriss.
Und so kam es, dass Ginny dem Termin, der drei Tage vor dem Wiederbeginn der Schule stattfand, eher mit Angst als mit Spannung entgegensah. Am Abend vor der Anhörung, knöpfe sie sich aus diesem Grund noch einmal ihren Freund vor, um ihn auf das Gerichtsverfahren vorzubereiten.
«Denkst du wirklich, dass du das hinkriegst?», raunte sie ihm im Gemeinschaftsraum zu, als sie einmal mehr feststellte, dass seine Depressionen gepaart mit Flashbacks und Entzugserscheinungen überhand nahmen.
«Klar Ginn… Warum auch nicht?», spielte er die Situation mehr schlecht als recht herunter.
Sie glaubte ihm nicht.
«Ach komm schon. Ich bin es nicht, der vor Gericht steht. Ich gehe nur kurz nach London und sage meinen Spruch auf. Und auf alles Andere habe ich ohnehin keinen Einfluss.»
Das mochte stimmen. Jedoch befürchtete Ginny, dass der Zaubergamot auf Harrys letzten Auftritt vor Gericht zu sprechen kommen würde und dass die gesamte Zaubererpresse im Saal anwesend sein würde, um einen Blick auf ihr liebstes Klatschobjekt werfen zu können. Doch auch wenn sie kein gutes Gefühl dabei hatte, ihren Freund bei der Revisionsanhörung auftreten zu lassen, wusste sie, dass es alternativlos war.
Dracos Chancen auf einen Freispruch waren – auch wenn niemand, nicht einmal sie selbst, so genau wusste, was er als Todesser so getan hatte – nicht gerade zum Besten und ausser dem grossen Harry Potter hatte er keinen einzigen Leumundszeugen, der für ihn aussagen würde.
«Es gibt niemanden.», hatte er auf ihre Frage nach weiteren Zeugen geantwortet.
«Meine Eltern werden es nicht tun. Goyle ist tot, Crabbe sitzt im Knast, Pansy und Zabini wurde von ihren Eltern verboten, für mich auszusagen und der Rest meiner Familie ist entweder auch in Haft oder ebenfalls unter der Erde.»
«Und Andromeda?»
«Meine Tante will mich nicht mal sehen. Ihre Tochter, ihr Mann und ihr Schwiegersohn sind durch die Hände von Todessern gestorben. Sie wird mir nicht helfen.»
«Ich habe auch meinen Bruder verloren. Und viele Freunde. Das ist aber kein Grund, dir nicht zu helfen.»
‘Wenn du wüsstest’, dachte er nur, als er diese Zeilen zu lesen bekam.
Als es am Morgen des 29. August dann endlich so weit war, reiste ein ziemlich abgespannter und mutloser Draco nach London. Auch wenn sich der Sommer noch ein Mal aufbäumte, und es in der englischen Hauptstadt drückend heiss war, trug er ein dunkles Langarmshirt. Der Blonde wollte niemandem – nicht mal sich selbst – heute erlauben, einen Blick auf sein Branding zu werfen. Zum Einen konnte er dessen Anblick auf seinem Unterarm nicht ertragen, zum Anderen kam es ihm wenig ratsam vor, das Dunkle Mal bei einer solchen Verhandlung offen zur Schau zu stellen.
Andererseits, so schien es ihm, waren seine Chancen auf einen Sieg sozusagen inexistent. Noch immer weigerte er sich, die Strategie seines Verteidigers zu fahren, noch immer hatte er bis auf Harry keinen weiteren Zeugen auftreiben können und je näher die Verhandlung gerückt war, desto weniger hatte er das Gefühl, eine Revision und einen Freispruch überhaupt verdient zu haben. Schliesslich hatte er – auch wenn er darüber mit keiner Menschenseele sprach – viel getan, was die Strafe, die er erhalten hatte mehr als nur rechtfertigte. Auch wenn er sich bemühte, nicht zu oft über die Vergangenheit nachzudenken, konnte er nicht leugnen, dass er ein furchtbarer Mensch war, der schreckliche Dinge getan hatte.
Doch mit solchen Ansichten über sich selbst hatte er sich vor Ginny zurückgehalten. Erstens kam ihr der mit ihr geschlossene Burgfrieden noch immer brüchig vor. Er vertraute ihr zwar mehr, als noch zu Beginn, jedoch nicht genug, um ihr reinen Wein einzuschenken. Zweitens waren ihm seine Selbstzweifel und seine Selbstgeisselung schrecklich peinlich und Drittens – und das war der wichtigste Punkt – hatte er furchtbare Angst davor, wie sie reagieren würde, wenn sie wüsste, was er alles so getan hatte.
Er konnte sich diese Gefühle absolut nicht erklären. Lag ihm etwas an Harry Potters Wieselliebchen? Klar, die Rothaarige war gar nicht so übel, wie er immer gedacht hatte, jedoch war das noch lange kein Grund, sich so über ihre Gedanken den Kopf zu zerbrechen. Die Nacht im Raum der Wünsche, in der er sich so sehr um sie gesorgt hatte, schien mittlerweile weit weg zu sein. Klar, sie hatten gewisse Erlebnisse, die sie verbanden. Aber mehr – da war sich der Blonde mit etwas Abstand sicher – gab es dazu nicht zu sagen.
Es war zehn Uhr morgens, als er im 10. Stock des Ministeriums auf und ab schritt. Obwohl er nicht nervös war, wollte er die Verhandlung unbedingt hinter sich bringen. Mittlerweile hielt er die ganze Revision für eine schlechte Idee und fieberte dem Moment entgegen, in dem er endlich wissen würde, woran er war. Zukunftshoffnungen – da war sich Draco sicher – hatte er, egal wie der Prozess ausging, sowieso keine. Auch wenn er freigesprochen würde, wäre er noch immer ein ehemaliger Todesser und somit würde ihn niemand einstellen, ihm ein Darlehen geben, sich mit ihm anfreunden oder sich in ihn verlieben. Die Zeiten, in denen das Gedankengut des Dunklen Lords salonfähig waren, waren seit dem Ende des Krieges endgültig vorbei.
In dieser Stimmung traf er kurz darauf auf Harry und Ginny. Nach einer knappen Begrüssung seinerseits und etwas Smalltalk von Seiten des Schwarzhaarigen, standen die drei in ziemlich unbehaglicher Atmosphäre im Flur und warteten, dass die zähflüssig verstreichende Zeit endlich verging.
«Ich gehe noch kurz auf die Toilette», unterbrach Harry irgendwann die Stille.
Die Rothaarige schien besorgt protestieren zu wollen, aber mit einem Todesblick brachte ihr Freund sie zum Schweigen, ehe sie den Mund aufmachen konnte.
«Danke hast du nichts von dieser Nacht erwähnt», raunte sie Draco zu, als ihr Liebster um die Ecke verschwunden war.
«Du hast mich darum gebeten. Ich halte, was ich verspreche», erwiderte er kühl.
Sie interpretierte seine Gereiztheit als ein Zeichen von Nervosität.
«Es wird gut ausgehen. Du wirst sehen. Und dann sehen wir dich am 1. September in Hogwarts.»
Er schnaubte verächtlich.
Auf diese Reaktion war Ginny Weasley absolut nicht gefasst gewesen. Total irritiert blickte sie in die hellen Augen ihres Gegenübers und brachte kein Wort mehr über die Lippen.
«Ach komm, wach auf. Als ob es einen Unterschied macht, wie die Verhandlung heute ausgeht. Mein Leben ist so oder so vorbei. Es war schon vorbei, als ich das hier bekommen habe!»
Um seinen Phrasen Gewicht zu verleihen, schob er kurz den Ärmel seines schwarzen Pullovers nach oben.
«Sag sowas nicht.»
Draco schüttelte entgeistert den Kopf. Wie konnte sie das Offensichtliche nicht sehen? Die Wut kochte in ihm hoch. Da stand sie, Kriegsgewinnerin, mittlerweile Mitglied einer der führenden Zaubererfamilien Englands, und behauptete naiv, dass er, wenn er freigesprochen würde, ein ganz normales Leben führen würde. Er pfefferte ihr ein paar böse Zeilen um die Ohren und wartete danach ganz gebannt darauf, was sie ihm als Antwort entgegenschleudern würde.
Doch ihre Reaktion blieb aus. Sie starrte ihn nur unergründlich an, ehe sie – leicht den Kopf schüttelnd – etwas Distanz zwischen sich und ihm zu schaffen versuchte. Ginny war einfach nur erschöpft, viel zu müde, um sich hier, zwischen Tür und Angel, ein Wortgefecht mit Malfoy zu liefern.
Ihre Abgeschlagenheit fiel dem Blonden erst jetzt auf. Erst jetzt, da er sie taxierte, um eine Regung in ihr zu erkennen, bemerkte er, wie dunkel die Schatten unter ihren Augen waren. Zwar hatte sie versucht, sie zu überschminken, doch selbst so konnte man erahnen, dass sie in der letzten Zeit nicht gerade viel Schlaf abbekommen hatte. Ausserdem wirkte ihr Gesicht seltsam blass und ihre Schulterpartie zeichnete sich knochig unter dem sommerlichen hellblauen Umhang ab.
Gerade als er sie darauf ansprechen wollte, tauchte Harry wieder auf. Auch er sah, jetzt wo Draco ihn etwas genauer musterte, alles andere als gut aus. Er hatte seit ihrer letzten Begegnung – und schon damals war er sehr dünn gewesen – noch weiter an Gewicht verloren und auch er sah unausgeschlafen aus. Zudem entging dem Blonden nicht, dass die Hände seines ehemaligen Widersachers stark zitterten.
«Kriegst du das auch wirklich hin, Potter?», fragte er skeptisch.
«Warum sollte ich nicht? Ich stehe ja schliesslich nicht wegen Todesserverbrechen vor Gericht.»
Der sass.
Ginny blickte ihn zwar entschuldigend an, konnte aber nicht verhindern, dass der Blonde sich aus dem Staub machte.
«Ich muss an die Luft.»
«Sag mal musste das sein?», keifte die Rothaarige wenig später Harry an, während sie im Saal Platz nahmen.
Von den Medienleuten war Gottseidank nichts zu sehen und auch Kingsley und andere Mitglieder des Ordens waren keine anwesend.
«Was fällt ihm auch ein, eine so dumme Frage zu stellen. Man könnte meinen, dass er sich etwas dankbarer zeigt, wenn ich schon einwillige, ihm zu helfen.»
Darauf wusste die junge Weasley nichts mehr zu sagen. Stattdessen fixierte sie die Zeiger an der grossen Uhr im Raum, die immer näher an die Verhandlungszeit heranrückten.
«Und was hat Malfoy eigentlich gemeint, als er gefragt hat, ob ich das schaffe?», schob Harry nach.
«Hast du ihm etwas über meine…», er druckste rum, «Schwierigkeiten erzählt?»
Ehe sie antworten musste, startete zum Glück die Verhandlung. Und nun, wo es ans Eingemachte ging, versammelte sich auch eine grosse Meute an Medienschaffenden im hinteren Teil des Saals. Im allgemeinen Gewusel – auch Zuschauende, Ministeriumsmitarbeitende, Kingsley und Bill, Gerichtsdiener und die Zeugen des Zaubergamots – hatte sich Draco ziemlich unbemerkt auf die Anklagebank geschlichen, ohne das Ginny ihm noch hätte viel Glück wünschen können.
Auf seinem Stuhl sah der eigentlich grosse und stattliche junge Mann wahnsinnig verloren aus. In der Hoffnung, dass es ihn etwas aufmuntern würde, schenkte sie ihm das, was früher einmal ihr schönstes Lächeln gewesen war. Aber das ewige Deckeln von Emotionen, das sie nun seit Monaten praktizierte, hatte auch in diesem Bereich ihres Lebens Spuren hinterlassen. Und so war ihr eigentlich aufmunternd gemeintes Lachen nicht mehr, als ein gequältes und leicht verzweifeltes Grinsen.
Nachdem sich zu guter Letzt der Zaubergamot selbst Platz genommen hatte und die Anhörung an Fahrt aufgenommen hatte, zeigte sich schnell, dass Dracos Karten schlecht standen. Die Nachfolgerin von Amelia Bones zerpflückte die ganze Revision in nur zehn Minuten in alle Einzelteile, ehe sie überhaupt begann, dem Angeklagten Fragen zu stellen. Mr. Bacon – Malfoys Anwalt – konnte nur mit Mühe verhindern, dass das Gerichtsverfahren, dass er angestrebt hatte, schon nach diesem Anfangsplädoyer eingestellt wurde.
Auch im weiteren Verlauf der Verhandlung lief es nicht zum Besten für den Blonden. Auch wenn die Zeugen der Anklage kaum etwas berichteten, was ihm direkt geschadet hätte, konnte sein Anwalt genau so wenig Kapital daraus schlagen, dass die meisten dieser Befragten sich nur allgemein zu Todessern, Voldemort und der Familie Malfoy äusserten. Ausserdem waren es eher die Fragen der neuen Chefanklägerin, die Draco das Leben schwer machten.
«Mr. Malfoy. Ist es richtig, dass Sie sich, obwohl sie wussten, worauf sie sich einlassen, Lord Voldemort angeschlossen haben?»
Er nickte leicht.
«Würden Sie uns bitte verraten, was Sie über die Aufgaben eines Todessers wussten, ehe sie sich dazu entschlossen, selbst einer von ihnen zu werden?»
Draco schluckte.
Der spärliche Rest an Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Im Gegensatz zur Gerichtsverhandlung, die er gemeinsam mit seinen Eltern bestritten hatte, wurde hier ganz klar auf ihn abgezielt. Die Fragen waren härter und die Angriffe auf seine Person massiver.
«Mr. Malfoy?», hakte die Leiterin der Abteilung für magische Strafverfolgung nach.
«Ich wusste alles.»
Ein Raunen ging durch den Saal. War die Stimmung auch schon vor dieser Frage nicht gerade dracofreundlich gewesen, so schien er nun beinahe den ganzen Saal – Ginny, Harry, Bill und Mr. Bacon ausgenommen – gegen sich zu haben. In der Fortsetzung musste er sich weitere bissige Fragen gefallen lassen, ehe er sich in eine Verhandlungspause retten konnte.
Während Harry – durch Kingsley und Mitarbeitende des Zaubereiministeriums – von der Presse abgeschirmt wurde, rannte Ginny dem totenblassen Draco auf den Flur nach. Doch ehe sie ihn erreichen konnte, war er bereits in der Herrentoilette verschwunden, aus der kurz darauf laute Würgelaute drangen.
«Alles klar bei dir?»
Bis auf weitere Geräusche, die auf Erbrechen hindeuteten, blieb es stumm.
«Brauchst du etwas? Soll ich reinkommen?»
Doch auf der anderen Seite der Tür blieb es still.
Die Rothaarige stand noch einer Weile vor der Toilettentür, ehe sie sich – zugunsten seines Freiraums – zurückzog. Als sie den Rückweg Richtung Verhandlungssaal antrat, platzte sie mitten in ein leises aber hitziges Gespräch zwischen ihrem Bruder und Dracos Anwalt.
«Wenn er nicht langsam das tut, was ich von ihm verlange, wird er diesen Prozess verlieren. Schlimmer noch, der Zaubergamot könnte sogar eine noch härtere Strafe verhängen. Wenn der Junge weiter eine so schlechte Figur macht, wird er genau wie sein Vater in Askaban landen. Und zwar für immer.»
«Kannst du denn gar nichts tun, Nicholas?»
«Nun ja. Vieles hängt von der Aussage des jungen Mr. Potter ab. Wobei…»
«Wobei was?»
«Wobei dessen Glaubwürdigkeit in der Wahrnehmung vieler hier sehr gelitten hat. Ein weiterer Zeuge, vor allem einer der auch über die Familiendynamiken der Familie Malfoy im Bilde ist, könnte helfen.»
Einige Minuten später – die Verhandlung wurde wieder aufgenommen – steckte Ginny Mr. Bacon einen kleinen Zettel zu, während sie den Raum betraten.
Rufen Sie mich in den Zeugenstand, wenn es schlecht für ihn aussieht.
Zu keinem ein Wort!
Ginevra Weasley
Es dauerte noch weitere zwei Stunden, ehe Harry in den Zeugenstand gerufen wurde. Wie die junge Weasley es vorausgesehen hatte, stellte die Chefanklägerin im allerhand Fragen zu seinem letzten Auftritt vor Gericht. Ihr Freund reagierte nicht sonderlich souverän und ausweichend, wirkte auch zunehmend fahrig und unsicher, ehe er überhaupt zum Thema Malfoy aussagen konnte.
«Ist es wahr, dass Sie und Mr. Malfoy in der Schule eine regelrechte Feindschaft gepflegt haben?»
«Ja.»
«Und hat Mr. Malfoy, als Sie ihm in Bezug auf sein Dunkles Mal auf die Schliche kommen wollten, Ihre Nase mit einigen Fusstritten zertrümmert?»
«Ja.»
«Mr. Potter. Warum sagen Sie heute für Mr. Malfoy aus?»
«Weil ich es für richtig halte.»
«Sind Sie sich sicher? Ist es nicht vielmehr so, dass Sie insgeheim möchten, dass Mr. Malfoy seine gerechte Strafe erhält? Ist es nicht so, dass Sie es insgeheim bereuen, Mr. Malfoy versprochen zu haben, für ihn auszusagen?»
Harry schüttelte den Kopf.
«Und warum haben Sie dann am Abend des 2. Juli in einer Lokalität in der Winkelgasse, und ich zitiere hier Sie, gesagt, dass Mr. Malfoy es verdient hat, auf ewig in einem Kerker zu verrotten genau wie der Rest seiner Sippe. Und warum haben Sie gesagt, und wieder zitiere ich Sie, dass Personen wie Mr. Malfoy sich nie ändern werden?»
Ginny stockte der Atem. Am 2. Juli hatte sie Hermine ins St. Mungo begleitet und im Anschluss daran einen sternhagelvollen Harry in einer Bar aufgegabelt.
«Mr. Potter?»
«Ich kann mich daran nicht mehr erinnern. Ich war… Ich war betrunken.»
Die Medienschaffenden liessen die Kameras klicken. Die Schlagzeilen für die nächsten Tage waren gesichert.
«Und wie wir alle wissen», wandte sich Amelia Bones Nachfolgerin an die im Saal Anwesenden, «sagen Betrunkene und Kinder immer die Wahrheit.»
Die Rothaarige rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, während sie Draco immer häufiger besorgte Blicke zuwarf. Er schien sich komplett aufgegeben zu haben. Schlaff hing auf der Anklagebank und liess die Vorwürfe auf sich einprasseln, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu wehren. Während immer mehr belastendes Material gegen ihn zu Tage kam, sah er sein Leben und die Entscheidungen, die er getroffen hatte, noch einmal an sich vorbeiziehen.
‘Ich hätte damals…’, schoss es ihm durch den Kopf, ehe er den Gedanken zu vertreiben versuchte.
Auch sein Verteidiger wirkte zunehmend konsterniert. Es zeichnete sich immer mehr ab, dass die Verhandlung zu Malfoys Ungunsten ausfallen würde und so holte er – auch wenn es eigentlich gegen seine Überzeugung war, den eigenen Klienten so zu überrumpeln – Ginny in den Zeugenstand.
«Das war mit mir nicht abgesprochen!»
«Ruhe, Mr. Malfoy. Sie sind hier bei Gericht!», donnerte der Richter energisch.
Doch Draco liess sich nicht beirren.
«Ich habe diese Zeugin nicht authorisiert!»
«Aber Sie haben Ihrem Anwalt die Befugnis über Ihre Verteidigung übertragen. Ich lasse die Zeugin zu.»
Mit geweiteten Augen starrte er Ginny an, während sie nach vorne schwebte.
«Sag nichts», formte er mit den Lippen, doch die Rothaarige blieb standhaft.
Nach einigen Formalitäten – ihrem vollständigen Namen, Alter und Wohnort – und einigen Einstiegsfragen, ging es nun an die harten Fakten.
«Ms. Weasley. Warum sagen Sie heute für Mr. Malfoy aus.»
«Weil ich der Meinung bin, dass Mr. Malfoy freigesprochen werden sollte.»
«Und wie kommen Sie darauf?», fragte die Chefanklägerin mit hochgezogenen Augenbrauen?»
«Zum einen halte ich Mr. Malfoy für einen jungen Menschen mit sehr viel Potenzial. Ich habe ihn in den letzten Wochen von einer neuen, mir unbekannten Seite kennengelernt und möchte den Aussagen von Mr. Potter widersprechen. Ich glaube sehr wohl, dass Mr. Malfoy sich ändern kann, ja sogar schon geändert hat. Sein Auftritt vor Gericht beweist das eindeutig.»
«Was meinen Sie damit?», hakte Amelia Bones Nachfolgerin nach.
Entsetzt blickte Draco Ginny an, als sie erneut den Mund aufmachte. Energisch schüttelte er den Kopf, aber sie, fest entschlossen, ihn aus der Sache rauszuboxen, liess sich davon nicht abbringen.
«Mr. Malfoy könnte sich hier mit guten Gründen verteidigen, tut es aber nicht.»
«Was für Gründe?»
«Stopp! Ich möchte nicht, dass Ms. Weasley das genauer ausführt!»
«Mr. Malfoy! Mässigen Sie sich, oder ich verweise Sie des Saals!», dröhnte der Richter aufgebracht.
«Bitte fahren Sie fort, Ms. Weasley.»
Das liess sich Ginny nicht zwei Mal sagen und erzählte von Lucius manipulativer und gewalttätiger Art, von der Drohung Voldemorts, seinen Vater auf ewig in Askaban verrotten zu lassen, von der Unfähigkeit Narzissas, sich trotz häuslicher Gewalt und Alkoholismus von ihrem Mann zu trennen und vor allem sprach sie Dracos Schuldgefühle und deren Auswirkungen auf seine Psyche an.
«Ich habe nie viel von Mr. Malfoy gehalten», gab sie zum Schluss noch zu Protokoll, «aber ich glaube daran, dass ein guter Mensch in ihm schlummert. Und ich möchte das Gericht inständig bitten, Mr. Malfoy freizusprechen, damit er die Chance erhält, ein verdientes Mitglied der Zauberergesellschaft zu werden.»
Im Anschluss an ihre Aussage musste Draco – der unter Eid nicht lügen durfte – ihre Aussagen zähneknirschend bestätigen. Von da an ging alles ganz schnell. Die Argumentation der Anklage, Malfoy habe sich mit voller Absicht in die Rige der Todesser begeben, um dort sein fragwürdiges und menschenverachtendes Gedankengut auszuleben, fiel in sich zusammen. Vielmehr machte es nach Ginnys Ausführungen den Anschein, als hätte der junge Mann, der in einem Todesserumfeld sozialisiert worden war, kaum einen anderen Weg einschlagen können. Zudem konnte der Verteidiger, der nun wieder Aufwind spürte, geltend machen, dass man – einmal als Todesser vereidigt – kaum mehr einen Rückzieher machen konnte, wenn man nicht die Lust verspürte eines gewaltsamen Todes zu sterben.
Aufgrund dieser Sachlage – und weil die Staatsanwaltschaft auf die Schnelle keine weiteren Vorwürfe aus dem Hut zaubern konnte – wurde Dracos Strafe am Ende eines langen Verhandlungstages tatsächlich verringert. So war die Zerstörung seines Zauberstabs zur Bewährung ausgesetzt worden. Ausserdem wurden ihm fünf Prozent des Familenvermögens und Malfoy Manor überlassen, was – nach Aussage des Richters – soweit reichen sollte, dass er sich eine gute Ausbildung finanzieren konnte.
Während Mr. Bacon nach der Urteilverkündung die Faust zur Jubelgeste ballte und Bill Ginny quer durch den Saal zupfiff, sass der Blonde nur teilnahmslos auf der Anklagebank. Als er später den Raum verliess, machte er sich eilig auf, fortzukommen, ehe die junge Weasley ihm folgen konnte.
Ich möchte mich nochmal schon im Voraus für Jede:n bedanken, der:die sich die Mühe macht, meine Texte zu lesen und zu kritisieren! ☺️
Kurzes Update: Kapitel 28 wurde mittlerweile - leicht verändert - hochgeladen, Kapitel 29 und 30 sind verworfen worden und ein neues Kapitel 29 hat auch schon den Weg auf ff.de gefunden.
Falls ihr euch trotzdem zu Kapitel 28 - oder zum total veränderten Kapitel 29 - äussern wollt, würde ich mich sehr freuen. Die definitive Version findet ihr hier: Das Erbe der Vergangenheit.
Nun, es existiert auch schon ein Kapitel 30 (ebenfalls ein ganz neues), das ich gerne kritisiert haben möchte. Es wäre schön, wenn ihr auf die Logik, die Emotionen und so achten könntet. Ausserdem würde es mich sehr interessieren, ob euch die Idee zur Raffung der Geschichte zusagt oder ob ihr es lieber etwas ausgedehnter (wie zuerst angedacht) gehabt hättet.
Kapitel 30 (neu):
Ginny war zu verletzt, um ihre Gefühle – wie sonst auch immer – verbergen zu können. Die Maske fiel und obwohl sie sich krampfhaft dagegen wehrte, kochten die Emotionen in ihr hoch. Zum Einen war die junge Frau von den letzten Wochen einfach nur unheimlich erschöpft, zum Anderen war sie aber auch furchtbar sauer. Doch das mit Abstand stärkste Gefühl, das in ihr aufkeimte, war Trauer.
Gegen die Tränen ankämpfend, die ihr bereits langsam über die Wangen rollten, bemühte sie sich, Draco nicht ins Gesicht zu sehen. Stattdessen fixierte sie stur den Tagespropheten, auf dessen Titelseite das Konterfei des jungen Mannes prangerte, der sie gerade zum Weinen gebracht hatte.
Immer noch unfähig, ihre Gefühle wieder wegzusperren, versuchte sie, einen letzten Satz hervorzupressen.
«Du… Ich… Bitte… Könntest du… Könntest du für dich behalten… Naja, du weisst schon… Dass du…»
Ihre Stimme brach ab.
Doch eine Reaktion seinerseits blieb aus. Auch wenn es ihn nicht kalt liess, dass die junge Weasley vor ihm stand, schluchzte und um Worte rang, war er gerade nicht in der Lage, ihr Mitgefühl entgegenzubringen.
Schliesslich hatte er – Draco Malfoy – gerade ganz andere Probleme. Der Prozess war eine einzige Katastrophe gewesen. Zwar hatte es sein Anwalt tatsächlich geschafft, einen Freispruch für ihn herauszuschlagen, jedoch war der Preis dafür hoch gewesen. Vor Gericht waren einige Details zu seiner Entscheidung, Todesser zu werden, bekannt geworden, die er lieber für sich behalten hätte. So hatte er auf die Frage des Richters, ob ihm bewusst gewesen sei, was ein Todesser so tue, ehe er sich Voldemort angeschlossen habe, wahrheitsgemäss mit einem klaren Ja geantwortet. Auch andere Dinge, beispielsweise der versuchte Mordanschlag auf Dumbledore, waren in der Revisionsverhandlung länger zur Sprache gekommen, als es im ersten Prozess der Fall gewesen war.
Zudem spekulierte die Presse, woher er das Geld für seinen Advokaten und die neuerliche Anhörung genommen hatte. Und so waren skurrile Verschwörungstheorien nach Kriminalität, Bestechung und Vetternwirtschaft nicht weit. Eine kleine Nischenzeitung ging sogar so weit, zu behaupten, Draco habe seinen Anwalt nur dank dem Imperiusfluch dazu bewegen können, ihn zu vertreten. Das alles machte dem jungen Mann nun das Leben schwer.
Um das alles abzurunden, hatte man ihn vor Gericht gezwungen, sein Mal zu zeigen. Nun wusste tatsächlich jede Hexe und jeder Zauberer darüber Bescheid, dass er tatsächlich und hochoffiziell als Todesser gedient hatte. Eine Tatsache, von der der junge Malfoy nie gewollt hatte, dass es die Öffentlichkeit erfuhr.
Statt also auf sein Gegenüber zuzugehen, drehte er sich ab und liess die aufgelöste Ginny – die Zeitung noch immer zu ihren Füssen – im Flur stehen.
Noch ein Mal nahm sie darauf hin all ihre Kraft zur Selbstbeherrschung zusammen.
«Warte…», rief sie leise aber bestimmt.
Obwohl Malfoy nicht stehen blieb, verlangsamte er doch seinen Schritt. Irgendetwas an ihrer Stimme liess ihn spüren, dass sie ihm eine wichtige Sache zu sagen hatte. Während er also langsam weiterlief ohne sich umzudrehen, erwartete er gespannt die Fortsetzung ihres Monologs.
«Ich habe Harry nichts davon gesagt, dass du ihm geholfen hast. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Ich weiss nicht… Ich dachte du möchtest nicht… Naja… Jedenfalls… Sag bitte nichts… Ich… Ach egal…»
Kaum merklich – er wusste nicht einmal, ob Ginny es registrierte – nickte Draco. Er war froh, dass sie Potter nichts von dieser unsäglichen Nacht erzählt hatte. Was ihm in seiner momentanen Situation gerade noch fehlte, war ein neugieriger Rivale, der sich brennend dafür interessierte, wo er sich sein Wissen zu Alkoholvergiftungen angeeignet hatte. Andererseits störte er sich auch furchtbar daran, dass die junge Weasley wieder nur ein Thema – nämlich ihren Auserwählten – kannte. Er konnte sich zwar die Zerknirschtheit nicht erklären, die über ihn kam, liess sie aber zu, während er stoisch weiterging.
Einige Sekunden später erreichte er endlich die grosse Holztür, die den Korridor von der Kerkertreppe abtrennte und liess die immer noch weinende Weasley allein zurück.
Im Nachhinein war der Rest des Abends für sie schwer nachzuvollziehen. Nachdem Malfoy sie im Flur Richtung Kellergewölbe hatte stehen lassen, hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Ginny in der Lage war, ihren Körper wieder zu spüren. Als sie endlich die Kontrolle über ihre Extremitäten zurückerlangt hatte – der steingeflieste Gang war mittlerweile nur noch von spärlichem Fackelschein beleuchtet – hob sie die Zeitung auf, steckte sie in ihren Umhang und bewegte sich fast schon Traumwandlerisch durch das mittlerweile schlafende Schloss.
Es war als wäre ihr Gehirn während des Streits mit Draco auf Stand-by gestellt worden. Ihr war es egal, dass sie schon lange im Gryffindorturm hätte sein sollen. Ihr war es gleich, dass sie gegen ziemlich viele Schulregeln verstiess, wenn sie in der Nacht durch die Gänge wanderte. Es kümmerte sie nicht, dass die Karte des Rumtreibers und der Tarnumhang in einem Geheimfach unter ihrem Himmelbett versteckt war. In diesem Moment spielte das alles keine Rolle mehr.
Und so wanderte sie eine ganze Weile – stundenlang – durch die leeren Flure. Dabei achtete sie nicht darauf, wo sie hinlief, interessierte sich nicht dafür, dass sie entdeckt werden konnte, kümmerte sich nicht, als sie in der Ferne Mrs. Norris leises Miauen vernahm und riskierte keinen Blick auf die feine roségoldene Uhr an ihrem linken Handgelenk. Irgendwann – es war schon mitten in der Nacht – fand sie sich schliesslich auf dem Astronomieturm wieder.
Diese Aussicht hatte Ginny schon immer geliebt. Oft waren sie und Luna nach der letzten Stunde all diese Stufen hochgeklettert, um sich anzusehen, wie das ganze Gelände Hogwarts – der See, der verbotene Wald und natürlich auch die sechs Ringe des Quidditchfelds – kurz vor dem Sonnenuntergang in goldenes Licht getaucht wurde. Dabei hatten sie über Gott, die Welt, ihre Familie, Freunde und Jungs gesprochen, gelacht und sich immer wieder furchtbaren Blödsinn ausgedacht. Doch nun war alles anders. Kein See, kein verbotener Wald und kein Quidditchfeld war zu sehen. Die junge Weasley blickte in komplette Dunkelheit. Nicht ein Stern war zu sehen, nicht mal der Mond war durch die dicke Wolkendecke zu sehen, die die Nacht noch schwärzer wirken liess. Und auch von ihrer besten Freundin fehlte jede Spur.
Während sie also dastand und in der Stille und der düsteren Stimmung dieser dunklen Nacht zu ertrinken drohte, fiel es ihr – unbarmherzig und schmerzhaft – wie Schuppen von den Augen. Das Leben, in welchem sie mit Luna Faxen gemacht hatte, in dem sie in einer intakten Familie aufgewachsen war und Harry geliebt hatte, in welchem sie mit Hermine Kaffee trank und Neville auf einen Schulball begleitete, in dem sie einem Schnatz oder einem Quaffel nachjagte, ein Leben, das es ihr erlaubte, sich mit Draco Malfoy zu streiten, existierte nicht mehr. Alles, was ihr jemals wichtig gewesen war, hatte sich in den letzten Monaten – nein in den letzten Jahren – in Schall und Rauch aufgelöst. Sicher, der Prozess hatte langsam und schleichend begonnen, hatte sich aber schon von Anfang an nicht mehr aufhalten lassen. Spätestens als Voldemort Cedric Diggory erbarmungslos getötet hatte, war der Einsturz ihrer Welt nicht mehr zu verhindern gewesen. Alles was danach gekommen war, hatte alles was sie kannte und liebte Stück für Stück demontiert.
Was sie nun aber traf wie ein verirrter Klatscher, war die Tatsache, dass sie sich über die Jahre hinweg einer falschen und trügerischen Hoffnung hingegeben hatte. Schon von Beginn weg – damals war sie noch ein junges Mädchen gewesen – hatte sie sich eingeredet, dass irgendwann alles vorbei sein würde. Immer war sie davon ausgegangen, dass die Welt, in der sie lebte, nur kurz zu einem Chaos verkommen würde, ehe sie das Leben weiterführen konnte, dass sie vor dem verhängnisvollen Ende des Trimagischen Turniers hatte pausieren müssen. Doch das war ein kolossaler Irrtum gewesen. Mehr noch, es war naiv von ihr gewesen, anzunehmen, dass sie – und ihr Umfeld – jemals zu diesem Punkt zurückkehren würden, wo der Himmel noch mehr oder weniger voller Geigen gehangen hatte.
Ginny kam sich in diesem Moment unheimlich dumm vor.
‘Wie habe ich nur glauben können, dass wir das alle schadlos überstehen?’, geisterte ihr durch den Kopf, während sie an all ihre toten Freunde, Bekannte und an Fred dachte.
Doch die Erinnerungen an Menschen, die sie verloren hatte, waren nicht die einzigen, die sie furchtbar durchschüttelten. Sie dachte an ihre Beziehung, die eigentlich nur noch auf dem Papier existierte, dachte an Harry, der wie innerlich tot vor ihr sass, sah Hermine vor sich, die unfähig war, eine Feder durch den Raum schweben zu lassen, blickte auf ihren Bruder, der mit seinem destruktiven Verhalten vielleicht die Liebe seines Lebens verspielte und beobachtete vor ihrem inneren Auge Luna und Neville, die im Strom an Aufmerksamkeit unterzugehen drohten. In diese Gedanken mischte sich auch Draco Malfoy. Nicht mehr Kapitän des Quidditchteams, nicht mehr Frauenschwarm, nicht mehr beliebter Sohn reicher und erfolgreicher Eltern, allein, traurig, mit einer möglicherweise zerstörten Zukunft.
Die dunklen Zeiten und der Krieg mochten rein theoretisch vorbei sein, die äusserlichen Wunden – kaputte Infrastruktur, geplünderte Bankkonten, gestohlene Familienschätze – fein säuberlich verschlossen sein, doch die praktischen Auswirkungen auf die Menschen, die die grausamen Ereignisse auf beiden Seiten an vorderster Front erlebt hatten, liessen sich nicht leugnen.
Zum ersten Mal in ihrem noch kurzen Leben fühlte Ginny Hoffnungslosigkeit. Zum ersten Mal überhaupt spürte sie, dass ihre Welt sich unwiederbringlich verändert hatte. Doch statt sich anzupassen und sich an die neue Situation zu gewöhnen jagte sie – genau wie alle Anderen – verzweifelt den Zeiten nach, die schon lange vergangen waren und nie wieder zurückkehren würden. Schlagartig wurde ihr klar, dass nichts – aber auch gar nichts – was sie tun würde, sie an den Ort zurückbringen würde, an dem noch alles Heil gewesen war.
Sie liess sich fallen und landete unsanft auf ihren Knien. Der Steinboden des Turmes war hart und kalt, während der kräftige Wind, der um die Zinnen zog ihr Haar durcheinanderwirbelte. Ihr Körper schien sich zu Eis zu verwandeln und obwohl es für eine Septembernacht aussergewöhnlich mild war, fror die junge Weasley am ganzen Körper. Kein Dementor der Welt hätte sie in diesem Augenblick das Fühlen lassen können, was sie gerade fühlte. Ginny schien am Ende ihrer Welt angekommen zu sein.
Erst als das Licht des nächsten Tages sanft durch die Wolken zu schimmern begann, schaffte sie es halbwegs, sich von ihren düsteren Gedanken zu lösen. Mittlerweile liegend, beobachtete sie ruhig, wie die Morgensonne immer mehr die Nacht vertrieb. Alles Dunkle und Graue um sie herum wurde langsam und friedlich farbiger. Stück für Stück kam so auch das Leben in ihre durchgefrorenen Körper zurück. Und irgendwann, als eine sanfte Morgensonne endlich auf ihr Haupt schien und es wirken liess, als würde ihr Kopf in Flammen aufgehen, beschloss sie, aufzustehen.
«Weiter geht’s, Weasley!», sprach sie nun laut aus, während sie sich die Nacht auf hartem Stein von den Knochen schüttelte.
In der Folge versuchte sie, sich unbemerkt in den Schlafsaal zu schleichen. Doch schon als sie vom Turm stieg wurde ihr klar, dass das ein Ding der Unmöglichkeit sein würde. Bereits jetzt geisterten die ersten total übereifrigen Schüler durch die Gänge, während auch im Lehrkörper schon hektische Betriebsamkeit herrschte. Zum ersten Mal, seit sie vor der Eröffnungszeremonie ihren Schlafsaal verlassen hatte, wünschte sie sich den Tarnumhang und die Karte des Rumtreibers herbei. Doch es war zu spät, nun darüber zu lamentieren. Um nicht auf dem Weg in den Gryffindorturm jemandem in die Arme zu laufen, den sie kannte, liess sie sich stattdessen mit dem immer grösser werdenden Menschenstrom in die Grosse Halle treiben.
«Wo zur Hölle warst du?», zischte ihr Hermine leise zu, als sie und Neville sich eine gute halbe Stunde später zu Ginny gesellten.
«Wie wo war ich?»
«Das weisst du ganz genau. Verkauf uns nicht für dumm…»
«Mine ich weiss wirklich nicht, was du damit meinst. Ich bin gestern noch spazieren gegangen. Als ich in den Turm gekommen bin, habt ihr bereits geschlafen.»
«Ginn… Ich weiss von Lavender, dass du nicht heute Morgen nicht in deinem Bett gelegen hast. Also raus mit der Sprache. Wo… warst… du?»
Langsam wurde sie wütend.
«Bei Merlins Bart! Hermine, was willst du von mir?», murmelte sie gehässig.
Sie war müde, ihr war kalt und sie hatte absolut keinen Nerv, sich in aller Öffentlichkeit mit irgendwem zu streiten.
«Erstens: So weit ich mich erinnern kann, waren Lavender und du nie sonderlich gut aufeinander zu sprechen. Und zweitens will ich mich irgendwie nicht daran erinnern, dass ich mir schon jemals mit ihr ein Zimmer geteilt habe! Falls du es vergessen haben solltest, sie gehört zu deinem und nicht zu meinem Jahrgang!»
Doch ihre Freundin hatte sich festgebissen.
«Was Klatsch betrifft, kann man sich auf Lavender verlassen.»
Ginny schnaubte nur verächtlich. Ihr war die Exfreundin ihres Bruders zuwider. Ausserdem hasste sie es, wenn sich Leute in ihre Angelegenheiten einmischten.
«Und», hakte Hermine noch ein Mal nach, «wo warst du nachdem wir nach oben gegangen sind?»
«Zum letzten Mal! Ich war spazieren. Danach bin ich nach oben gekommen und habe mich schlafen gelegt.»
Doch ihre Freundin liess nicht locker.
«Warum warst du denn dann nicht in deinem Schlafsaal, als die anderen aufgewacht sind?»
Jetzt platzte der jungen Weasley endgültig der Kragen.
«Halt die Luft an du Gewitterziege! Ich habe kaum geschlafen und als ich heute in aller Herrgottsfrühe aufgewacht bin, habe ich mich angezogen und bin hier runter gekommen, um niemanden zu wecken! Ganz ehrlich, Hermine. Wenn ich dich wäre, würde ich mich vielleicht weniger um die Scheisse anderer kümmern und stattdessen an mir selbst arbeiten! Und jetzt entschuldigt mich. Ich muss zu Verwandlung!»
Mit einem Todesblick auf dem Gesicht erhob sie sich und stolzierte davon, während halb Gryffindor ihr mit offenem Mund nachstarrte.